Worum es geht
In dieser Serie finden Sie eine Reihe von Ablaufmodellen und Methoden, die sich in Organisationsentwicklungsprojekten verwenden lassen — ergänzt um einige Praxisbeispiele sowie entsprechende theoretische Hintergründe. Teil 1 beschäftigt sich noch nicht mit konkreten Methoden, sondern will helfen, die späteren „Tools“ zu sortieren — also einen Werkzeugkasten zu bauen. Wer nur „Tools“ hat, sich aber nicht mit den Anlässen, Bedingungen und Prinzipien ihrer Anwendung — letztlich also mit ihrem „Entstehungs- und Verwendungszusammenhang“ — beschäftigt, den könnte man als „Tooligan“ bezeichnen, frei nach der mittlerweile sprichwörtlichen Aussage, wer nur einen Hammer habe, für den sei die Welt eben voller Nägel. 😉
Hintergrund: Was ist Organisationsentwicklung? (Definition)
Unter Organisationsentwicklung wird hier — in Abgrenzung zum Change Management — die gemeinsame Verständigung von Führungskräften und Mitarbeitern über die Belange ihrer Organisation verstanden. Während im Change Management eher bestimmte Soll-Vorstellungen von Strukturen und Abläufen (bspw. Lean Management oder agile Prozesse) zunächst von Führungskräften als hilfreich erachtet und dann implementiert werden, kennt das Setting der Organisationsentwicklung keine solchen Idealvorstellungen bzw. keine von vornherein vorgegebene Richtung. Mitarbeiter und Führungskräfte werden im Rahmen von Organisationsentwicklungsprojekten als Experten in eigener Sache angesehen. Am Beginn eines Organisationsentwicklungsprogramms kann eine Befragung (Interviews oder standardisierte Mitarbeiterbefragung) stehen. Auf der Grundlage der Ergebnisse werden dann gemeinsam Ansatzpunkte und Maßnahmen entwickelt. Die Begleitung einer Organisationsentwicklung besteht daher vor allem aus der Moderation von entsprechenden Arbeitsgruppen‑, Team- oder Schnittstellenworkshops oder/und einer begleitenden Beratung der beteiligten Führungskräfte.
Natürlich gibt es in der gelebten Praxis nur sehr selten „reine“ OE-Projekte, genauso wie es nur wenige „vollständige“ Umstellungen auf agile Prozesse gibt. Die Realität ist wie so oft eine Mischung aus verschiedenen Dingen, und es gilt, die Vorgehensweise an der Kultur des betreffenden Unternehmens sowie an den Erwartungen der Beteiligten auszurichten — und ja, letztere sind oft ambivalent oder mehrdeutig oder beides: Willkommen in der Realität von Organisationsentwicklern!
Im Kontext von Organisationsentwicklungsprogrammen oder ‑vorhaben geht es um eine Vorgehensweise, die man am Ehesten als „Schritt für Schritt“ bezeichnen könnte. Man gönnt sich quasi den Luxus, nicht von vornherein zu wissen, wie etwas werden soll. Wie oft kommt es vor, dass eine Führungskraft einen inspirierenden Vortrag hört und sich denkt: „Genau das ist die richtige Idee für uns!“ Genau darum geht es eben nicht, sondern es geht um eine gemeinsame Verständigung darüber, wie es werden soll und warum.
Um zu vermeiden, vielleicht in die falsche Richtung zu galoppieren, geht es in OE-Projekten zunächst eher langsam vorwärts: Man vergegenwärtigt sich — idealerweise auf der Basis empirischer Befunde — gemeinsam und zieht gemeinsam Schlussfolgerungen. Aber man sitzt keineswegs immer mit allen Beteiligten zusammen — Meetings, die größer sind als acht oder spätestens zwölf Personen, sind ohnehin kaum hilfreich, sondern sollten, wenn überhaupt, dann nur informatorischen (Betriebsversammlung, Ankündigungen…) oder „symbolischen“ Zwecken dienen (Sommerfest, Weihnachtsfeier, Firmenausfahrt…) oder sollten in kleinere Settings aufgeteilt und entsprechend moderiert werden (Start von größeren Projekten, breitere Mitarbeiterbeteiligung). Arbeitet man dennoch in größeren Settings, beispielsweise bei der Präsentation von Befragungsergebnissen, dann sind entsprechende Großgruppen-Methoden notwendig.
Bevor es losgeht: Wie kann man sich eine Organisation vorstellen, und was könnten relevante Fragen sein, um zu den richtigen Informationen zu kommen bzw. die tatsächlichen Probleme einer Organisation zu entdecken? (Metatheorie)
Eine Organisation lässt sich auf verschiedene Arten und Weisen „denken“. Wer einen Überblick zu allen einigermaßen populären Denkmodellen bzw. „Organisationsansätzen“ haben möchte, wird bei Gareth Morgan fündig. Zudem finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Darstellung der Geschichte der Organisationstheorien von Alfred Kieser auf diesem Blog. Als Hinweis zur konzeptionellen Einordnung der hier verwendeten „konzeptionellen Vorstellung“ von Organisation sei zudem auf einen grundlegenden Text verwiesen, der ebenfalls auf dieser Website zu finden ist: Wie lassen sich Organisationen verstehen?
