Es gibt sehr viele Forschungsarbeiten zu den Themenbereichen Führung und Motivation. Exemplarisch sollen hier zwei Forschungsarbeiten herausgegriffen werden, aus denen man meines Erachtens sehr viel für die eigene Führungspraxis lernen kann.
Jody Gittell hat sich die Frage gestellt, welche Faktoren zu den teilweise erheblichen Leistungs- und Effizienzunterschieden von Unternehmen innerhalb einer Branche führen. Sie begann ihre Forschungen in der Luftfahrt und setzte sie später im Gesundheitswesen fort. Die Ursachen für die Leistungsunterschiede (Effizienz, Gewinn) zwischen verschiedenen Airlines, so fand Gittell, lagen vor allem in der Fähigkeit der Führungskräfte und Mitarbeiter einiger Airlines, bereichsübergreifend zu denken.
Eine wichtige Voraussetzung für das Lernen aus Erfahrung ist nach Bion (1992) ist die Fähigkeit, die Unsicherheit, die in Lernsituationen (also bei Fehlern oder der Erfahrung, dass bisherige Gewohnheiten und Routinen nicht mehr funktionieren) regelmäßig auftritt, auszuhalten und die damit verbundenen Irritationen (bspw. Konflikte, Schuldzuweisungen) konstruktiv zu wenden und als Lerngelegenheit zu begreifen. Die Forschungsergebnisse von Edmondson et al. (2001) legen darüber hinaus nahe, dass das Ausmaß an durch Führungskräfte vermittelter psychologischer Sicherheit für das Gelingen von Lernprozessen förderlich ist. Beide Aspekte (die Fähigkeit zum Ertragen von Unsicherheit als auch die Vermittlung psychologischer Sicherheit) rücken die Qualität der Beziehung zwischen führenden und geführten Person in den Mittelpunkt des Interesses. Folgt man Schein (2012, S. 27), so ist eine der großen Veränderungen in den letzten beiden Jahrzehnten in der Führung bzw. der Organisation von Abläufen die starke Zunahme von Wechselbeziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Eine führende Person habe „keine vollständige Autorität, wenn er oder sie keine gute Beziehung zu den anderen Teammitgliedern hat“ (ebd.). Aus diesen Veränderungen folgt nach Schein (2012, S. 27) unter Bezugnahme auf Gittell (2009) „die größere Notwendigkeit einer Beziehungskoordination“:
„Letztlich bedeutet dieser Begriff, dass die Menschen in zunehmendem Maße interne Beziehungen miteinander eingehen müssen, was dann die Koordination ermöglicht.
Jody Gittell hat diese Idee bspw. im Rahmen ihrer Arbeit mit Mitarbeitern der South West Airlines untersucht. Sie hat die South West Airlines studiert und festgestellt, dass der Grund, warum diese eine solch gute Leistung zeigt, darin besteht, dass jeder dort Wissen über den Job des Kollegen besitzt. Die Mitarbeiter können also richtig miteinander koordinieren und sich gegenseitig auf Fehler hinweisen.
Jody Gittell hat einen Test entwickelt, der das, was sie als Beziehungskoordination bezeichnet, messen kann. Dabei handelt es sich um die Tatsache, dass zwei Menschen – wenn sie miteinander kooperieren wollen – zuerst einmal ein gemeinsames Ziel benötigen. Zweitens müssen sie die Arbeit ihres Gegenübers in gewissem Maße verstehen und nachvollziehen können und zu guter Letzt sollten sie sich gegenseitig respektieren.
Der Begriff ‚Beziehung‘ in der Beziehungskoordination bezieht sich auf den menschlichen Teil, d.h. den gegenseitigen Respekt. ‚Koordination‘ hingegen bezieht sich auf die gemeinsamen Ziele und das gegenseitige Wissen über die Arbeit des Partners.“ (Schein 2012, S. 27)
Edmondson et al. (2001) haben in einer umfangreichen Studie untersucht, wie gruppendynamische und organisationale Faktoren die Übernahme innovativer Technologien beeinflussen. Gegenstand der Untersuchung waren 16 Herzchirurgie-Teams in ebenso vielen Krankenhäusern. Alle sechzehn Teams begannen, mit einer neuen Operationsmethode (minimally invasive cardiac surgery; MICS) zu arbeiten, die Herzoperationen ermöglicht, ohne den Brustkorb im herkömmlichen Sinne zu öffnen. Stattdessen werden die Eingriffe durch kleine Öffnungen zwischen den Rippen durchgeführt. Die neue Operationsmethode reduziert den Schmerz und die Erholungszeit für den Patienten erheblich, stellt das operierende Team aber gleichzeitig vor große Herausforderungen, da die neuen Prozeduren im Vergleich zu den herkömmlichen deutlich mehr Informationsaustausch und Koordination zwischen den Teammitgliedern erfordern. In sieben von sechzehn Krankenhäusern wurde die neue Operationsmethode erfolgreich eingeführt, in den anderen neun Krankenhäusern gelang die Anpassung an die neue Methode nicht.
Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass der Übernahmeerfolg nicht von organisationalen Faktoren wie Größe oder Art der Einrichtung (städtische vs. ländliche Lage, universitäre vs. kommunale Trägerschaft) oder dem Ausmaß an Unterstützung der Übernahme der neuen Technologie durch die Leitung der Einrichtung abhängig war.
Vielmehr wurde der Übernahmeerfolg durch (1) die Führungshaltung des leitenden Chirurgen, (2) das Ausmaß an „psychologischer Sicherheit“ (vgl. zum Begriff der psychologischen Sicherheit Edmondson 1999) in den Teams als erfolgskritische Voraussetzung für teaminterne Lernprozesse, sowie (3) Teamstabilität als günstige Bedingung für möglichst effiziente Lernprozesse im Team beeinflusst.
Edmondson et al. (2001) stellten in der Analyse ihrer qualitativen Daten fest, dass die erfolgreichen Teams einen Prozess mit insgesamt vier Schritten durchliefen – (1) systematische Auswahl und Information der Teammitglieder (enrollment), (2) Vorbereitung, (3) Probeläufe mit dem gesamten Team und (4) kontinuierliche Reflexion und Prozessverbesserung.