Wie ist unsere Fähigkeit zu kommunizieren entstanden?

Die Ursprün­ge der Kommunikation

Pri­ma­ten haben wahr­schein­lich durch ers­te Anfän­ge von Arbeits­tei­lung bzw. ers­ten Ansät­zen gemein­sam koor­di­nier­ter Hand­lun­gen Frei­räu­me geschaf­fen, durch die es zur Ent­wick­lung kom­mu­ni­ka­ti­ver Fähig­kei­ten kom­men konn­te. Indem die ers­ten Men­schen Sym­bo­le zur Abbil­dung der Rea­li­tät erfan­den, wur­de es ihnen mög­lich, nicht nur direkt auf Rei­ze zu reagie­ren (instink­ti­ves Ver­hal­ten ande­rer Säu­ge­tie­re), son­dern sich auch bei Abwe­sen­heit der Rei­ze über ver­gan­ge­ne Ereig­nis­se oder zukünf­tig viel­leicht ein­tre­ten­de Situa­tio­nen auszutauschen.

Indem ein Mensch Objek­te aus der Umwelt sprach­lich reprä­sen­tiert, kann er – gleich­sam aus der Distanz bzw. bei Nicht­an­we­sen­heit der Objek­te – ver­schie­de­ne Kon­stel­la­tio­nen und alter­na­ti­ve Hand­lungs­ab­läu­fe simu­lie­ren, das heißt, er kann den­ken. Des­halb hat Freud das mensch­li­che Den­ken als Pro­be­han­deln bezeich­net. Das mensch­li­che Den­ken ist unmit­tel­bar an die Fähig­keit zur Spra­che bzw. zur sprach­li­chen Reprä­sen­ta­ti­on von Objek­ten in der Umwelt geknüpft.

Am Anfang waren also die ers­ten Ansät­ze koor­di­nier­ter Hand­lun­gen im Ver­band (der Sip­pe o. ä.). Die­se Koor­di­na­ti­on führ­te zu eini­gen Frei­räu­men – man saß viel­leicht am Abend am Lager­feu­er und hat­te den Frei­raum, die Ereig­nis­se des Tages zu sym­bo­li­sie­ren. Auf der Grund­la­ge die­ser Sym­bo­li­sie­run­gen konn­te man nun alter­na­ti­ve Hand­lungs­ab­läu­fe durch­den­ken und neue Stra­te­gien (bspw. für die Jagd) „pla­nen“. Mit Slo­ter­di­jk (1995, S. 14ff.) kön­nen wir uns die­se Lager­feu­er­si­tua­ti­on als „psycho-akus­ti­sche Zau­ber­ku­gel“ vor­stel­len, aus der die mensch­li­che Fähig­keit zur Kom­mu­ni­ka­ti­on ent­stan­den ist. Das Zusam­men­wir­ken von Koope­ra­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on bil­det die Vor­aus­set­zung für die Ent­ste­hung von Kul­tur, und Kul­tur wie­der­um kann als das zen­tra­le Unter­schei­dungs­merk­mal der Men­schen von ande­ren Säu­ge­tie­ren ange­se­hen wer­den (Vgl. Bischof 1991, S. 35ff.; Hall 1976, S. 15; Axel­rod 2009, S. 18).

Wir kom­mu­ni­zie­ren auf der Grund­la­ge von Bedeutungen

Wir kön­nen zwar allein bzw. als Ein­zel­ne den­ken, aber wie wir bereits gese­hen haben, ist die Fähig­keit zu den­ken direkt an Spra­che und damit an Kom­mu­ni­ka­ti­on geknüpft; die Fähig­keit zu den­ken hat sich qua­si erst durch Kom­mu­ni­ka­ti­on ent­wi­ckelt. Wenn wir den­ken, bleibt die­ser kol­lek­ti­ve Ursprung der Kom­mu­ni­ka­ti­on erhal­ten, und zwar wie folgt:

Wenn wir kom­mu­ni­zie­ren, dann geht es nicht etwa um die Din­ge selbst, son­dern um deren Sym­bo­li­sie­run­gen. Ein Ding und sein Sym­bol kön­nen weit aus­ein­an­der­lie­gen, wie schon dar­an deut­lich wird, dass ein Gegen­stand für ver­schie­de­ne Men­schen ganz unter­schied­li­che Bedeu­tun­gen haben kann und ent­spre­chend anders bezeich­net wird. Man kann dies an den Pro­ble­men erken­nen, die Ange­hö­ri­ge unter­schied­li­cher Fach­rich­tun­gen oder Bran­chen haben, ein­an­der zu ver­ste­hen. Man muss sich dann oft zunächst auf eine „gemein­sa­me Spra­che“ eini­gen. Eine Vor­aus­set­zung, dass wir ein­an­der über­haupt ver­ste­hen, ist, dass wir über ein geteil­tes Reper­toire an Bedeu­tun­gen bzw. Sym­bo­len ver­fü­gen. Wenn ich kom­mu­ni­zie­re, habe ich eine Annah­me dar­über, was der ande­re ver­steht. Ich muss also wis­sen, was der ande­re, dem ich etwas sage, über­haupt ver­ste­hen kann. Der Phi­lo­soph Geor­ge Her­bert Mead hat die­sen Vor­gang ein­mal so beschrieben:

