Mein Vortrag zum Thema auf dem Unternehmerforum Oberlausitz hat zu einigen sehr interessanten Fragen und Diskussionen geführt. Grund genug, die wichtigsten Punkte hier noch einmal darzustellen:
1. Preise
Wenn es um die Psychologie der Preisgestaltung und um Fragen der Gestaltung von Angeboten geht, so muss der erste Satz (leider) lauten: Der Preis kann nichts auslösen. Er wird erst dann wirksam, wenn die Kaufabsicht bereits besteht. Oder kurz gesagt: Wenn es so einfach wäre, könnte es ja jeder. Es ist also wie so oft, wenn es um Psychologie geht: Es kommt darauf an.
Im Bereich der Preistoleranz haben Preisunterschiede kaum einen Effekt bezüglich der Kaufentscheidung: Bei der Preisgestaltung ist zunächst die Frage wichtig, ob es sich um ein Produkt oder eine Dienstleistung handelt, die oft oder nur selten gekauft wird. Für Produkte, die öfter gekauft werden, verfügen Kunden über eine Art »Referenzpreis« (erlernte, jedoch nicht zwingend bewusste Orientierungsgrundlage zur Preiseinschätzung). Um diesen Referenzpreis herum liegt ein gewisser Toleranzbereich, innerhalb dessen sich ein Preis bewegen kann, ohne dass er als zu hoch oder zu niedrig eingeschätzt wird. Innerhalb der Preistoleranz haben Preisunterschiede kaum einen Effekt bezüglich einer Kaufentscheidung.
Liegt ein Preis deutlich außerhalb des Toleranzbereichs, verlieren Kunden das Interesse: Wird ein Produkt, für das es einen Referenzpreis gibt, als zu teuer eingeschätzt, bleibt die Heuristik »teuer = gut« wirkungslos, der Preis »kippt« also gleichsam aus der Preistoleranz heraus. „Der Preis spielt keine Rolle.“ heißt eigentlich: „Das Produkt darf ruhig teuer sein.“ Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Partner und Kunden argwöhnisch werden, wenn der Preis auffallend niedrig ist. Ein niedriger Preis kann als Zeichen für die geringe Qualität und ggf. auch für die geringe Vertrauenswürdigkeit des Anbieters empfunden werden.
Je teurer eine Leistung oder ein Produkt ist, desto weniger wird gespart: Menschen haben zwar oft eine generelle Tendenz zum Sparen, paradoxerweise sinkt diese Bereitschaft jedoch mit steigendem Preis. Während bei Zahnpasta Preisvergleiche angestellt werden, auf deren Grundlage gespart wird, ist man bei der Wahl der Möbel schon preistoleranter. Eine nur noch sehr geringe Tendenz zum Sparen durch Preisvergleiche lässt sich beim Kauf von Autos feststellen. Grundsätzlich gilt: Je teurer ein Produkt ist, desto geringere Wirkung entfalten Sparangebote. Man kann also davon ausgehen, dass Preisvergleiche insbesondere bei Standardprodukten einen Einfluss auf die Kaufwahrscheinlichkeit haben, bei besonderen Produkten hingegen kaum.
Die Involviertheit des Kunden und sein Wissen sind entscheidend: Betrachtet man das Ausmaß der Involviertheit (= des inneren Engagements bzgl. einer Kaufentscheidung) im Zusammenhang mit seinem Wissen über das Produkt, so entsteht eine interessante Systematik:
Bedeutet einem Kunden also der Kauf wenig und besitzt er auch nur wenig Wissen, dann kommt häufig die Regel »teuer = gut« zur Anwendung. Der Preis wird also zum direkten Zeichen für Qualität. Anders ist es, wenn dem Kunden der Kauf sehr wohl etwas bedeutet (hohe Involviertheit) und er sich vorher mit dem Produkt und der Produktkategorie beschäftigt hat. Dann verliert der Preis seinen Symbolcharakter und wird zu einem Merkmal unter vielen weiteren. Die Bedeutung des Preises relativiert sich im Verhältnis zu anderen Merkmalen, und der Preis wird zu einem Faktor des Gesamtnutzens.
Für die Formulierung von Angeboten und gegebenenfalls die späteren Verhandlungen kommt es also darauf an, ob der Kunde oder Geschäftspartner das Produkt oder die Leistung öfter nachfragt und dadurch über einen Referenzpreis verfügt. Handelt es sich nicht um Standardprodukte, sondern um mehr oder minder spezielle Leistungen, ist davon auszugehen, dass der Kunde keinen Referenzpreis hat. In solchen Fällen bleibt die Preistoleranz unbestimmt oder zumindest sehr groß. Des Weiteren ist ausschlaggebend, wie hoch die »innere Beteiligung« des Kunden ist. Ist sie hoch, so kann davon ausgegangen werden, dass der Preis keine vordergründige Rolle spielt, sondern nur eine Rolle unter vielen.
