Seitdem Millionen Menschen die Ukraine verlassen haben und innerhalb von wenigen Wochen bereits deutlich mehr als 200.000 Personen nach Deutschland gekommen sind (zum Vergleich: während des Bosnienkriegs waren etwa 320.000 Menschen aus Bosnien in Deutschland), fragen sich Angehörige von Hilfsorganisationen und Kindereinrichtungen zunehmend, wie man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf vorbereiten kann, mit traumatisierten Kindern zu arbeiten. Manche verfügen über entsprechende Erfahrungen aus den Jahren 2015 und 2016. Dennoch ist es hilfreich, sich die wichtigsten Haltungen und Methoden in Erinnerung zu rufen.
Es wird in den kommenden Monaten sicher viele Missverständnisse im Umgang mit (möglicherweise) traumatisierten Kindern aus der Ukraine geben. Der Anteil tatsächlich traumatisierter Menschen wird mit der Zeit zunehmen, was jedoch kein Grund ist, generell von Traumatisierungen auszugehen. Eine übertriebene Traumatisierungsvermutung ist ebenso wenig hilfreich wie die Weigerung, sich mit dem Thema praktisch auseinanderzusetzen, nach dem Motto: “Da muss jemand Professionelles ran!” Wer soll denn kommen? Und wer soll bitte professionell genug sein und noch Ukrainisch oder Russisch sprechen, um die Sprachbarriere unmittelbar zu überwinden? Nein, mit einer solchen Aussage macht man es sich zu einfach. Es ist weder möglich noch notwendig, in jedem Fall therapeutische Hilfe anzuwenden. Die Frage ist die nach einer geeigneten Umgangsform im Kita-Alltag. Der Erzieherberuf ist unter anderem auch ein Helferberuf. Also los.
Zusammenfassung:
Beim Umgang mit (möglicherweise) traumatisierten Kindern kommt es in Kitas vor allem darauf an, Sicherheit zu vermitteln und Überforderung zu vermeiden. Ggf. sind (anfangs) unterschiedliche Regelsysteme anzuwenden. Das Ankommen sollte langsam und sanft erfolgen. Ebenso sensibel ist zunächst mit der Sprachbarriere umzugehen. Die wichtigsten Dinge sind auch körpersprachlich machbar – und Erzieherinnen und Erzieher wissen, was damit gemeint ist, denn sie sind auch für die Betreuung von Kindern ausgebildet, die noch gar nicht sprechen können.
Was ist ein Trauma?
Ein Trauma kann durch verschiedene Ereignisse oder Umstände ausgelöst werden. In vielen Fällen waren die Menschen einer unmittelbaren Bedrohung oder Gefahr ausgesetzt – manchmal über längere Zeit. Es kann aber auch sein, dass man, bspw. als Kind, gesehen hat, dass andere, bspw. die Eltern, unmittelbar bedroht wurden und nichts “tun” konnten. Das Aushalten von Bombenangriffen in Kellern, der Eindruck brennender Häuser, die andauernde Gefahr für Leib und Leben, wenn man sich durch Straßen bewegt, Hunger, Durst, die Unmöglichkeit, ruhig zu schlafen, das Ausharren in verdunkelten Zügen, die nachts anhalten müssen, Mütter, die ihren Kindern stundenlang den Mund zuhalten, damit sie nicht schreien, während der Zug stoppt, die Trennung von Verwandten, insbesondere von Vätern, Söhnen oder Brüdern, die allgegenwärtige Ungewissheit, wo Verwandte sind, die von der Kommunikation abgeschnitten sind – und so weiter. Für ein Trauma reicht mitunter ein Bruchteil dieser Aufzählung, gleichzeitig gibt es Menschen, die trotz vieler entsprechender Erlebnisse nur in geringem Maße traumatisch reagieren. Ein und das selbe Ereignis kann völlig unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, während völlig unterschiedliche Situationen ganz ähnliche Reaktionen hervorrufen können. Reaktionsmuster lassen sich schwer vorhersagen und sind individuell sehr unterschiedlich. Ob es sich um eine traumatische Reaktion handelt, wird vor allem mit der Zeit deutlich. Im Grunde geht es um Folgendes:
Zunächst einmal gibt es ein auslösendes Ereignis. Das kann von kurzer Dauer sein, manchmal ist ein Moment genug. Soldaten kommen in die Wohnung, bedrohen die Familie, und nach einiger Schreierei lassen sich die Soldaten mit den letzten Nahrungsreserven der Familie bestechen und verlassen die Wohnung wieder. Gelingt es der Familie anschließend, für sie sicheres Territorium zu erreichen, mag das Ereignis irgendwie singulär bleiben, potentiell traumatisierend ist es allemal. Gerät die Familie allerdings zwischen die Fronten und muss dort – ohne Schutz und Nahrung – tagelang ausharren, kann nicht mehr von einem singulären Ereignis ausgegangen werden. Zum Grauen des Moments kommt das Grauen, das nicht enden will. Bereits ein singuläres Ereignis kann als Reaktion einen Zustand hervorrufen, der bedeutet, dass man nicht mehr zu seinen “normalen” Reaktionsmustern zurückkehren kann – ein anhaltendes Grauen löst dies mit einer noch höheren Wahrscheinlichkeit aus. Die Folge: Mindestens Rückzug und tendentielle “Fühllosigkeit”, im krasseren Fall komplette “Dissoziation” und die Weigerung, überhaupt etwas zu fühlen, verbunden mit entsprechenden Reaktionsmustern in späteren, scheinbar alltäglichen Situationen: Gefühlskälte und, wenn der Druck größer wird, plötzliche Ausraster. Die “normale Reaktionsklaviatur” ist kaputt, es sind kaum mehr Tasten übrig, nur noch die ganz leisen und die ganz lauten.