»Was ist nun der grund­le­gen­de Mecha­nis­mus, durch den der gesell­schaft­li­che Pro­zeß ange­trie­ben wird? Es ist der Mecha­nis­mus der Ges­te, der die pas­sen­den Reak­tio­nen auf das Ver­hal­ten der ver­schie­de­nen indi­vi­du­el­len Orga­nis­men ermög­licht, die in einen sol­chen Pro­zeß ein­ge­schal­tet sind. Inner­halb jeder gesell­schaft­li­chen Hand­lung wird durch Ges­ten eine Anpas­sung der Hand­lun­gen eines Orga­nis­mus an die Tätig­keit ande­rer Orga­nis­men ver­ur­sacht. Ges­ten sind Bewe­gun­gen des ers­ten Orga­nis­mus, die als spe­zi­fi­sche Rei­ze auf den zwei­ten Orga­nis­mus wir­ken und die (gesell­schaft­lich) ange­mes­se­nen Reak­tio­nen aus­lö­sen. Die Geburt und Ent­wick­lung der mensch­li­chen Intel­li­genz spiel­te sich im Bereich der Ges­ten ab, durch den Pro­zess der Sym­bo­li­sie­rung von Erfah­run­gen, den die Ges­ten – ins­be­son­de­re voka­le Ges­ten – mög­lich mach­ten. Die Spe­zia­li­sie­rung des Men­schen auf die­sem Gebiet der Ges­ten war im End­ef­fekt ver­ant­wort­lich für die Ent­wick­lung und das Wachs­tum der gegen­wär­ti­gen mensch­li­chen Gesell­schaft und des mensch­li­chen Wis­sens mit der gan­zen Kon­trol­le über die Natur und die mensch­li­che Umwelt, wie sie durch die Wis­sen­schaft ermög­licht wird.« (Mead 1973, S. 46)

Die Vor­aus­set­zung für Kom­mu­ni­ka­ti­on: der gene­ra­li­sier­te Andere

Mei­ne Ges­ten, das, was ich etwa zei­ge oder sage, löst also bei mei­nem Gegen­über bestimm­te Reak­tio­nen aus. Wel­che Ges­ten oder Wor­te in einer Situa­ti­on ange­mes­sen sind und bestimm­te Wir­kun­gen ent­fal­ten, ist dabei in der Regel allen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­teil­neh­mern bekannt. Das Wis­sen dar­um, was in einer Gemein­schaft kom­mu­ni­ka­tiv ange­mes­sen ist, was mög­li­che oder schick­li­che Reak­tio­nen etc. sind, ist laut Mead (1973) im „gene­ra­li­sier­ten Ande­ren“ orga­ni­siert. Ich weiß, was eine bestimm­te Aus­sa­ge bei mei­nem Gegen­über bewir­ken kann, weil ich in der Lage bin, auf der Grund­la­ge der gemein­sam geteil­ten Sym­bo­le die Rol­le des ande­ren ein­zu­neh­men. Ich kann mich fra­gen – und unbe­wusst tun wir das andau­ernd –, was mei­ne Hand­lun­gen bei mei­nem Gegen­über aus­lö­sen. Indem ich die glei­chen Bedeu­tun­gen ken­ne wie mein Gegen­über, kann ich, indem ich mich in ihn hin­ein­ver­set­ze (qua­si über den „gene­ra­li­sier­ten Ande­ren“) mei­ne eige­nen Hand­lun­gen ana­ly­sie­ren. Dadurch wer­de ich mir selbst über­haupt ver­ständ­lich. Den­ken kann ich zwar allei­ne, aber so lan­ge ich über sozia­le Din­ge nach­den­ke und spä­tes­tens sobald ich etwas sage, impli­ziert dies die (gedach­te oder rea­le) Anwe­sen­heit eines Ande­ren, in den ich mich hin­ein­ver­set­ze und über des­sen ange­nom­me­ne (und spä­ter tat­säch­li­che) Reak­tio­nen ich mei­ne eige­nen Hand­lun­gen ver­ste­hen kann. Wir haben die­sen Ande­ren soweit ver­in­ner­licht, dass er immer anwe­send ist, eben als „gene­ra­li­sier­ter Ande­rer“. Wir unter­stel­len in jedem Gespräch, dass uns unser Gegen­über jeweils ver­steht, und wir struk­tu­rie­ren unse­re Äuße­run­gen auf der Grund­la­ge unse­rer Annah­men dar­über, wie unse­re Hand­lun­gen bei ihr oder ihm ankom­men. Wir fra­gen nicht erst, was er ver­steht oder wis­sen möch­te, son­dern wir han­deln auf der Grund­la­ge unse­rer Annah­men dar­über, wie unse­re Hand­lun­gen bei ihm oder ihr ankommen.

Salopp for­mu­liert heißt das, dass wir nie allein sind. Wir haben min­des­tens den gene­ra­li­sier­ten Ande­ren immer „mit­lau­fen“. Wir schät­zen die Kon­se­quen­zen unse­rer Hand­lun­gen ein, indem wir vor­weg­neh­men, was unse­re Hand­lun­gen beim ande­ren aus­lö­sen. Wir betrach­ten unse­re eige­nen Hand­lun­gen gleich­sam durch die Bril­le unse­res Gegen­übers, indem wir ver­su­chen vor­weg­zu­neh­men, wie die oder der ande­re auf unse­re Hand­lun­gen reagie­ren wird. Das bedeu­tet auch, dass wir in der Regel nicht das sagen, was wir wirk­lich den­ken oder mei­nen. Viel­mehr drü­cken wir uns so aus, dass wir beim ande­ren das errei­chen, was wir wol­len – dass er gut über uns denkt bei­spiels­wei­se oder sich von uns über­zeu­gen lässt.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.