Will man als Organisationsentwickler — oder auch Change Manager oder Teamentwickler oder Trainer oder Coach — eine Organisation zunächst einmal auf einer allgemeinen Ebene verstehen, um bspw. Informations- oder später auch Interventionsfragen stellen zu können, dann können m.E. die folgenden beiden Vorstellungen hilfreich sein:
Zunächst gibt es da die klassische Hierarchie. Man kann Organisationen in — einer entsprechenden „Linienlogik“ folgenden — Strukturen denken: Einer Führungsspitze sind entsprechende Abteilungsleitungspositionen nachgeordnet, denen dann wiederum z.B. Team- oder Referatsleiterpositionen folgen. Und so weiter. Die zunehmend bedeutsamere Rolle von Projekten und die sich beschleunigende Entwicklungsdynamik von Organisationen hat — vor allem projektgetrieben, bspw. durch die Einführung von Projektmanagament-Tools oder durch die Einführung eines ERP-Systems, das als Projekt selbst viele Veränderungen nach sich zog, oder durch das Bestreben, Innovationszyklen zu beschleunigen — zur Entwicklung einer so genannten „Matrixorganisation“ geführt. Wenn man genau hinschaut, gehört eine Matrixorganisation noch in die Welt der klassischen Hierarchie — zuletzt sticht auch in einer Matrix-Organisation der Ober den Unter, wie man in manchen Unternehmen gern sagt, was aber nicht nur beim Skat genau andersherum ist, sondern oft genug auch in der „organisationalen Realität“ 😉 In Bezug auf die Besprechungszusammensetzung und ‑reihenfolge kann ich als Organisationsentwickler nun fragen:
- Wer trifft wann wen zu welchem Zweck? In manchen Fällen ist es mir gelungen, mit dieser einen Zusatzfrage gravierende Störungen zu entdecken: Wer „macht“ die Agenda für wichtige Besprechungen? Bzw. wie ergibt sich die thematische Zusammensetzung bzw. Priorität? Viele Führungskräfte bemängeln, dass sie (a) in zu vielen Meetings sitzen und dass diese Meetings (b) kaum hilfreich oder wirksam seien. Auf die Frage, wer dafür verantwortlich sei, lautet die Antwort oft: „Das ist schon immer so.“ Oder: „Stimmt. Ich habe das noch nie infrage gestellt.“ Bei Besprechungen kommt es darauf an, dass besprochen wird, was wichtig ist — und dass man nicht in ein Muster gerät, das an „sich gegenseitig die Kalender vorlesen“ erinnert.
- Folgt die Reihenfolge der Besprechungen dem notwendigen Informationsfluss? Eine der wichtigsten Fragen in Unternehmen ist, ob alle relevanten Informationen zur richtigen Zeit an die richtige Person kommen können. Diese Frage ist alles andere als trivial, denn wenn relevante Informationen nicht fließen, können kostspielige oder gar gefährliche Fehler entstehen.
Im Grunde lässt sich die zweite Frage auf wiederum zwei verschiedenen Ebenen beantworten:
- Ist die Besprechungsstruktur so angelegt, dass rein von der Abfolge, vom Ablauf und von der vorgesehenen Zusammensetzung der verschiedenen Besprechungen alle Informationen so „fießen“ können, dass sie sowohl innerhalb eines Arbeitsbereiches als auch an den relevanten Schnittstellen zwischen verschiedenen Arbeitsbereichen sowie von unten nach oben als auch von oben nach unten entsprechend angebracht („Bringschuld“) als auch abgeholt („Holschuld“) werden können?
- Sind die Beziehungen zwischen den handelnden Personen dergestalt (Rückhalt durch Führungskräfte, Vertrauen im Team und zu den Führungskräften, ausreichendes Sicherheitsgefühl (Fachbegriff: psychologische Sicherheit) bei den handelnden Personen, auch kritische Informationen weitergeben zu können ohne vor Sanktionen oder anderen Einschränkungen Angst haben zu müssen?
