Die Passung von Mensch und Organisation: Hilfreiche Frage-Modelle für die Organisationsberatung — und einige Risiken und Fehler bei ihrem Einsatz

Um die kom­ple­xen Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen Mensch und Orga­ni­sa­ti­on zu ver­ste­hen, steht eine kaum über­schau­ba­re Zahl von Model­len und Metho­den zur Ver­fü­gung. Für Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­ler und Bera­ter ist es regel­mä­ßig eine Her­aus­for­de­rung, sich für die rich­ti­gen Model­le und Vor­ge­hens­wei­sen zu entscheiden.

Ob die ent­spre­chen­den Ent­schei­dun­gen „rich­tig“ — also hilf­reich — sind, wird in der Regel erst spä­ter klar. In Abwand­lung eines Zitats von Sören Kier­ke­gaard möch­te ich es so for­mu­lie­ren: Orga­ni­sa­tio­nen wer­den vor­wärts bera­ten, der Pro­zess der Ver­än­de­rung einer Orga­ni­sa­ti­on wird aber erst im Tun und manch­mal erst im Nach­hin­ein verstanden.

Will man eine Orga­ni­sa­ti­on ver­ste­hen, kann man bei­spiels­wei­se Struk­tu­ren, Pro­zes­se und die spe­zi­fi­sche Kul­tur der Orga­ni­sa­ti­on unter­su­chen. Wie man dabei vor­ge­hen kann, habe ich hier aus­führ­li­cher beschrieben.

Will man eine Orga­ni­sa­ti­on bera­ten — also bei ihrer Ent­wick­lung oder Ver­än­de­rung hel­fen — wird man zum Inter­ven­tio­nis­ten. Eine Inter­ven­ti­on bedeu­tet, ein funk­tio­nie­ren­des Rol­len- und Bezie­hungs­ge­flecht mit der Absicht zu betre­ten, durch den Ein­satz ver­schie­de­ner Metho­den hilf­reich zu sein.

Spä­tes­tens jetzt tritt die „mensch­li­che Dimen­si­on“ auf den Plan: Orga­ni­sa­tio­nen bestehen aus Geflech­ten zwi­schen­mensch­li­cher Bezie­hun­gen. Die­se Bezie­hun­gen sind kein Selbst­zweck, son­dern fol­gen dem Zweck der Orga­ni­sa­ti­on. Dar­aus erge­ben sich bestimm­te Erwar­tun­gen an die in einer Orga­ni­sa­ti­on täti­gen Men­schen: Vom Indi­vi­du­um wird erwar­tet, eine bestimm­te Rol­le auszufüllen.

Die soeben erwähn­te „mensch­li­che Dimen­si­on“ lässt sich im Prin­zip auf vier kon­zep­tio­nel­len Ebe­nen denken:

  1. Indi­vi­du­el­le Ebe­ne: Indi­vi­du­um als Mit­ar­bei­te­rin oder Mitarbeiter
  2. Ebe­ne von Zwei­er-Bezie­hun­gen: Bezie­hung zwi­schen Mit­ar­bei­ter und Führungskraft
  3. Grup­pen­e­be­ne: Bezie­hun­gen zwi­schen den Ange­hö­ri­gen bspw. eines Teams ein­schließ­lich der Bezie­hun­gen zu der das Team ggf. lei­ten­den Person
  4. Orga­ni­sa­ti­ons­ebe­ne: Bezie­hun­gen zwi­schen ver­schie­de­nen Teams, Abtei­lun­gen oder ande­ren Orga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten, z.B. Bezie­hun­gen zwi­schen Geschäfts­lei­tung und Betriebsrat

Das m.E. am bes­ten geeig­ne­te Modell zum Ver­ständ­nis die­ser Bezie­hun­gen ist das des psy­cho­lo­gi­schen Ver­trags.