Zunächst geht es um Sicherheit und Ruhe. Dann zeigt sich, ob sich die Reaktionsmuster nach ein paar Tagen oder Wochen wieder normalisieren (unmittelbar traumatische Reaktion) oder ob die Muster bleiben und sich später vielleicht sogar verschlimmern (posttraumatische Reaktion). Wie auch immer die Menschen, die gerade nach Deutschland kommen, reagieren – die wenigsten werden das erhalten, was wir “professionelle Hilfe” nennen. Ein Trost mag sein, dass bei Weitem nicht alle, sondern nur ein gewisser Teil der Menschen tatsächlich traumatisierende Erlebnisse hatten. In der ersten Welle von Flüchtlingen aus der Ukraine hält sich der Anteil sicher in Grenzen, in der zweiten Welle wird er deutlich größer sein, die sekundäre Traumatisierung durch lang anhaltende Unsicherheit über den Verbleib geliebter Personen einmal ausgenommen. Selbst wenn die Registrierung schneller geht als wahrscheinlich ist – die Zugänglichkeit professioneller Hilfe bleibt begrenzt. Erstens sind da die Restriktionen bei der Kostenübernahme, zweitens ist da die ohnehin begrenzte Verfügbarkeit von Terminen bei entsprechenden Stellen, und drittens hat ein nicht unwesentlicher Teil der in Deutschland ansässigen Therapeuten kaum oder keine Erfahrung mit den entsprechenden Traumatisierungen. In einem Großteil der Fälle bedeutet das, dass die entsprechende Hilfe entweder nicht geleistet wird, oder aber von Stellen übernommen wird, die primär nicht dafür zuständig sind. Wenn diese Stellen, also vor allem das Personal in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in Kitas und Schulen, ihre Rolle formal korrekt ausüben, müssen sie sich nicht damit beschäftigen. Aber das wäre ebenso unangemessen wie unrealistisch, denn diese Stellen sind ohnehin damit konfrontiert. Also geht es um die Frage, was man konkret tun kann. Und wenn man genau hinsieht, kann man vieles tun – und dabei mit einfachen Mitteln oft schon sehr viel erreichen. Es braucht dafür etwas Fachwissen und vor allem Mut. Wenn man darauf wartet, dass die offiziellen Stellen “große” Veränderungen bewirken, kommt die Hilfe oft zu spät.