Zum anderen kann man eine Organisation in Prozessen denken. Hier gibt es grundlegend zwei verschiedene Ebenen. Auf der „praktischen“ Ebene der primären Wertschöpfung wird etwas hergestellt, verarbeitet oder geleistet. Zweitens muss man bestimmte Dinge einkaufen, Rechnungen schreiben und die Umsätze an das Finanzamt melden, Mitarbeiter finden usw. (Unterstützungsprozesse). Auf der „kommunikativen“ Ebene geht es um die Koordination der primären Leistungen — man muss miteinander reden, um die Arbeit zu koordinieren. Die Kommunikation liegt gleichsam „zwischen“ der Ebene der primären Wertschöpfung und den Unterstützungsprozessen. Folgt man dieser „Denke“, kann man u.a. die folgenden Fragen stellen, um eine Organisation zu analysieren:
- „Stellen Sie sich bitte einmal den ‚Kernprozess‘ Ihres Unternehmens (oder: Ihrer Organisation) vor: Etwas kommt an, wird ggf. zunächst gelagert, wird dann ‚eingespannt‘ oder ‚verwendet“, wird weitergereicht, weiter bearbeitet und am Ende kommt etwas heraus, das verkauft (und ggf. versendet) wird. Wo in dieser ‚Prozesskette‘ sind Sie verortet? Und welche Dinge laufen da gut und welche weniger gut oder gar nicht?“
- „Neben dem Kernprozess gibt es ja noch die Meetings und Gespräche, die geführt werden, damit der eigentliche Kernprozess funktioniert. Wenn Sie einmal an diesen — in Anführungsstrichen: ‚Kommunikationsprozess‘ — denken: Ist dieser in geeigneter Weise strukturiert? Reden die Leute miteinander, die miteinander reden sollten? Und das zum geeigneten/brauchbaren/hilfreichen Zeitpunkt? Und — oft die Quelle mancher Störung — in einer geeigneten/funktionierenden Weise? Meine Frage lautet: Wie müsste die Kommunikation — also die den primären Wertschöpfungsprozess begleitende — ‚Gesprächskette‘ oder ‚Besprechungskette‘ organisiert sein, damit alles funktioniert?“
Zusammenfassung der ersten beiden Abschnitte
Eingangs wurde dargestellt, worum es bei Organisationsentwicklung geht — um eine gemeinsame Vergegenwärtigung über die Belange, die aktuelle Situation und den Entwicklungs- oder Veränderungsbedarf einer Organisation oder eines Unternehmens sowie die Planung und Umsetzung der sich ggf. daraus ergebenden Entwicklungsschritte durch Führungskräfte und Mitarbeiter.
Des Weiteren wurde deutlich, dass es einen primären Prozess der Wertschöpfung und sekundäre Unterstützungsprozesse gibt — und dass entsprechende Meetings und andere Interaktionsmöglichkeiten den Kommunikationsprozess bilden, der alle Handlungen in einer Organisation möglichst wirksam (und effizient) koordiniert.
Im Rahmen von Organisationsentwicklungsmaßnahmen wird nun ein weiterer Kommunikationsprozess initiiert und begleitet, der den Status quo in hilfreicher bzw. wirksamer Weise infrage stellen soll — und zwar nicht grundsätzlich aus der Perspektive einer von außen an die Organisation herangetragenen „Denke“ (bspw. Lean Management oder agile Prozesse; das wäre dann eher Change Management), sondern als eine Art Selbst-Hinterfragung derjenigen, die tatsächlich am Geschehen beteiligt sind. Externe Hinweise und Inspiration durch bereits vorhandene Organisationsmodelle können hilfreich sein, aber eben als Inspiration und nicht als Soll-Vorstellung oder Zielgröße.
Fußnote: Sie bemerken an dieser Stelle vielleicht eine der Grundannahmen der Organisationsentwicklung: Dem Ansatz wohnt, soziologisch formuliert, eine „emanzipatorische Dimension“ inne. Die Beteiligten werden als Experten in eigener Sache angesehen, und einer externen Soll-Vorstellung („Wenn wir agil werden und das so wie Unternehmen X machen, werden wir effizienter, und es wird uns mehr Spaß machen, hier zu arbeiten!“) wird der Wert einer Option zugeschrieben, aber keineswegs unkritisch der Rang eines Ziels verliehen.
Nach der Darstellung dieses das Wissen hoffentlich systematisierenden bzw. strukturierenden Hintergrunds könnten wir nun beginnen, über den eben erwähnten „weiteren Kommunikationsprozess“, der gleichsam auf einer „Metaebene“ stattfindet, nachzudenken und die entsprechenden Methoden und Instrumente darzustellen.
Zum Ablauf von OE-Projekten
Um die Fächer unseres „Methodenbaukastens“ in geeigneter Weise einzurichten, sei hier zunächst das typische Ablaufmuster eines Organisationsentwicklungsprojektes dargestellt — versehen mit dem Hinweis, dass in der Praxis einerseits kaum ein Projekt wirklich konsequent diesem Muster folgt, weil man viel experimentieren und auf eher spontane Erfordernisse reagieren muss, andererseits über viele Projekte hinweg betrachtet das Muster doch wieder aufscheint.
Auftragsklärung: Haben wir überhaupt Entwicklungsbedarf, und wenn ja, welchen? Wer kann uns dabei helfen? Wie kann man vorgehen? Bei manchen Systemikern heißt es, eine gelungene Auftragsklärung sei bereits die halbe Intervention. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, dass, falls im Laufe des Prozesses etwas „stört“ und man die Störung — aus welchen Gründen auch immer — nicht so bearbeiten kann, dass der Prozess weitergehen kann, man immer auf die ursprüngliche Erwartungsfrage zurückgreifen kann:
- Wo stehen wir gerade? (kurze Statements)
- Lassen Sie uns da bitte noch einmal vergleichen mit dem, was wir an Erwartungen und Zielen vereinbart/formuliert haben. Vor diesem Hintergrund: Was ist gerade passiert? Sind wir da auf dem richtigen Weg? Wie können wir mit der Situation umgehen? Ergeben sich ggf. neue Erwartungen?