Jede und jeder Ange­hö­ri­ge einer Orga­ni­sa­ti­on hat einen Arbeits­ver­trag mit die­ser Orga­ni­sa­ti­on. Neben die­sem for­ma­len Ver­trag gibt es noch einen infor­mel­len, kaum the­ma­ti­sier­ten, gewis­ser­ma­ßen „psy­cho­lo­gi­schen Ver­trag“ mit der Orga­ni­sa­ti­on. Die­ser besteht aus gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen. Eine Mit­ar­bei­te­rin hat Erwar­tun­gen an ihren Arbeit­ge­ber und der Arbeit­ge­ber hat Erwar­tun­gen an die Mit­ar­bei­te­rin. Das Beson­de­re an die­sem psy­cho­lo­gi­schen Ver­trag ist, dass er sich mit der Zeit immer wie­der ändert. Anders als der Arbeits­ver­trag, der nur sel­ten ver­än­dert wird, unter­liegt der psy­cho­lo­gi­sche Ver­trag einer — oft unaus­ge­spro­che­nen und rela­tiv unbe­wuss­ten — per­ma­nen­ten Anpas­sung bzw. Fortschreibung.

Aus die­ser Sicht erscheint Füh­rung vor allem als „Mode­ra­ti­on“ der psy­cho­lo­gi­schen Ver­trä­ge von Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern. Bei Füh­rung han­delt es sich in die­sem Sin­ne um Erwar­tungs­ma­nage­ment. Erwar­tun­gen kön­nen erfüllt oder ent­täuscht wer­den, und Erwar­tun­gen kön­nen sich ändern.

Aus die­sen kur­zen Dar­stel­lun­gen las­sen sich eini­ge nach mei­ner Erfah­rung hilf­rei­che Model­le für das fra­gen­de Vor­ge­hen bei der Bera­tung von Füh­rungs­kräf­ten ableiten.

Fra­ge­mo­dell 1: Zeitachse

Das ers­te und ein­fachs­te Modell beruht auf der Anwen­dung einer Zeitachse:

  1. Wie ist die gegen­wär­ti­ge Situation/Lage entstanden?
  2. Wie geht es Ihnen momen­tan mit ihrer Rol­le? Was läuft gut, was weni­ger gut, was möch­ten Sie ggf. verändern?
  3. Was wün­schen Sie sich für die kom­men­den Mona­te? Was möch­ten Sie bewir­ken? Was erwar­ten Sie von ande­ren (Kol­le­gen, Führungskräften)?

Es geht bei der Bera­tung von Orga­ni­sa­tio­nen nicht um indi­vi­du­el­le Bera­tung, son­dern um Hil­fe vor dem Hin­ter­grund des Funk­tio­nie­rens der Orga­ni­sa­ti­on. Rein indi­vi­du­el­le Bera­tung wür­de die Per­sön­lich­keit und die Inter­es­sen der ein­zel­nen Per­son, ihre Zie­le, ihre Moti­va­ti­on und ggf. auch ihre „blin­den Fle­cken“ oder per­sön­li­chen Ent­wick­lungs­be­dar­fe in den Vor­der­grund stel­len. Bei der Bera­tung von Orga­ni­sa­tio­nen wer­den zwar letzt­lich auch Ein­zel­per­so­nen oder Grup­pen von Füh­rungs­kräf­ten oder Teams bera­tend beglei­tet, aber eben nicht (nur) als indi­vi­du­el­le Per­sön­lich­kei­ten, son­dern als Rolleninhaber.

Fra­ge­mo­dell 2: Erwartungen

Zu den Eigen­schaf­ten und Inter­es­sen der ein­zel­nen Per­son kom­men qua­si die sich aus dem Orga­ni­sa­ti­ons­zweck bzw. der ent­spre­chen­den Auf­ga­be in der Orga­ni­sa­ti­on erge­ben­den Erwar­tun­gen hin­zu. Rol­len sind „Bün­del von Erwar­tun­gen“, und eine Per­son kann die­se Erwar­tun­gen auf der Basis ihrer Aus­bil­dung, Erfah­rung und Per­sön­lich­keit bes­ser oder schlech­ter erfül­len. Erwar­tun­gen — und damit die Rol­len — kön­nen aber auch unklar sein; hier kommt es nun wie­der­um auf die Füh­rungs­kräf­te und die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen an:

  • Wie genau wis­sen Sie, was Sie tun soll­ten, um ihre Rol­le zu erfüllen?
  • An wen kön­nen Sie sich wen­den, wenn Sie Fra­gen haben?
  • Wie funk­tio­niert der Infor­ma­ti­ons­fluss? Erfah­ren Sie recht­zei­tig, was Sie wis­sen müs­sen, um Ihren Job gut zu machen? Sind Ihnen die Schnitt­stel­len um ihre Rolle/Aufgabe her­um zu ande­ren Personen/Rollen/Bereichen klar?

