Nehmen wir an, Sie haben sich nach vielen Abwägungen entschieden, aus Ihrer Mietwohnung auszuziehen und unter die Hauseigentümer zu gehen. Sie beschäftigen sich nun mit den ersten wesentlichen Fragen zum anstehenden Bauprojekt und versuchen, sich ein Bild Ihres zukünftigen Domizils zu machen – welche Fragen ergeben sich?
- Wo soll das Haus stehen?
- Wie und mit welchem monetären Mitteln wollen Sie Ihren Haustraum finanzieren?
- Soll es ein Fertighaus werden oder doch lieber ein Architektenunikat?
- Wer wird der Partner für die Umsetzung?
- Wer überwacht und koordiniert das Projekt?
Es gibt eine Vielzahl von Fragen, die Ihnen spontan einfallen würden und die als Basis für die anstehenden Herausforderungen dienen könnten. Diese sachlichen Fragestellungen reihen sich dabei linear aneinander und ergeben einen vermeintlich stringenten Projektverlauf zur Erreichung Ihres Zieles – dem Einzug in Ihrem neuen Heim.
- Entscheidung über den Standort…
- Entscheidung über die Hausform…
- Entscheidung über die Finanzierungsart…
- Entscheidung über die Umsetzungspartner…
- Behördliche Genehmigungsphase und Projektplanung…
- Erster Spatenstich…
- Rohbauphase…
- Innenausbauphase…
- Erstellung der Außenanlagen…
- Einzug…
So oder so ähnlich sehen die groben Phasen aus und alle Beteiligten nennen Ihnen in diesen Abschnitten ziemlich genaue Termine und Meilensteine, sichern Leistungen und spezifische Qualitäten zu, die bei genauem Hinsehen nicht zutreffen können. Eine Verzögerung hätte schon zu diesem Zeitpunkt prognostiziert werden können. Diese häufige Fehlbeurteilung der Realität basiert auf der Annahme, dass tausende Immobilien dieser Art erstellt wurden und der externe Beobachter nur das fertige und bewohnte Haus vor Augen hat. Hierbei sind es vor allem komplexe Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Abschnitten, die Ihre Projektplanung nachhaltig beeinflussen – und sehr häufig Bauherren verzweifeln lassen, da sie sich dem Vorstellungsvermögen entziehen.
Der Projektplan endet mit dem Einzug, genauso wie am Ende der meisten IT-Vorhaben der „Einzug“ der neuen Software steht. Sind wir hier wirklich am Ende?
Nein, denn in dieser Betrachtung werden weder zwischenmenschliche Friktionen noch die langfristigen emotionalen Wirkungen betrachtet. Diese Tatsache ergibt sich auch schon aus den zu Beginn gestellten Fragen, die zwischenmenschliche Interaktionen, Abhängigkeiten und Motivlagen grundlegend ausblenden.
Darüber hinaus ist die Basis eine lineare Planung, die nicht hinreichend die Vernetztheit des Gesamtsystems berücksichtigt und die Notwendigkeit entscheidungsrelevanter Führung bei dynamischen Veränderungen in den verschiedenen Phasen außer Acht lässt. Dabei gilt es, bei einer begrenzten Verfügbarkeit von Informationen zur Entscheidungsbewertung den Gesamtkomplex und die zugehörigen Menschen zusammenzuhalten. Die Verantwortlichen müssen verstehen, dass es keinen komplexen Projektplan geben kann , der ein mehrjähriges Vorhaben abschließend und risikofrei abbildet.
Betrachten wir das ganze vor dem Hintergrund typischer IT- Projekte:
Die Fragen zu Beginn von komplexen IT-Vorhaben ähneln unserer Erfahrung nach sehr den Fragen des Hausbaubeispiels. Es stehen vor allem Sacherwägungen im Mittelpunkt, die auch der Annahme folgen, dass diese Software schon tausende Male in ähnlicher Weise durch den gewählten Partner eingeführt wurde.
Die Finanzierung steht, das Projektteam ist ausgewählt, die Ausschreibung wurde durchgeführt, die Erwartungen, Prozesse sowie Funktionen definiert – das Lastenheft liegt vor. Nach den ersten Interviewrunden präsentiert der Lieferant einen sehr dezidierten Projektplan, mit allen Terminen und Meilensteinen bis zum Go-Live.