- Oder inwiefern ist die „Störung“ (Unterbrechung, die soeben geführte Diskussion; man muss hier „hilfreiche“ oder mindestens „unschädliche“ Bezeichnungen finden) von der Art, dass wir das zuerst klären müssen?
Auch wenn sich die Diskussion vielleicht phasenweise immer wieder „eingräbt“ — Sie werden sehen, dass, wenn man im fraglichen Fall wie bei einem bekannten Brettspiel immer wieder auf „LOS“ geht und „Startkapital einsammelt“ — was in unserem Fall etwa Folgendem entspricht: immer wieder den Erwartungsabgleich macht; fragt, inwiefern man auf einem hilfreichen/guten usw. Weg ist; ggf. bittet, die Erwartungen zu korrigieren oder neu zu formulieren —, sich die Beteiligten auch in schwierigeren Diskussionen immer wieder darauf besinnen, worum es eigentlich geht — mit einer Ausnahme, nämlich wenn die ggf. bestehenden Konflikte zu alt bzw. zu „kalt“ sind und die Intervention schlicht zu spät kommt. (Lesen Sie in diesem Beitrag, wie man feststellen kann, ob ein Konflikt zu alt bzw. zu „kalt“ ist, um sich noch bearbeiten zu lassen.)
Abbildung: Die beste Technik, mit Störungen umzugehen, ist, konkretisierend nachzufragen. Nach Erwartungen zu fragen ist wie in einem bekannten Spiel über „Los“ zu gehen: Man bekommt das „Startkapital“ für eine neue Runde.
Manchmal bricht ein — oft „hoffnungsvoll“ oder sogar „begeistert“ begonnenes — Organisationsentwicklungsprojekt trotz gelungener Auftragsklärung nach relativ kurzer Zeit ab. In den ersten Jahren meiner Tätigkeit als Organisationsentwickler habe ich mich darüber gewundert und mich dementsprechend gefragt, was ich falsch gemacht habe. Ich kam nicht drauf. Hatte ich doch in diesem einen, nach kurzer Zeit irgendwie „höflich versandeten“ Projekt nichts wesentlich anderes getan als in den anderen beiden, die ich parallel betreute und die gut liefen! Und waren doch alle Beteiligten beim letzten Workshop noch überzeugt, dass die Zusammenarbeit gut und die identifizierten Probleme zutreffend und die gemeinsam entwickelten Maßnahmen genau die richtigen seien! Diese für mich noch rätselhafte Erfahrung war Grund genug, einmal ein Urgestein der Organisationsentwicklung um Rat zu fragen. Die Gelegenheit kam in Zürich bei einem Workshop mit Edgar Schein. Während des Workshops hatten die Teilnehmer Gelegenheit, eigene Fälle vorzubringen. Ich nutzte die Chance, meinen nicht gelungenen Fall zu schildern. Die Antwort war kurz und verblüffend einfach: „Wenn die verwendeten Tools und die dahinter liegenden Grundhaltungen nicht zur Kultur einer Kundenorganisation passen, scheitert das Projekt. Sie können dann nach dem Muster ‚Take the money and run‘ handeln und so lange drin bleiben, bis sie rausfliegen, oder Sie brechen das Projekt selbst ab.“ Seither breche ich Projekte durchaus auch selbst ab.
Befragung: Denkbar sind (a) Interviews mit aussagekräftigen Personen aus allen relevanten Ebenen und Bereichen oder (b) eine Kombination aus Interviews und standardisierter Mitarbeiterbefragung oder © eine reine Fragebogenerhebung. In letzterem Fall müsste man aber im Vorfeld der Erhebung die Belange der Organisation sehr gut kennen, um das Instrument situationsadäquat zu strukturieren, denn in der Regel kann man keinen „irgendwie alles“ umfassenden Fragebogen mit mehr als 300 Items zum Einsatz bringen. Bei kleineren Organisationen (bis 200 Mitarbeiter) halte ich auf der Grundlage meiner Erfahrungen eine Anzahl von 15 bis 30 Interviews für ausreichend. Wir haben die Interviewphase auch schon als eine Reihe von Gruppendiskussionen mit bis zu 15 Personen durchgeführt und anschließend auf dieser Grundlage ein Instrument für eine standardisierte Mitarbeiterbefragung entwickelt. Der „Königsweg“ besteht meines Erachtens in der Kombination beider Methoden — habe ich zunächst Interviews und dann eine standardisierte Befragung durchgeführt, erhalte ich nach der Auswertung tatsächlich so etwas wie die größtmögliche Gewissheit, alle Themen und Perspektiven erfasst UND ein repräsentatives Stimmungs- und Meinungsbild erstellt zu haben.