Sol­che Fra­gen die­nen zunächst der Ana­ly­se der Situa­ti­on bzw. zum Ver­ständ­nis der Situa­ti­on durch die Bera­te­rin oder den Berater.

Fra­ge­mo­dell 3: Ebenen

Woll­te man nun auf der Basis des Modells des psy­cho­lo­gi­schen Ver­trags inter­ve­nie­ren, könn­te man in den ent­spre­chen­den Gesprä­chen mit Füh­rungs­kräf­ten etwa fol­gen­de Fra­gen stellen:

  • Indi­vi­du­um und Rol­le: Was möch­ten Sie per­sön­lich? Wie bewer­ten Sie die momen­ta­ne Situa­ti­on? Wel­che Optio­nen sehen Sie? Was haben Sie ggf. schon ver­sucht? Vor dem Hin­ter­grund Ihrer Rolle/Aufgabe: Wel­che Zie­le erge­ben sich aus ihrer Auf­ga­be her­aus in Bezug auf die momen­ta­ne Situa­ti­on? Falls stär­ke­re Emo­tio­nen eine Rol­le spie­len: Wenn Sie Ihre momen­ta­ne Befind­lich­keit ein­mal aus­blen­den — was wäre rein sach­lich aus Sicht ihrer Rol­le im Unter­neh­men gut? Was wäre dann ihr Ziel? Im Fal­le eines Kon­flik­tes: Inwie­fern waren ihre letz­ten Hand­lun­gen von Emo­tio­nen bestimmt? Was ist ggf. Ihr eige­ner Anteil an der Eska­la­ti­on? Wie könn­te man ggf. anders über die momen­ta­ne Situa­ti­on denken?
  • Bezie­hung zu Vor­ge­setz­ten oder/und Kol­le­gen auf der glei­chen Ebe­ne: Wie klar wur­den Erwar­tun­gen aus­ge­spro­chen? Wie klar sind die Hand­lungs­zie­le Ihrer Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen? Was wün­schen Sie sich? Was wäre für die Vor­ge­setz­te oder den Kol­le­gen gut?
  • Bezug zum Unter­neh­mens­ziel: Was ist aus Sicht des Unter­neh­mens gut? Was müss­te aus Ihrer Sicht getan wer­den, um in Rich­tung der Unter­neh­mens­zie­le voranzukommen?

Fra­ge­mo­dell 4: Pas­sung von Per­son und Orga­ni­sa­ti­on anhand von Zie­len und Erwartungen

Fol­gen­de Din­ge soll­ten bei Inter­ven­tio­nen geklärt werden:

  1. Wel­che per­sön­li­chen Zie­le und Inter­es­sen habe ich?
  2. Habe ich ggf. einen eige­nen Anteil an der momen­ta­nen Lage, und wenn ja, wel­chen? (Da wir Men­schen sind, spie­len Emo­tio­nen fast immer eine Rolle!)
  3. Wel­che Zie­le und Hand­lungs­op­tio­nen erge­ben sich aus mei­ner Rolle?
  4. Wel­che Zie­le und Optio­nen erge­ben sich aus der momen­ta­nen Lage des Unternehmens/Bereiches/Teams, und wel­che Prioritäten/Optionen las­sen sich dar­aus ableiten?
  5. Was brau­chen die Kollegen/Vorgesetzten? Was sind deren Hand­lungs­zie­le, und wel­che ggf. unaus­ge­spro­che­nen Din­ge spie­len mög­li­cher­wei­se eine Rol­le? Wie gut erfül­len Vor­ge­setz­te und Kol­le­gen ihre Rol­len vor dem Hin­ter­grund der Unternehmensziele?

Durch sol­che Fra­gen erfolgt ein Abgleich der Selbst- und Fremd­ein­schät­zung der momen­ta­nen Situa­ti­on und der Hand­lungs­op­tio­nen vor dem Hin­ter­grund der Unter­neh­mens­zie­le. Es ist kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich, dass sol­che Fra­gen offen dis­ku­tiert wer­den, aber Feed­back (also der Abgleich der Selbst- mit der Fremd­ein­schät­zung) bleibt m.E. die wich­tigs­te Metho­de, wenn es um Inter­ven­tio­nen auf der Ebe­ne zwi­schen­mensch­li­cher Bezie­hun­gen geht.

