Was man am Anfang richtig macht, kann einem später nicht auf die Füße fallen
Wenn man beispielsweise bei Teamentwicklungen oder Führungsklausuren am Anfang nach Erwartungen fragt oder — bei längeren bzw. größeren Projekten — Betroffene von Anfang an beteiligt und zu Experten in eigener Sache macht, wird man weniger böse Überraschungen erleben.
Worum es geht
In dieser Serie finden Sie eine Reihe von Ablaufmodellen und Methoden, die sich in Organisationsentwicklungsprojekten verwenden lassen — ergänzt um einige Praxisbeispiele sowie entsprechende theoretische Hintergründe.
Teil 1 hat sich noch nicht mit konkreten Methoden beschäftigt, sondern sollte helfen, die in den späteren Texten vorgestellten „Tools“ zu sortieren — also einen Werkzeugkasten zu bauen.
In diesem Beitrag geht es nun um eine Reihe solcher Tools, nämlich Methoden für den Anfang von Workshops, und zwar unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um Teamentwicklungsmaßnahmen oder Organisationsentwicklungsworkshops handelt. In diesem Beitrag geht es also um drei Ablaufvarianten für den Anfang von Interventionen auf Teamebene oder in Gruppen, die von der Größe her einem Team entsprechen könnten (also rund sechs bis acht, maximal aber 12 Personen; die „absolute Schallgrenze“ liegt hier, professionelle Moderation und einen erfahrenen Umgang mit Subgruppen und Widerständen vorausgesetzt, bei 15 Personen).
Variante 1 („pragmatisch“): Fokus auf Erwartungen und Rollen
- Klärung von Erwartungen in Bezug auf das Meeting: Was soll erreicht oder bewirkt werden? Ist diese Erwartungsklärung im Vorfeld mit der Organisationsleitung oder einer Stabsstelle erfolgt, so ist sie nach meiner Auffassung am Beginn einer Klausur zwingend zu wiederholen und zu aktualisieren. Es ist zudem sicherzustellen, dass im Prozess (bspw. bei eintägigen Workshops spätestens nach einem halben Tag) entsprechende Fragen gestellt werden, um den Verlauf bzw. den methodischen Ansatz und die verwandten Methoden ggf. noch zu korrigieren.
- Klärung von Rollen: Der nach meiner Erfahrung häufigste Fall auftretenden Klärungsbedarfs in Organisationen betrifft die Rollen oder „Verantwortungs- und Aufgabenzuschnitte“ der betreffenden Mitarbeiter und Führungskräfte. Eine Rolle ist definitionsgemäß ein „Bündel von Erwartungen“. Wenn mir klar ist, was von mir erwartet wird, weiß ich, was ich zu tun habe bzw. kenne ich meine Rolle. Aus einer theoretischen Perspektive macht die zentrale Bedeutung von Rollen Sinn, denn jedes Organisationsmitglied, und zwar unabhängig vom Status als Mitarbeiter oder Führungskraft, besitzt eine Art „Beziehung“ zur Organisation. Diese Beziehung lässt sich am ehesten als „psychologischer Vertrag“ fassen — dieser Vertrag besteht nach Edgar Schein aus gegenseitigen Erwartungen. Eine Organisation hat bestimmte Erwartungen an ihre Mitglieder, und Mitglieder haben bestimmte Erwartungen an ihre Organisation. Diese Erwartungen verändern sich mit der Zeit — weshalb der psychologische Vertrag permanent fortgeschrieben wird oder — im Falle einer längerfristigen und nachhaltigen Irritation — irgendwann endet. Führungskräften kommt die Aufgabe zu, die psychologischen Verträge der ihnen zugeordneten Personen zu thematisieren und zu moderieren. Und Führungskräfte haben in der Regel wieder Führungskräfte, die mit ihnen über ihre jeweiligen psychologischen Verträge reden und so weiter. Führung erscheint aus dieser Perspektive vor allem als Erwartungsmanagement bzw. die Aufgabe, sich kontinuierlich mit den sich ggf. ändernden Erwartungen an oder von Mitarbeitern (oder nachgeordneten Führungskräften) zu beschäftigen. Klar kann es vorkommen, dass Erwartungen nicht (mehr) erfüllbar sind oder nicht mehr erfüllt werden wollen. Dann muss man sich über grundlegende Veränderungen (Verlassen der Organisation? Wechsel der Rolle? Karriere? Oder: Zurücktreten von bestimmten Rollen, also das Gegenteil von Karriere?) unterhalten. Aber der in der Praxis deutlich häufigere Fall ist nicht nicht die Veränderung, sondern die Unklarheit von Erwartungen. Ein Workshop kann deshalb durchaus mit gegenseitigem Feedback bzw. gegenseitigen Erwartungen beginnen. Eine solche Thematisierung kann mitunter einiges an Zeit erfordern, ist aber in der Regel hilfreich. Und wenn die Rückmeldungen und Erwartungen konkret genug formuliert sind, können in der Regel auch Menschen, die sonst wenig aufgeschlossen sind für „solche Workshops“, damit etwas anfangen.