Wir haben gemeinsam mit unseren Kollegen von MAS Partners eine umfangreiche Basis für Mitarbeiterbefragungen entwickelt, die mehrere Hundert Fragen umfasst. Welche Fragen zur Anwendung kommen, ist immer abhängig vom konkreten Fall. Damit wir aber nicht nur Mitarbeiterbefragungen an und für sich — also als Einzelprojekte mit mehr oder weniger singulären Ergebnissen, die regelmäßig zu der Frage führen, ob ein konkretes Ergebnis nun „gut“ oder „schlecht“ sei — durchführen, sondern unseren Kunden eine Vergleichsmöglichkeit (repräsentative Vergleiche für die Region, die Branche, die Unternehmensgröße usw.) bieten können, führen wir seit 2016 alle zwei Jahre eine große, für Mitteldeutschland (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) repräsentative Studie zu Themen wie Mitarbeiterbindung, Arbeitgeberattraktivität, Organisationskultur, Motivation usw. durch. In dieser Beitragsserie finden Sie die interessantesten Ergebnisse der 2020er Erhebungswelle, in deren Rahmen wir unter anderem die Stimmung in den Unternehmen vor Corona und mitten im Lockdown miteinander vergleichen konnten.
Datenauswertung: Aus der Analyse von Interviews lässt sich gut herausarbeiten, wo Dinge gut laufen bzw. wirksam strukturiert sind und wo nicht. Unsere Interviews sind in der Regel anhand der oben beschriebenen „grundlegenden Unterscheidungen“ strukturiert: Wir fragen nach primären Prozessen, nach Unterstützungsprozessen und nach dem beide Prozessebenen begleitenden Informationsflüssen bzw. Besprechungsstrukturen und anderen, ggf. IT-basierten Interaktionsmöglichkeiten. Wenn man in dieser Richtung fragt und sich insbesondere konkrete Handlungs- und Handlungskoordinationsabläufe (die Handlungen sind das Konkrete, die Handlungskoordination ist die begleitende Kommunikation) schildern lässt, findet man in der Regel sehr konkret heraus, was gut läuft und wo Sollbruchstellen in den Prozessen liegen oder der Informationsfluss unterbrochen ist oder nicht richtig funktioniert. Das ist erst einmal nur die Ablauf-Perspektive. Hinzu kommen noch weitere Faktoren, bspw. externe Einschränkungen (etwa ein Investitionsstau, der durch zu hohe Gewinnabschöpfung des Gesellschafters verursacht wird) oder „rein menschliche“ Faktoren wie: „X kann Y nicht leiden und redet deshalb nicht mit ihr.“
Ergebnispräsentation: Nach meiner Erfahrung liefern Interviews die besseren Ergebnisse im Hinblick auf konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung von Abläufen oder zur Veränderung von Strukturen. Man erfährt deutlich mehr über das, was tatsächlich und konkret gut funktioniert und wo es welchen Handlungsbedarf gibt — vorausgesetzt man bringt ein ausgeprägtes Interesse und die richtigen Fragen mit (um letztere ging es ja weiter oben schon). Quantitative Daten, also die Ergebnisse standardisierter Befragungen, liefern hingegen weniger konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung von Abläufen oder zur Veränderung von Strukturen, ermöglichen aber ein generelleres und deutlich objektiveres Bild der Gesamtsituation — und ermöglichen Vergleiche zwischen Abteilungen und ggf. auch Feedbacks zu einzelnen Personen (insofern 360-Grad-Feedback-Elemente integriert sind).
Eine der wesentlichen Fragen bei der Ergebnispräsentation lautet, ob nur die Ergebnisse oder auch schon (berater-eigene) Schlussfolgerungen präsentiert werden. Die „reine Lehre“ sagt, dass nur Befragungs- bzw. Auswertungsergebnisse präsentiert werden sollen, und die Schlussfolgerungen in der Verantwortung der Kundenseite liegen sollen. Allerdings weichen hier die Erwartungen in der Praxis deutlich von der reinen Lehre ab. Berater werden regelmäßig gebeten, ihre Meinung zu sagen, Schlussfolgerungen anzubieten und Vorschläge zu unterbreiten. Praktisch kommt es darauf an, welche Rolle die Beraterseite einnimmt — Berater können als Spezialisten handeln, dann werden von ihnen auch konkrete Lösungen erwartet; Berater können handeln wie Ärzte und eine Anamnese durchführen, eine Diagnose stellen und eine Verschreibung (also Handlungsvorschläge) formulieren; schließlich können Berater auch die Rolle von Prozessbegleitern spielen und ihren Kunden dabei helfen, sich ihrer eigenen Situation gewahr zu werden, diese anschließend einzuschätzen und zu überlegen, was und wer helfen könnte (was nicht zwingend die anfänglich beteiligten Berater sein müssen). Ich wähle in der Regel die Rolle des Arztes und entscheide im Prozess, ob ggf. eine der anderen beiden Rollen hilfreich ist. Mehr über diese Beraterrollen finden Sie direkt bei Edgar Schein.