Der Projektplan basiert auf den Informationen der Ausschreibungsphase, dem Lastenheft und den Zusätzen der Initialgespräche. Er basiert definitiv nicht auf kulturellen Erwägungen, für die etwa Fragen relevant wären wie:
- „Wie ist die Geschichte des Unternehmens?“
- „Welche Bedeutung hat die derzeitige Softwarelandschaft?“
- „Welche informellen Strukturen gibt es?“
- „Wie funktioniert die Kommunikation im Unternehmen?“
- „Wie gehen die Menschen mit Wissen um, wie wird geführt und welche Beteiligungskultur liegt vor?“
Insbesondere diese Fragen ergeben einen geschlossenen Blick auf die Prozesse und vor allem auch – unter Anwendung der richtigen Fragetechnik – auf die informellen Abläufe. Diese sollen zwar nicht in der neuen Software abgebildet werden, aber diese zu ignorieren erzeugt spätestens bei der Einführung der neuen Software spezifische Widerstände.
Vorhandene Abwehrhaltungen gegen das Vorhaben gilt es, frühzeitig zu identifizieren und nicht zu unterdrücken, sondern zu bearbeiten.
Insbesondere die Frage nach der passenden Leitung solcher Vorhaben ist projektentscheidend, denn es ist bekanntermaßen nicht immer der Architekt der beste Projektleiter beim Hausbau. Für fachliche Spezialisten, die zwar ein Bild des Endproduktes haben, ist es oft schwierig, sich auf die dazwischenliegenden Phasen und die damit einhergehenden Probleme der Komplexität einzustellen. So mag es zeichnerische Lösungen geben, die für den Architekten aus gestalterischer Sicht brillant sind, allerdings funktionalen Kriterien kaum standhalten. So ähnlich geht es auch vielen IT-Projektleitern.
Es ergeben sich in Folge dessen sehr oft lineare Projektpläne, die auf den ersten Blick nur abgearbeitet werden müssen. Diese Pläne gehen allerdings davon aus, dass die einzelnen Phasen sich kaum gegenseitig beeinflussen. Es gibt berühmte Fälle in der Geschichte, die dieser Annahme aufgesessen sind. Haben Sie sich mal mit den Geschehnissen bei der Tschernobyl-Katastrophe am 26.4.1986 auseinandergesetzt? Nein? Das sollten Sie tun, denn die handelnden Personen waren alles fachliche Spezialisten. Und trotz eindeutiger Warnsignale wurden vorgeschriebene Routinen übergangen und der geplante Testlauf linear abgearbeitet.
Auch IT-Vorhaben sind keine reinen IT-Projekte, sondern vielmehr Organisationsveränderungen, die einer spezifischen Dynamik folgen. Die Führungsanforderungen und Kommunikationsnotwendigkeiten können nicht den typischen Organisationsroutinen folgen, da das System sich so nicht hinreichend auf die vorhandene Komplexität des Vorhabens einstellen kann. Es bedarf der Fähigkeit der „Rückwärtsplanung“ und Berücksichtigung spezifischer Eventualitäten, wobei hier Entscheidungswillen trotz teilweise diffuser Informationslage gefragt ist.
Die Komplexität von IT- Projekten ergibt sich weniger aus den fachlich-technischen Fragestellungen, sondern vielmehr aus den menschlichen Interaktionen und der Vernetztheit der phasenbezogenen Einzelmerkmale.
Somit ergeben sich spezifische Kompetenzen für die Verantwortlichen:
- Planungsfähigkeit im Sinne der Bewertung von mehrdimensionalen
- Abhängigkeiten (Ziele, Struktur, Prozess, Kommunikation und Kultur)
- Weniger Fachspezialist als Organisationsspezialist Weniger Steuerung
- der fachlichen Projektanteile und Phase, sondern Fähigkeit
- entstehende Konflikte anzusprechen und zu bearbeiten Vermittlung der
- Bedeutung und Erzeugung von Involviertheit bei den
- Gesamtverantwortlichen Fähigkeit zur Darstellung des
- organisatorischen Nutzenpotentials
Wenn diese Faktoren berücksichtigt werden, dann wird der aufgestellte Fahrplan nicht zur Agenda eines Sanierungsprojektes, sondern zu einer erfolgreichen Veränderung einer Organisation unter Nutzung technischer Möglichkeiten.