Jede Aus­gangs­la­ge in Unter­neh­men bzw. jede Ver­än­de­rung hat eine „fak­ti­sche“ und eine „mensch­li­che“ Dimen­si­on. Men­schen bewer­ten Situa­tio­nen unter­schied­lich — auf der Grund­la­ge ihrer Per­sön­lich­keit (bspw. Krea­ti­ve vs. Sicher­heits­ori­en­tier­te oder Opti­mis­ten vs. Pes­si­mis­ten), ihrer Rol­le (Ver­trieb­ler vs. Buch­hal­ter), ihrer Zuge­hö­rig­keit zu bestimm­ten Grup­pen (Geschäfts­lei­tung vs. Betriebs­rat oder Pro­duk­ti­ons­ar­bei­ter vs. „die da oben“) oder Teams (Mar­ke­ting vs. inter­ne Rechts­ab­tei­lung) oder ihrer Loya­li­tät zu Vor­ge­setz­ten oder, oder.

Durch die oben genann­ten Fra­gen kön­nen unter­schied­li­che Sicht­wei­sen und Erwar­tun­gen erfasst und anschlie­ßend vor dem Hin­ter­grund der Unter­neh­mens­zie­le „aus­dis­ku­tiert“ wer­den. Idea­ler­wei­se gelingt es durch die Inter­ven­ti­on, rein per­sön­li­che Zie­le und Belan­ge (bspw. Herr­schafts­wis­sen, Macht, Sta­tus­stre­ben, Selbst­schutz) in ihrem Ein­fluss zu redu­zie­ren, indem eine offe­ne Dis­kus­si­on Feed­back und Ein­sicht ermög­licht und es eine gemein­sa­me Ver­stän­di­gung dazu gibt, was für das Unter­neh­men, das betref­fen­de Team oder den bespro­che­nen Sach­ver­halt gut ist.

Frei­lich geht es auch um die Men­schen und ihre Inter­es­sen. Aber es muss bespro­chen wer­den, wenn ggf. indi­vi­du­el­le Belan­ge über die Zie­le der Orga­ni­sa­ti­on, der Rol­le oder des Teams usw. gestellt werden.

Typo­lo­gie der Interventionsergebnisse

Ganz gleich, wie die Inter­ven­ti­on ver­läuft — am Ende steht eins der fol­gen­den Ergebnisse:

Typ 1: Es passt und es gibt kei­nen Handlungsbedarf

Die Zie­le der Orga­ni­sa­ti­on oder des Teams oder die sich aus der Rol­le erge­ben­den Hand­lungs­zie­le und Erwar­tun­gen pas­sen zu den Zie­len und Erwar­tun­gen der han­deln­den Per­son (ganz gleich, ob Mit­ar­bei­ter oder Füh­rungs­kraft). Dann muss nicht wei­ter inter­ve­niert werden.

Typ 2: Es passt nicht und es soll­te gehan­delt werden

Die Zie­le der Orga­ni­sa­ti­on oder des Teams oder die sich aus der Rol­le erge­ben­den Hand­lungs­zie­le und Erwar­tun­gen pas­sen nicht zu den Zie­len und Erwar­tun­gen der han­deln­den Per­son. Dann kann ent­we­der die betref­fen­de Per­son ihre Emo­tio­nen und Erwar­tun­gen an die­je­ni­gen der Organisation/des Teams/der Rol­le anpas­sen, oder man kann die Zie­le der Organisation/des Teams/der Rol­le an die Per­son anpas­sen. Letz­te­rer Fall ist sicher sel­te­ner als ers­te­rer — und inso­fern unwahr­schein­li­cher, als dass Orga­ni­sa­tio­nen kaum ihren Zweck und ihre Erwar­tun­gen an die Belan­ge ein­zel­ner Per­so­nen anpas­sen kön­nen. Was Orga­ni­sa­tio­nen tun kön­nen, ist, ihren Mit­glie­dern bei der Art und Wei­se der Durch­füh­rung der Auf­ga­ben (fle­xi­ble Arbeits­zei­ten, Home­of­fice, Stei­ge­rung der Auto­no­mie­gra­de bei der Aus­füh­rung der Auf­ga­ben, Ent­gelt, Urlaubs­an­spruch usw.) ent­ge­gen­zu­kom­men. Das bedeu­tet, man wür­de ver­su­chen, ein Matching der Erwar­tun­gen her­zu­stel­len. Ein nicht gerin­ger Teil der Arbeit von Füh­rungs­kräf­ten beschäf­tigt sich genau damit.