- Gemeinsame Projekte/Ziele/Aktivitäten: Nach der Erwartungsklärung kann dann ggf. weiter über Themen wie „gemeinsame Projekte“ oder „Ziele“ und sich daraus ableitende gemeinsame Aktivitäten gesprochen werden. Nach meiner Erfahrung reicht jedoch die Klärung von Erwartungen an sich als Intervention erst einmal aus. Alles Weitere kann dann in ggf. folgenden Terminen besprochen werden.
Variante 2 („erzählerisch“): Orientierung am Zeitstrahl
Variante 2 eignet sich grundsätzlich für zwei Anlässe bzw. „Anwendungsszenarien“:
- Zum einen kann diese Methode ähnlich wie Variante 1 an den Anfang von Führungskräfteklausuren oder Teamentwicklungsworkshops gestellt werden, bei denen es um Rollen- oder Aufgabenklärung oder Ziele für die nächste Zeit oder eine Veränderung der Arbeitsorganisation o.ä. geht. Dann wirkt Variante 2 etwas weniger „grundsätzlich“ als Variante 1 — man geht beim Einsatz von Variante 2 quasi davon aus, dass es zwar an der Zeit ist, etwas zu besprechen, aber dass allen Beteiligten ihre Rollen mehr oder minder klar sind, zumindest auf einer grundlegenden Ebene. Variante 2 ist im Vergleich mit Variante 1 vielleicht die „charmantere“ Art des Einstiegs, mit der man nicht Gefahr läuft, Grundsatzgespräche zu provozieren, wo gar keine notwendig sind.
- Zum anderen eignet sich diese Methode für einen ganz anderen Themenbereich, nämlich jenen „Grundsatzgesprächsbedarf“, der sich bisweilen aus dem menschlichen Miteinander ergibt. Wichtig ist, dass klar ist, dass es sich hier um zwei verschiedene Themen handelt. Zum einen gibt es aufgaben- oder rollenbezogenen Klärungsbedarf, der grundsätzlicher oder weniger grundsätzlich sein kann. In letzterem Fall ist Variante 2 einfach ein „charmanter“ Einstieg. In ersterem Fall thematisiert Variante 1 direkter, was es zu thematisieren gibt. Zum anderen gibt es aber zwischenmenschlichen Klärungsbedarf (Konflikte, unausgesprochene Erwartungen und sich daraus ergebende Enttäuschungen, Unzufriedenheit mit der Arbeitslastverteilung im Team oder mit der Teamleitung o.ä.) — und hier würde Variante 1 (also Fokus auf Rollen, Aufgaben usw.) nur zum „an der Sache Vorbeireden“ führen. Variante 2 hingegen ist, so sanft wie sie bei aufgabenbezogenen Themen daherkommt, viel wirksamer, wenn es darum geht, zwischenmenschliche Themen anzusprechen. Durch die „Erzählrunde“ am Anfang (im offenen Wechsel oder reihum beantwortet jede Person drei Fragen) bleiben die Anwesenden erst einmal „bei sich“ — informationsbezogene oder klärungsorientierte Nachfragen sind erlaubt, Diskussionen, Rechtfertigungen usw. nicht. Es geht auch noch nicht um Feedback, das kann ggf. später kommen. Die Wirkung von Variante 2 bei zwischenmenschlichen Themen ist eine langsame „Vertiefung“ bzw. „Öffnung“ — bis jemand direkt anspricht, was ihm oder ihr auf der Seele brennt. Das gelingt nicht in jedem Fall, aber wenn die Intervention relativ zeitnah nach der Entstehung und Verstärkung von Spannungen erfolgt, dann entfaltet die Methode ihre Wirkung fast von allein. Wenn die Konflikte hingegen zu alt bzw. zu festgefahren oder zu „kalt“ sein sollten, dann lautet die Frage, ob man mit gesprächsbasierten Interventionsmethoden überhaupt noch etwas bewirken kann. (Lesen Sie zu der Frage, wie man feststellen kann, ob man in einem Konflikt intervenieren kann oder nicht, diesen Beitrag auf diesem Blog.)