Kurz zusammengefasst spielt der Preis also bei Weitem nicht die Rolle, die ihm in Diskussionen oft zugeschrieben wird. Andere Faktoren spielen – zumindest bei allen Produkten und Dienstleistungen, die nicht standardisiert sind, und das betrifft den weitaus größeren Teil – eine wesentlich größere Rolle, etwa die Beziehung zwischen den potentiellen Geschäftspartnern (oder die Fähigkeit zum Beziehungsaufbau) und das Vorhandensein positiv abgrenzbarer USPs. Die Antwort auf die Frage, warum man ein bestimmtes Projekt ausgerechnet mit mir gut umsetzen kann, ist also für die meisten Unternehmen bzw. die meisten Angebote viel wichtiger als der Preis. (Wie gesagt: Das alles gilt nur in Ausnahmefällen für standardisierte Produkte oder Leistungen.)
Ist tatsächlich gut, was teuer ist? Die Verknüpfung »teuer = gut« existiert vor allem in den Köpfen von Kunden; in der realen Produktwelt hingegen gibt es sie nur zum Teil. So korrelieren Preis und Qualität tatsächlich nur in einem Teil der Fälle; in vielen anderen Fällen ist die Korrelation gleich null oder sogar negativ (qualitativ minderwertige Produkte mit hohen Preisen).
Es geht um Status – wenn ich mir etwas nicht leisten kann, wird es dadurch attraktiver: Die Bereitschaft zum Kauf teurer Produkte ist vom sozialen Status der Käufer abhängig (teure Produkte als Statussymbole). Menschen mit höherem Einkommen nehmen Preise anders wahr als Menschen mit geringerem Einkommen. Für Letztere kann ein Produkt umso wertvoller und prestigeträchtiger erscheinen, je weniger »erreichbar« es ist. Des Weiteren ist die Bereitschaft, höhere Preise zu bezahlen oder niedrigere vorzuziehen, von der Einstellung der Konsumenten abhängig. Wenn der Kauf eines bestimmten Produktes im Wertesystem einer bestimmten Zielgruppe als »extravagant« bzw. »unpassend« erscheint, führt dies zur Ablehnung des Produktes.
2. Wohin die Reise geht
Das hier behandelte Thema wird noch interessanter, wenn man es vor dem Hintergrund der aktuell ablaufenden »großen Entwicklungen« betrachtet:
Glaubt man Peter Drucker, dann erlebt die Industrie gerade das, was in der Landwirtschaft bereits vor längerer Zeit passiert ist – eine Steigerung der Produktivität bei stark abnehmenden Beschäftigungszahlen. Die Gegenwart sei bereits zum weitaus größten Teil von Dienstleistungen geprägt, das Problem dabei sei jedoch, so Drucker, dass unsere zentralen Instrumente wie bspw. Planung und Buchhaltung auf Modellen industrieller Logik beruhen. Wir haben diese Modelle auch auf Dienstleistungen, ja sogar die öffentliche Verwaltung übertragen, ohne jedoch die Geldflüsse Leistungen zuordnen zu können. Man weiß, wie viel hineingeht und wie viel wieder herauskommt, man weiß auch, wofür Geld ausgegeben wird, aber man kann Geld und Leistung nicht vernünftig zueinander bringen.
Interessante Schlussfolgerungen lassen sich ziehen, wenn man Druckers Betrachtungen mit einem Modell des Organisationspsychologen Edgar Schein verbindet und auf die Beziehungen zwischen Dienstleistern und ihren Kunden überträgt. So wie früher zunächst die Unternehmensberater ihren Kunden bei der Lösung anstehender, meist recht komplexer Aufgaben behilflich waren, sind heute die meisten Dienstleister (und auch viele Hersteller) damit beschäftigt, ihren Kunden zu helfen.
Nach Schein gibt es drei Formen dieser Hilfe:
Modus 1 – Spezialistenhilfe: Der Auftraggeber weiß nicht nur, dass er ein Problem hat, sondern er weiß genau, welches Problem er hat. Er kann es genau beschreiben und kennt die entsprechende Lösung. Die Auftraggeberseite wendet sich an einen entsprechenden Spezialisten und kauft die Lösung dort ein. Braucht man also für die Erledigung von Standardaufgaben für sieben Arbeitsplätze die entsprechende Standardsoftware mit einigen spezifischen Anpassungen an die Gegebenheiten des Unternehmens, so ist dies ein typischer Fall für Spezialistenhilfe.
Modus 2 – Das Arzt-Patient-Verhältnis: In diesem Fall weiß der Auftraggeber, dass er ein Problem hat, aber er weiß ggf. nicht genau, was in diesem Fall hilft. Auch hier wendet sich der Auftraggeber an Spezialisten, die jedoch nicht sofort die Lösung anbieten, sondern zunächst eine »Diagnose« erarbeiten, die dann die Grundlage für die Lösung bildet.
Modus 3 – Beratung und Lösungssuche als Prozess: In dieser dritten Variante kennen weder die auftraggebende noch die auftragnehmende Seite die genaue Natur des Problems, geschweige denn die Lösung. Die Ausgangslage ist so komplex, dass nur ein gemeinsamer Prozess des Suchens, der Analyse und des Entwickelns zur Lösung führt. Die Grundlage dieses Prozesses bildet die (helfende) Beziehung zwischen den Beteiligten.