Ein Trauma ist eine Reaktion des menschlichen Körpers auf Ereignisse, die so viel Angst auslösen, dass Menschen die Handlungskontrolle bzw. ‑fähigkeit verlieren. Die Angst ist so stark, dass die bewusste Handlungskontrolle aussetzt und der Körper eine Art “elementaren Schutzmechanismus’ ” aktiviert. Man gerät unter Umständen in eine Art “zwanghafter Wiederholungsschleife”, d.h. man wiederholt die Reaktionen auf das Erlebte auch in Situationen, die nicht bedrohlich sind. Ein einfaches Beispiel: War man lange Granatenangriffen ausgesetzt, hat man gelernt, sich SEHR schnell zu verstecken. Monate oder Jahre später kann es sein, dass die betroffenen Personen sich verstecken, wenn eine Tür unerwartet und sehr laut knallt. Traumatisiert zu sein bedeutet, dass man auf für andere ganz “normale” Situationen mit den (elementaren) Mustern reagiert, die einem geholfen haben, die traumatische Situation zu überleben. Das muss nicht ständig der Fall sein. Im Gegenteil: Insbesondere die post-traumatischen Reaktionen sind davon gekennzeichnet, dass man mitunter erst einmal gar nicht oder nur “gedimmt” reagiert – die Reaktionsmuster aber bei Verlust der Handlungskontrolle abrupt wechseln. Jemand kann also mit einer andauernden Bedrohung so umgegangen sein, kaum mehr etwas zu fühlen – und behält dieses Muster bei, reagiert also auch in sicheren Situationen mit Fühllosigkeit, nur um bei einem plötzlichen Wechsel der Situation oder einem Anstieg der Anforderungen in den Bereich einer empfundenen Überforderung plötzlich ärgerlich oder aggressiv zu reagieren. In Kitas kann das durch den abrupten Wechsel und die “fehlenden Zwischentöne” in der Reaktion auf den ersten Blick leicht wie eine nicht altersgemäße Reaktion aussehen. Fakt ist: Die Reaktionsmuster waren im Moment oder während der Dauer der traumatisierenden Situation sinnvoll. In späteren sicheren Situationen sind diese Muster nicht mehr sinnvoll, aber es ist eben das Wesen des Traumas, dass ein Lernprozess verhindert wird und man sich in der besagten Wiederholungsschleife befindet, wobei es oft keineswegs so einfach zu erkennen ist wie bei dem allzu plakativen Beispiel mit der laut knallenden Tür. Die in der traumatischen Situation erlernten Reaktionsmuster werden in als bedrohlich erlebten Situationen wieder angewendet, und es kann sein, dass die Betroffenen vor dem erneuten Verlust der Handlungskontrolle Angst haben, das nicht erleben wollen und deshalb quasi vorbeugend potentiell unsichere oder herausfordernde Situationen vermeiden oder auf Kita-Mitarbeiterinnen “irgendwie distanziert” oder “teilnahmslos” wirken. Das Problem ist oft: Wir wissen es nicht. Wir können im Falles des Auftretens nur sehen, dass eine Reaktion vor dem Hintergrund unserer herkömmlichen Erfahrungen “unangemessen” erscheint. Gleichzeitig können wir im Falle traumatisierter Kinder unsere “herkömmlichen” Vermutungen nicht anwenden, denn dann würden wir mindestens “Anpassungsprobleme” sehen; die traumatische Reaktion stellt aber eben einen Anpassungsversuch an etwas dar, an das man sich kaum anpassen kann. Im Grunde muss man sich vergegenwärtigen, dass eine Traumatisierung eine gewisse Distanzierung vom eigenen Körper bedeutet. Man “weigert” sich quasi zu spüren, und zwar aus gutem Grund, schließlich ging es ums Überleben.
Methodischer Ansatz beim Umgang mit traumatisierten Kindern in Kitas
Die methodischen Hauptelemente beim Umgang mit möglicherweise traumatisierten Kindern zielen darauf ab, ein Gefühl der Sicherheit entstehen zu lassen (weshalb eine zentrale Unterbringung in großen Räumen mit vielen Personen als für traumatisierte Personen ungünstig bis schädlich einzuschätzen ist). Es geht zunächst auch und vor allem um die Erfahrung, dass Beruhigung möglich ist. Durch die Erfahrung von Sicherheit kann ein gewisses Zutrauen in die Umstände und ein gewisses Vertrauen in die betreuenden Personen entstehen.
Bevor wir allerdings näher auf Methoden eingehen, sei hier auf grundlegende Unterscheidungen hingewiesen. Bei einer Traumatisierung geht es um eine Angstreaktion. Hier muss zwischen Ängsten bei Eltern und Kindern unterschieden werden. Gleichzeitig gibt es auch Ängste beim betreuenden Personal in den Kitas: Wie kann ich mit möglicherweise traumatisierten Kindern in meiner Einrichtung/Gruppe umgehen? Wie kann ich mit den Kindern in meiner Gruppe über Krieg reden? Soll ich das überhaupt machen – und was würden manche Eltern sagen, wenn ich es tue? Nicht zuletzt: Wie kann ich mit meiner eigenen Unsicherheit umgehen?
Die Eltern zu stabilisieren ist wahrscheinlich die nachhaltigste Hilfe (in großen Einrichtungen: für ruhige Bereiche sorgen, schlafen lassen, Fremdbetreuungszeiten für die Kinder zur Erholung der Eltern sicherstellen), weil Kinder sich selbstverständlich zuerst an ihren Eltern orientieren. Die Eltern stehen aber selbst oft so unter Druck, dass sie mitunter unangemessen auf ihre Kinder reagieren.