Typ 3: Es passt nicht, aber nichts passiert

Ein nicht gera­de sel­te­ner Fall ist zudem, dass die Zie­le der Orga­ni­sa­ti­on oder des Teams oder die sich aus der Rol­le erge­ben­den Hand­lungs­zie­le und Erwar­tun­gen zwar nicht zu den Zie­len und Erwar­tun­gen der han­deln­den Per­son pas­sen, aber nichts unter­nom­men wird. Das führt dann in der Regel zu einer Zuspit­zung der Situa­ti­on bis hin zur Eska­la­ti­on, an deren Ende dann ande­re als die bis­her han­deln­den Per­so­nen Ent­schei­dun­gen tref­fen. Spä­tes­tens die „Ersatz­kom­mu­ni­ka­ti­on“ in Form von Gerichts­ver­hand­lun­gen regelt die Hin­ter­las­sen­schaf­ten zer­bro­che­ner bzw. „inner­lich gekün­dig­ter“ psy­cho­lo­gi­scher Verträge.

Typ 4: Die Bera­ter tau­gen nichts

Ein vier­ter mög­li­cher Fall ist, dass die Inter­ven­ti­on nicht zum Ziel führt bzw. es zu kei­ner Klä­rung und zu kei­ner Ent­schei­dung für eine der hier beschrie­be­nen Ergeb­nis­op­tio­nen kommt. Dann kann pas­sie­ren, wozu es manch­mal bei schei­tern­den Media­ti­ons­ver­su­chen kommt: Die am Kon­flikt betei­lig­ten Sei­ten kom­men im Kon­flikt kei­nen Schritt wei­ter, sind sich aber gleich­zei­tig in dem Erle­ben einig, dass die Media­ti­on oder die Art und Wei­se ihrer Durch­füh­rung nichts bringt — und been­den die Beglei­tung. In die­sem Fall läuft die Bera­ter­sei­te Gefahr, den Auf­trag zu verlieren.

Mög­li­che Beratungsfehler

Des Wei­te­ren gibt es eine gan­ze Rei­he von Feh­lern, die Bera­ter machen können:

Die Kul­tur des Unter­neh­mens passt nicht zur Intervention

Inter­ven­tio­nen müs­sen zur Kul­tur der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­on pas­sen, sonst kann die Bera­tung schei­tern. Wenn etwa in rela­tiv hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen zu betei­li­gungs- oder but­tom-up-ori­en­tier­te Metho­den ein­ge­setzt wer­den, wird dies zunächst viel­leicht begrüßt („Genau das, was wir brau­chen!“), führt aber im Nach­hin­ein zu „eigent­lich uner­wünsch­ten“ Kon­se­quen­zen — Füh­rungs­kräf­te sind ggf. irri­tiert, weil sich Mit­ar­bei­te­rin­nen in Din­ge ein­mi­schen, die sie „dann ja doch nichts ange­hen“, und Mit­ar­bei­ter kön­nen ihrer­seits sehr irri­tiert reagie­ren, weil sie erst gefragt wur­den, dann aber kaum Ideen und Vor­schlä­ge umge­setzt wer­den. Die kul­tu­rel­le Dimen­si­on der Pas­sung von Inter­ven­tio­nen ist ein sehr kom­ple­xes The­ma, das bis hin zu Fra­gen des hand­lungs­lei­ten­den Men­schen­bil­des oder etwa der Macht infor­mel­ler Struk­tu­ren wie „unsicht­ba­ren Hier­ar­chien inner­halb der Hier­ar­chie“ reicht.