Unsere gegenwärtigen unternehmensbezogenen Denkmodelle stammen im Wesentlichen aus der Industrie, und der gewohnte Modus der Zusammenarbeit zwischen Geschäftspartnern ist der der Spezialistenhilfe, ggf. noch der des Arzt-Patient-Verhältnisses. Momentane Ausgangslagen sind aber so komplex, dass Kunden oft nicht wissen, was das eigentliche Problem ist. Das hört man von Softwareentwicklern genauso wie etwa von Werbeagenturen. Ein Lösungsszenario in der IT-Landschaft besteht darin, keine umfassenden Anforderungskataloge mehr zu erstellen, sondern im ständigen Dialog mit dem Kunden die Software schrittweise zu entwickeln (Scrum). Größere Werbeagenturen eröffnen nicht selten kleine Büros in den Räumlichkeiten ihrer Kunden. Selbst in die Erstellung von Angeboten müssen die Kunden mittlerweile einbezogen werden, weil die Bedarfserfassung ein Prozess geworden ist, der sich kaum mehr in standardisierbare Phasen unterteilen lässt.
Die Ausführungen zu den gegenwärtigen Entwicklungen lassen zusammenfassend einen sich verstärkenden Prozesscharakter der Geschäftsabläufe erkennen und stellen (vor allem Dienstleister aber auch andere) Unternehmen vor die Aufgabe, immer kleinschrittiger und prozessorientierter zu arbeiten, was nicht zuletzt hohe Anforderungen an die Dialog- und Beratungsfähigkeit stellt und erfordert, gerade am Anfang von Projekten die richtigen Fragen zu stellen und sich Zeit für notwendige Klärungen zu nehmen.
Zum Schluss noch einige Worte zu den Zahlen selbst:
Erstens gehören zur Preisgestaltung auch Fragen der Optik – so werden so genannte »gebrochene Preise«, also Beträge kurz unterhalb eines runden Preises (199 EUR anstelle von 200 EUR) als niedriger und damit günstiger wahrgenommen. Ähnliches gilt für die Ziffernfolge des Preises – kleiner werdende Ziffernfolgen werden für günstiger gehalten als aufsteigende (531 EUR vs. 479 EUR). Darüber hinaus beeinflusst die Größe der Darstellung der Ziffern die Einschätzung des Preises (je größer die Ziffern, desto günstiger der Preis). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch Farben eine Rolle spielen. Viele Supermärkte haben mehrere Farben für Preisauszeichnungen. Allein der Umstand, dass ein Preis auf Papier in der mit »günstig« verknüpften Farbe gedruckt ist, sorgt für signifikante Umsatzsteigerungen, unabhängig davon, ob der Preis wirklich niedriger ist als regulär.
Zweitens ist der so genannte »Ankereffekt« zu beachten, der besagt, dass Menschen nur sehr bedingt in der Lage sind, Relationen richtig einzuschätzen, nachdem ein erster »Wahrnehmungsanker« gesetzt wurde. Das gilt für viele Arten von Einschätzungen oder Werturteilen. Der Effekt ist jedoch bei Zahlen besonders stark. Praktisch bedeutet das: Fordert der Staatsanwalt eine hohe Strafe, fallen auch das Plädoyer der Verteidigung und das Urteil höher aus als im Falle niedrigerer Strafforderungen. Die zuerst genannte Zahl »zieht« also alle danach gedachten und genannten Zahlen in ihre Richtung, ein Effekt, den man sich insbesondere bei Honorarverhandlungen zunutze machen kann. Drittens ist von einer gewissen »Tendenz zur Mitte« auszugehen. Wenn drei Ausstattungsvarianten vorliegen (bspw. Premium, Komfort und Basis), dann fällt die Entscheidung besonders häufig auf die mittlere Variante.
Quellen und weiterführende Literatur:
Bauer, F. (2000): Die Psychologie der Preisstruktur. Entwicklung der “Entscheidungspsychologischen Preisstrukturgestaltung” zur Erklärung und Vorhersage nicht-normativer Einflüsse der Preisstruktur auf die Kaufentscheidung. München: CS Press.
Drucker, Peter F. (2007): Managing in the next society. Classic Drucker Collection. Oxford: Elsevier/Butterworth-Heinemann.
Felser, Georg (2007): Werbe- und Konsumentenpsychologie. 3. Aufl. Berlin, Heidelberg: Spektrum.
Heidig, Jörg; Kleinert, Kim Oliver; Dralle, Thorsten; Vogt, Marianne (2012): Prozesspsychologie. Wie Prozesse, menschliche Faktoren und Wissen im Unternehmensgeschehen zusammenwirken. Bergisch Gladbach: EHP Edition Humanistische Psychologie.
Schein, Edgar H. (2009): Führung und Veränderungsmanagement. Bergisch Gladbach: EHP (EHP-Organisation).
Schein, Edgar H. (2010): Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Der Aufbau einer helfenden Beziehung. 3. Aufl. Bergisch Gladbach: EHP (EHP Organisation).