Auch bei Variante 2 beginnt man mit einer Erwartungsrunde, führt das allerdings nicht zu lange aus: Wie kann dieser Termin hilfreich sein? Oder: Woran würden Sie bemerken, dass der heutige Termin hilfreich für Sie war? Dann stellt man drei Fragen, die zu beantworten man reihum bittet — und ja, es ist wünschenswert, dass jede und jeder alle drei Fragen beantwortet:
- Wie lief es in den vergangenen Wochen (oder Monaten)? Diese Frage dient (nur) der thematischen Annäherung und — nur gegebenenfalls — dem Verständnis der Entstehung aktueller Problemlagen.
- Wie geht es Ihnen momentan mit Ihrer Aufgabe und in Ihrem Team? Spätestens die Antworten auf diese Frage lassen Schlüsse auf — so überhaupt vorhanden — aktuelle Problemlagen zu.
- Was wünschen Sie sich? Hier wird in der Regel thematisiert, was sich ändern müsste — oft verbunden mit (verstecktem, dann bedarf es kluger und offener Nachfragen) Feedback und Erwartungen für ein besseres Miteinander. Mit diesem Feedback — was bei dieser Variante oft erst durch Nachfragen expliziter formuliert wird — und den Erwartungen an die anderen Personen oder Bereiche kann man dann im Workshop weiterarbeiten.
Ggf. kann man weiterführend die folgenden Fragen stellen:
- Welche (gemeinsamen) Aktivitäten bringen uns voran?
- Wann besprechen wir was? (ggf. gegliedert nach inhaltlichen und organisatorischen Aspekten)
Variante 3 („visionär“): Fokus auf Werte und konkrete Handlungen
Manchmal brauchen Prozesse einen visionären Anfang. Bei klassischen Leitbildprozessen bin ich ob ihrer Wirkung bzw. Effektivität sehr skeptisch. Aber es gibt ein Modell, das einige Veränderungskraft entfalten kann, wenn man es richtig anwendet. Leider stimmt das mittlerweile zum Sprichwort gewordene Zitat eines ehemaligen Bundeskanzlers allzu oft: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. 😉 Es geht eben nicht so sehr um große Visionen oder Leitbilder, wohl aber um ein klares Bild davon, wer man ist und wo man hin möchte. Eine, wie ich finde, sehr schöne und — für die Pragmatiker unter den Lesern — messbare Ergebnisse produzierende Methode besteht im folgenden Dreischritt:
- „Welche Werte vertreten wir — momentan… nicht mehr… noch nicht? Welche wollen wir in Zukunft vertreten? Was erwarten wir selbst von unserer Entwicklung (im Sinne eines Wertmaßstabs)? Was erwarten unsere Kunden von uns? Wer wollen wir sein und wofür wollen wir stehen?“ Wenn es gelingt, dann hat diese Diskussion einen mitunter regelrecht „elektrisierenden“ Charakter.
- „Welche — zum einen gemeinsamen, übergreifenden und zum anderen individuellen — Ziele leiten sich daraus ab?“
- „Mit welchen Handlungen erreichen wir diese Ziele?“
Konsequent „durchmoderiert“ bedeuten die Antworten auf diese drei Fragen eine regelrechte „Neuprogrammierung“ des betreffenden Teams, Arbeitsbereichs oder Unternehmens. Und das Schöne und besonders Wirksame an diesem Modell ist, dass man im Nachhinein immer fragen kann: „Haben wir uns dran gehalten? Haben wir umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben? Entsprechen unsere konkreten Handlungen tatsächlich unseren Werten?“ Im Ergebnis dieser Methode verfügen die Beteiligten also über eine Messlatte für ihre Handlungen. Lesen Sie bei weiterführendem Interesse hier eine ausführlichere Darstellung des Modells und seiner Anwendung.