Entwicklung von Organisationsentwicklungsmaßnahmen, Begleitung bei diesen Maßnahmen, Durchführung von Zwischenauswertungen: Hier werden drei große Schritte oder Abschnitte von OE-Projekten zu einem zusammengefasst, obwohl es sich um die wahrscheinlich komplexesten und am schwierigsten zu beschreibenden Phasen von Projekten handelt. Genau dieser Punkt ist aber der Anlass für diese Serie von Texten über Organisationsentwicklungsmethoden. Das heißt, das Thema dieser Serie sind genau diejenigen Methoden, die bei der Entwicklung, Begleitung und Zwischen-Evaluation von OE-Maßnahmen hilfreich sind. Hier sollen vorab nur einige „Meta-Kriterien“ dargestellt werden, die helfen können, die richtige Methode auszuwählen und den richtigen „Scope“ (am ehesten mit einer Begriffsverbindung aus „Wirkungskreis“ und „Beteiligungstiefe“ zu übersetzen) zu bestimmen.
Ebenen: Es lassen sich verschiedene „Ebenen“, „Bereiche“ und „Sollbruchstellen im Prozess“ bestimmen, auf denen man ansetzen kann und die man klug miteinander verbinden sollte:
- Ebenen: beispielsweise hierarchische Ebenen, zentralere oder peripherere Führungskreise, Management-Zirkel, thematische Arbeitsgruppen usw.
- Bereiche: beispielsweise Teams oder Abteilungen
- Sollbruchstellen im Prozess: beispielsweise Schnittstellen in der Prozesskette (ggf. zu unterscheiden nach primärer Wertschöpfung und Unterstützungsprozessen)
Es gilt, die Maßnahmen so zu planen, dass sie an der richtigen Stelle oder auf der richtigen Ebene ansetzen. Bei der Durchführung von Workshops ist wichtig, dass die beteiligten Schnittstelleninhaber und ggf. die entsprechenden Führungskräfte (letztere spielen oft die Rolle von „Ermöglichern“ oder „Türstehern“ in Bezug auf Veränderungen; ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die verantwortlichen Führungskräfte so weit es geht mit einzubeziehen) beteiligt sind, andererseits aber auch nicht zu viele Personen an einem Workshop teilnehmen. Für einen initialen Workshop zur Problemdefinition oder zur Entwicklung von Maßnahmen können — entsprechend moderiert — durchaus mehr als sieben bis zehn Personen teilnehmen. An einem Workshop, bei dem es um konkrete Veränderungen beispielsweise bezüglich einer Schnittstelle im Produktionsprozess geht, sollten hingegen nicht mehr als sechs bis acht, im Höchstfall zehn Personen teilnehmen.
Oft kommt es auf eine „kluge Reihenfolge“ an. In der Regel beginnt die Präsentation der Ergebnisse im engeren Führungskreis (bspw. Geschäftsleitung, Bereichsleiter, Stabsstellen wie bspw. Personal, Marketing, Controlling). Als dann sollten die Ergebnisse in gleicher oder sehr ähnlicher Weise beim Betriebsrat und in den einzelnen Bereichen vorgestellt werden. Ich habe auch schon Ergebnispräsentationen vor kompletten Betriebsversammlungen gehalten.
Was bei der Ergebnispräsentation noch einfach ist, wird bei der Maßnahme-Erarbeitung und bei der Begleitung schon komplizierter. Allgemein ließe sich die Gestaltungsaufgabe so formulieren: Man braucht einen guten Wechsel zwischen eher zentralen, „steuernden“ Workshops und eher konkreten, auf Ergebnisse fokussierten Aktivitäten. Was hier gemeint ist, wird vielleicht am ehesten an einem schematisierten Ablauf deutlich. Es handelt sich letztlich um eine Abfolge von Workshops und Besprechungen auf verschiedenen Ebenen — allgemeineren zur Steuerung und konkreteren zur Erarbeitung und Umsetzung von Schritten:
- Präsentation der Ergebnisse in einem zentralen Führungskreis, im Betriebsrat und vor der Belegschaft, danach ggf. ein gewisser Zeitraum, die Ergebnisse „setzen“ zu lassen
- Workshops zur Entwicklung von Maßnahmen wiederum mit dem Führungskreis — und dann einer Auswahl von Vertretergruppen oder innerhalb von Teams oder Bereichen; solche Workshops können auch mit der gesamten Belegschaft durchgeführt werden, erfordern dann aber ein entsprechendes Moderatorenteam bzw. für größere Gruppen geeignete Moderationsmethoden
- Priorisierung der Maßnahmen: Hier gibt es zwei konkurrierende Zielvorgaben oder Interessen — oft gibt es einerseits Themen und Ansätze, die eine relativ große Wirkung versprechen, aber aufwendiger und ggf. langwieriger in der Umsetzung sind, und andererseits Themen und Schritte, die „schnelle Prozessgewinne“ bedeuten, aber von der Wirkung her eher von geringerem Wert sind, sich aber leichter umsetzen lassen. Die „reine Lehre“ empfiehlt, mit den „low hanging fruits“ anzufangen, damit die Veränderung mit Erfolgserlebnissen beginnt und nicht die langwierigen und komplizierten, dafür aber vielleicht wirkungsvolleren Projekte die Motivation der Beteiligten langsam „aushungern“.