Unter­schwel­li­ge Auf­trä­ge nicht erkennen/die Wor­te zu sehr für bare Mün­ze nehmen

Die in Bera­tungs­pro­zes­sen geäu­ßer­ten Erwar­tun­gen müs­sen nicht in jedem Fall mit den tat­säch­li­chen Erwar­tun­gen über­ein­stim­men — alle For­men unbe­wuss­ter oder ver­deck­ter Erwar­tun­gen sind hier mög­lich. So haben Bera­ter oft die Funk­ti­on, Din­ge aus­zu­spre­chen, die Füh­rungs­kräf­te nicht aus­spre­chen kön­nen oder wol­len. Das hat auch sei­nen Sinn, denn Füh­rungs­kräf­te sind kon­ti­nu­ier­lich und nicht nur vor­über­ge­hend in ihrer Orga­ni­sa­ti­on tätig, müs­sen also dar­auf ach­ten, wie stark sie ihre Arbeits­be­zie­hun­gen belas­ten kön­nen. Bera­ter hin­ge­gen sind nur punk­tu­ell und vor­über­ge­hend invol­viert und kön­nen aus­ge­tauscht wer­den. Soll­te man die Ver­mu­tung haben, dass nicht alles klar auf dem Tisch liegt, hilft genau­es Zuhö­ren und Rück­for­mu­lie­ren, ggf. vor­sich­ti­ges Deu­ten und Anspre­chen des womög­lich nicht Aus­ge­spro­che­nen („ver­ba­li­sie­ren“). Zudem kann man immer wie­der Pro­zess­fra­gen stel­len („Wie hilf­reich ist das, was gera­de pas­siert? Inwie­fern ent­spricht das Ihren Erwar­tun­gen?), also letzt­lich die Auf­trags­klä­rung immer wie­der „im Klei­nen“ wie­der­ho­len. Oft hilft auch, ver­schie­de­ne Optio­nen von Vor­ge­hens­wei­sen und „Inter­ven­ti­ons­ge­schwin­dig­kei­ten“ anzu­bie­ten und so an die Erwar­tun­gen anzupassen.

Das Man­dat über­schrei­ten durch zu frü­he oder zu har­te Konfrontationen

Bera­tung ist eine Form von Hil­fe. Folgt man Edgar Schein, dann kön­nen Bera­ter unter ande­rem han­deln wie Spe­zia­lis­ten. Dann gilt der oft gehör­te Spruch, dass „Rat­schlä­ge auch Schlä­ge“ sei­en, ganz und gar nicht, im Gegen­teil: Wenn ich weiß, was mein Pro­blem ist und wer mir hel­fen kann, dann erwar­te ich, dass die ent­spre­chen­den Spe­zia­lis­ten das Pro­blem für mich lösen oder mir wenigs­tens sagen, wie es geht.

Wenn ich mich also als Kun­de für den Modus „Spe­zia­lis­ten­hil­fe“ ent­schei­de, dann erwar­te ich auch ent­spre­chend klar und kom­pe­tent bera­ten zu wer­den. Ich bege­be mich dann als Kun­de in eine Sta­tus-Posi­ti­on, die Edgar Schein als „one-down-ness of help“ bezeich­net. Ich erken­ne, dass ich Hil­fe brau­che und bit­te um Hil­fe. Damit bege­be ich mich im Sta­tus „unter“ die bera­ten­de Sei­te — ich mache mich ver­letz­lich, gebe zu, dass ich Hil­fe brau­che usw. Wenn die bera­ten­de Sei­te es schafft, durch eine ent­spre­chen­de Hal­tung sowie durch Inter­es­se und Sach­ver­stand mein Ver­trau­en zu gewin­nen, dann ist es auch mög­lich, Kon­fron­ta­tio­nen aus­zu­spre­chen, also bei­spiels­wei­se anzu­spre­chen, dass eine Füh­rungs­kraft „Teil des Pro­blems“ sei.

Kon­fron­ta­tio­nen brau­chen, damit sie mög­lich sind, drei Vor­aus­set­zun­gen: Ers­tens muss sich zunächst ein Ver­trau­en ent­wi­ckeln. Zwei­tens muss die kon­fron­tie­ren­de Sei­te für kom­pe­tent gehal­ten wer­den (Spe­zia­lis­ten-Sta­tus). Drit­tens muss die bera­te­ne Sei­te akzep­tiert haben, Hil­fe zu brau­chen — und im zuge­spitz­ten Fall sogar die Fra­ge zulas­sen, ggf. selbst Teil des Pro­blems zu sein.