- Nach der Priorisierung: Durchführung von Workshops zur Bearbeitung der entsprechenden „Baustellen“ bzw. zur weiteren Konkretisierung und Umsetzung der Maßnahmen; Wahl eines geeigneten zeitlichen Abstands für die Workshops; Sicherung der Kontinuität der Umsetzung
- Begleitend: Workshops mit dem Führungs- oder einem gesondert für das OE-Projekt geschaffenen Steuerungskreis zur (steuernden) Begleitung der konkreteren Programme und zur Zwischenauswertung des gesamten OE-Prozesses (Nachschärfung von Zielen, In-Gang-Setzen weiterer Teilprojekte nach der Erreichung der ersten Ziele bzw. der Bearbeitung der ersten Themen/Schnittstellen)
Fußnote zum Punkt Workshops zur Entwicklung von Maßnahmen: Der Vollständigkeit halber möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die hier dargestellten Modelle und Methoden vor allem bei Unternehmen erprobt wurden, die höchstens 1000 Mitarbeiter umfassen und die „relativ klassisch“ (hierarchische Organisationsformen; team-orientierte Organisationsformen; Matrix-Organisationen) organisiert sind. Oft genug stellt der Umstand der gemeinsamen Verständigung zwar eine hilfreiche und entsprechend wirksame Art der Entwicklung dar, bedeutet aber gerade deshalb auch eine gewisse Herausforderung — das Spektrum der „Passfähigkeit“ einer jeweils gelebten Organisationskultur zu den Methoden der Organisationsentwicklung reicht hier von „gut funktionierend“ über „irritierend, aber wirksam“ und „immer wieder grundlegenden Gesprächs- und Abstimmungsbedarf erzeugend, am Ende aber doch funktionierend“ bis hin zu den bereits besprochenen, relativ plötzlichen und oft unerwarteten Abbrüchen der Zusammenarbeit.
Es gibt mindestens zwei andere Fälle, die von den hier dargestellten Annahmen und Abläufen grundsätzlich abweichen bzw. für die die hier dargestellten Modelle und Methoden nur unter bestimmten Umständen oder nicht anwendbar sind:
- In letzter Zeit haben sich Organisationen gebildet, deren „zentrale Gestalter“ bereits bei der Gründung der Organisation viele (ideale) Organisationsmodelle evaluiert und für den konkreten Anwendungsfall ihrer Organisation angepasst haben. Dabei können besonders agile und hierarchiearme, besonders mitarbeiterfreundliche oder am Kriterium der Nachhaltigkeit orientierte Unternehmen entstanden sein — die nicht selten bereits in ihrer Anlage oder Grundstruktur den Gedanken ihrer eigenen Selbst-Infragestellung bzw. Weiterentwicklung gleichsam in sich tragen, im Sinne der Definition also „lernende Organisationen“ sind und entsprechende Prozesse vorgesehen haben und im gelingenden Fall auch leben. Die in diesem Beitrag dargestellten Modelle lassen sich nicht prinzipiell auf solche Organisationen anwenden. Allerhöchstens die Beschreibungen von Moderationsmethoden wären übertragbar, da aber solche Organisationen häufig bereits Moderationsrollen vorsehen und oft auch inhaltliche von Prozessverantwortungs-Rollen trennen, bleibt auch diese Anwendbarkeit begrenzt — bzw. brauchen die jeweiligen Organisationen keine externe Hilfe, sondern können das selbst.
- Wenn man einem Konzern die Eigenschaft „mutig“ zuschreiben kann, dann gibt es derzeit eine Reihe recht mutiger Konzerne, die — oft getrieben durch eine absehbar enger werdende oder sich gegenwärtig oder in Zukunft drastisch verändernde Marktlage — tatsächlich — noch vor wenigen Jahren ungeahnte — neue Wege gehen und ihre Innovationen in bereichsübergreifende Gruppen oder Gremien auslagern, die — entsprechende Beteiligung und Plausibilitätsprüfung vorausgesetzt — tatsächlich autonom (= unabhängig vom Votum der Führungsspitze) Veränderungen erarbeiten UND umsetzen können. Insofern hält die Organisationsentwicklung — eigentlich ja ein Konzept aus den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts — gleichsam durch die Hintertür wieder Einzug, nur eben nicht mehr als Beteiligungsformat, sondern als Methode der gemeinsamen Verständigung unter Mitwirkung, aber nunmehr OHNE die letztendliche Kontrolle der Organisationsleitung. Vielleicht könnte man das OE 2.0 oder besser OE 4.0 nennen und würde damit sogar eine „zeitgeistige“ (= dem Zeitgeist entsprechende) Marke besetzen.