Kon­fron­tie­ren Bera­ter, bevor sich Ver­trau­en ent­wi­ckelt hat, kann das zum Abbruch der Bera­tung füh­ren. Und kon­fron­tie­ren sie, weil sie mei­nen, im Spe­zia­lis­ten­mo­dus zu han­deln — Kun­den spre­chen Bera­ter häu­fig genau so an, wol­len dann aber im Gegen­satz zu ihren ers­ten Wor­ten die Sache doch selbst regeln und ver­ste­hen Bera­ter dann eben nicht mehr als Spe­zia­lis­ten, son­dern höchs­tens als Part­ner bei der gemein­sa­men Lösungs­su­che — kann das zu erheb­li­chem Klä­rungs­be­darf führen.

Bera­tung ist immer eine Grat­wan­de­rung zwi­schen Bestär­kung und Infra­ge­stel­lung — letz­te­re bis hin zur Kon­fron­ta­ti­on. Kon­fron­ta­tio­nen sind per Defi­ni­ti­on Tests eige­ner Ver­mu­tun­gen: Ich habe die Ver­mu­tung, mein Gegen­über sei Teil des Pro­blems — und sage es. Hier kommt es nicht nur auf den Ton an, der die Musik macht, son­dern hier kommt es auf das Aus­maß des Ver­trau­ens und die Erlaub­nis an. Manch­mal muss ich mei­ne Erlaub­nis etwas über­schrei­ten, um Din­ge besprech­bar zu machen, die aus ver­schie­de­nen Grün­den (bspw. Angst vor Gesichts- oder Sta­tus­ver­lust) sonst nicht ansprech­bar wären. Aber das erfor­dert Fin­ger­spit­zen­ge­fühl und Vor­sicht. Prak­tisch hel­fen dabei bspw. wie­der­hol­te Pro­zess­fra­gen: „Darf ich offen spre­chen?“ oder: „Darf ich auch Din­ge anspre­chen, die ggf. sehr hart sind und die nicht stim­men müs­sen, aber von denen ich den­ke, dass sie wich­tig sein könnten?“

Die Ent­wick­lungs­pha­se der Orga­ni­sa­ti­on falsch einschätzen

Orga­ni­sa­tio­nen wer­den nicht heu­te auf­ge­baut und funk­tio­nie­ren ab mor­gen immer gleich, son­dern sie ent­wi­ckeln sich: sie wach­sen, erle­ben „Pla­teaus“, also Zei­ten, in denen alles mehr oder min­der gleich zu blei­ben scheint, sie schrump­fen, sie erle­ben „dis­rup­ti­ve“ Ver­än­de­run­gen, also sol­che, nach denen die Orga­ni­sa­ti­on ganz anders aus­sieht als vor­her. Orga­ni­sa­tio­nen kön­nen auch „ster­ben“.

Als Bera­ter muss man die Ent­wick­lungs­pha­se und die aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen einer Orga­ni­sa­ti­on gut ein­schät­zen kön­nen. Die Belan­ge einer wach­sen­den Orga­ni­sa­ti­on sind ande­re als die einer Orga­ni­sa­ti­on, die sich gera­de mehr oder min­der in einer Art Dau­er­be­trieb ohne gro­ße Ver­än­de­run­gen befindet.

Das betrifft auch die Eig­nung und das Mind­set der han­deln­den Per­so­nen: Men­schen, die stark wach­sen­de Orga­ni­sa­tio­nen füh­ren kön­nen, sind weni­ger gut dar­in, Dau­er­be­trieb zu ver­wal­ten, und umge­kehrt. Man muss also die nicht nur die Ent­wick­lungs­pha­se und die gegen­wär­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen der Orga­ni­sa­ti­on erken­nen, son­dern auch die momen­ta­ne „Pas­sung“ der han­deln­den Füh­rungs­kräf­te vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen ein­schät­zen können.

Woll­te man dies­be­züg­li­che Erkennt­nis­se aller­dings anspre­chen, gilt alles, was wei­ter oben über das Hand­ling und die Risi­ken von Kon­fron­ta­tio­nen gesagt wurde. 😉

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und ihrem Team im Landkreis Görlitz einen Jugendhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Serbokroatisch sowie Russisch. Er ist häufig an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt tätig und hat viele Jahre Vorlesungen und Seminare an verschiedenen Universitäten und Hochschulen gehalten, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.