Um folgende Themen kann es sich bei OE-Workshops beispielsweise handeln:
- Rollenklärung oder Neuzuschnitt von Aufgabenbereichen
- Schnittstellenklärung bzw. ‑optimierung
- Einführung oder Streichung von Hierarchieebenen (bspw. Einführung einer Teamleiterebene oder Wegfall von Führungsrollen und deren „Verlagerung in Prozesse“)
- Erarbeitung und Etablierung neuer Meeting-Strukturen und ‑Abläufe
- Implementierung bestimmter Führungs- oder Management-Techniken (Abgrenzung zum Change Management schwierig bzw. fließend)
Die nachfolgenden Texte dieser Serie dienen u.a. der näheren Beschreibung von Methoden zur Bearbeitung der soeben aufgezählten Themen in Workshops und Teammeetings.
Wann ist ein OE-Projekt zu Ende?
Eine interessante Frage ist, ob Organisationsentwicklungsprojekte ein Ende haben. Nach eher klassischer Vorstellung folgen OE-Projekte dem Muster Auftauen-Verändern-Stabilisieren, das Kurt Lewin zugeschrieben wird (ob der das allerdings tatsächlich so gemeint hat, ist eine weiterführende und durchaus diskussionswürdige Frage). Auf der Grundlage aktuellerer Modelle zur Unternehmensveränderung und insbesondere in Anbetracht der nach wie vor steigenden Komplexität bei gleichzeitiger Dynamisierung der Entwicklungen auf den Märkten steht zu bezweifeln, ob die Beteiligten Zeit für eine Stabilisierung haben.
Fußnote: Mit Blick auf Themen wie Umwelt- und Artenschutz wünschen sich viele Menschen eine Verlangsamung des Wachstums, aber ob das bei mehreren Milliarden interagierender und arbeitender Menschen auf dem Planeten überhaupt möglich ist, bleibt eine aus meiner Sicht offene bis skeptisch zu beantwortende Frage. Vielmehr sollte es meines Erachtens darum gehen, menschliche Handlungen auf neue Ziele auszurichten. Eine eventuelle Selbst-Beschränkung wäre dann eine Folge, aber kein Ziel oder Selbstzweck. Wenn ich meine Handlungen auf den Erhalt unseres Lebensraumes ausrichte und versuche, die Bilanzkreise von Unternehmen auch in Bezug auf ihre Umwelt-Auswirkungen tatsächlich berechenbar und für einen normalen Menschenverstand logisch erfassbar zu machen, dann ergeben sich möglicherweise neue Handlungsrichtungen, die für Menschen attraktive Ziele bedeuten. Eine reine Fokussierung auf „no growth“ ist, denke ich, nicht attraktiv — und keiner kann so recht ableiten, welche Handlungen das bedeutet. Ein Ziel, das bedeutet, ein Unternehmen klimaneutral zu machen, kann hingegen attraktiv sein — und das Schöne an einem solchen Ziel ist, dass man konkrete Handlungen ableiten kann. Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag über werteorientierte Unternehmensentwicklung.
Das Nachdenken über Veränderung wird nach meinem Dafürhalten realistischer, wenn man davon ausgeht, dass Veränderung ein Dauerzustand ist, gleichzeitig aber auch einige Dinge stabil bleiben. Kaum sind Veränderungsziele erreicht, kommen schon die nächsten Erfordernisse und Projekte auf und zu, lautet die Erfahrung vieler Veränderungsakteure. Gleichzeitig stimmt oft genug auch der Satz: Da bewegen wir uns seit Jahren in die richtige Richtung, aber manche Dinge ändern sich nicht.
Am Ende erscheint der Zusammenhang zwischen Stabilität und Veränderung auf paradoxe Weise miteinander verschlungen: Etwas muss gleich bleiben, damit es sich verändern kann, und etwas muss sich verändern, damit es gleich bleiben kann. Oder in der Sprache eines meiner Kunden ausgedrückt: „Die Katze beißt sich in den Schwanz. Wenn Du nichts änderst, überholt Dich die Zeit. Wenn Du etwas änderst, hast Du zu kämpfen damit. Die Summe der Probleme bleibt gleich.“
Diese Betrachtungen legen nahe, dass Veränderung — oder hier: Organisationsentwicklung — nicht aufhört. Nach meiner Erfahrung tut sie das auch tatsächlich nicht — was die beteiligten Akteure aber nicht davon abhalten sollte,
- Projekte, Ziele und Meilensteine zu formulieren und bestimmte, sich daraus ergebende Phasen (oder eben ganze Projekte) für beendet bzw. die entsprechenden Ziele für erreicht zu erklären und
- die beteiligten Organisationsentwickler nach spätestens drei bis vier Jahren zu wechseln (ggf. mit einer kürzeren oder längeren Pause zwischen intensiveren OE-Phasen), denn wie bei jeder Form von Hilfe hat auch die Beziehung zwischen einem Organisationsentwickler (oder einem entsprechenden Team) und einem Unternehmen eine „Halbwertszeit“. Irgendwann hat man alles gesagt und jede Methode angewandt, und irgendwann wird man immer weniger und zum Schluss kaum mehr hilfreich sein. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die Zusammenarbeit mit Kundenorganisationen nach zwei bis drei, spätestens nach vier Jahren zu beenden — oder im Ausnahmefall so signifikant zu verändern, dass ein neuer Fokus der Zusammenarbeit entsteht.