Hier kommt den betreuenden Personen in Kindertagesstätten eine wichtige Funktion zu, denn sie wissen, wie man “sicher” und “stabil” reagiert. Die wichtigste Aufgabe ist, Beziehungsangebote zu machen und einen sicheren Rahmen für die ankommenden Kinder zu schaffen. Das funktioniert auch trotz der Sprachbarriere, denn Zuwendung und Sicherheit sind Dinge, die vor allem körpersprachlich funktionieren. Auch der Vertrauensaufbau kann durch eine entsprechende Körpersprache gewährleistet werden.
In Bezug auf die ankommenden Kinder erst einmal einen Integrationsstatus für die Kindertageseinrichtung zu fordern, geht am Ziel vorbei. Hinter der Forderung nach dem Integrationsstatus steckt zumeist der Wunsch, mehr Zeit für die neuen Herausforderungen zu haben. So verständlich dieser Wunsch auch ist: wenn man sich einmal ansieht, was wirklich notwendig ist, um angemessen auf die Kinder zu reagieren, wird man merken, dass es ganz alltägliche pädagogische Dinge sind, die getan werden müssten – natürlich mit einer erhöhten Aufmerksamkeit und Sensibilität, aber nicht zwingend mit mehr Zeitaufwand. Man soll ja keine Extra-Stunden an den ankommenden Kindern leisten, sondern man soll adäquat reagieren und ggf. Rücksicht nehmen, sich seiner Reaktionen bewusst sein, auf Beziehungsangebote achten und entsprechend körpersprachlich reagieren. Mit vor Ort aufgewachsenen Kindern tun Erzieherinnen und Erzieher das ja auch ganz selbstverständlich, wenn diese Kinder noch in einem Alter sind, in dem sie noch kaum sprechen. Zumal die Erreichung des Integrationsstatus’ so lange dauert, dass die jetzt ankommenden Kinder die entscheidende Phase der Eingewöhnung in die Einrichtung ohnehin schon längst hinter sich hätten. Es geht darum, kurzfristig hilfreich zu sein und zu tun, was notwendig ist. Es geht hier nicht um irgend eine Form von “Traumatherapie”, sondern es geht um ganz normale Beziehungsarbeit mit dem Fokus auf bzw. der Sensibilität für einige Besonderheiten.
Eine tendentielle Distanzierung von der Beschäftigung mit dem Thema durch die gerade geschilderten Argumente ist ebenso wenig hilfreich wie eine “Überdramatisierung”. Die traumatisierenden Ereignisse sind ja schon geschehen. Manchmal sind die Helfer-Reaktionen (sehr betroffene Reaktionsmuster) nicht hilfreich, sondern dramatisieren das Ganze noch. Traumatisierungen haben wie gesagt oft mit einer Art “Fühllosigkeit” zu tun. Übertriebenes “Empathie-Theater” hilft nichts, sondern macht die Sache nur schlimmer. Ruhig bleiben, Beziehungsangebote machen, Interesse zeigen, Vertrauen aufbauen, Eigenständigkeit fördern, nicht überfordern und bei Rückzug des Gegenübers nicht ärgerlich reagieren. Insbesondere bei Kindern geht es darum, Situationen zu vermeiden, die nicht bewältigt werden können. Hier sind in größeren Gruppen ggf. verschiedene Regeln anzuwenden. Ein klassisches deutsches Regelverständnis auf hinzukommende, potentiell traumatisierte Kinder anzuwenden, kann leicht zu sekundären Traumatisierungen (also einer Art “Bestätigung” des primären Traumas) führen. Das Trauma wurde ja durch das Erleben einer nicht zu bewältigenden Situation hervorgerufen. Das war verbunden mit extrem starker Angst, dem Verlust der Handlungsfähigkeit und dem Herunterfahren der kognitiven Aktivität auf ein sehr einfaches Verhaltenslevel als Reaktion darauf. Wenn es in einer Gruppe verschiedene Regeln und Anforderungslevel geben muss, kann das mit den anderen Kindern entsprechend besprochen werden. Aber Vorsicht: Auch hier sollte nichts übertrieben oder überdramatisiert werden. Zudem sollten Sie keine Angst haben, mit Kindern zu besprechen, was Krieg ist. Natürlich sollten Sie keine “expliziten” Bilder zeigen, aber Sie sollten darüber reden – auch wenn manche (einzelne) Eltern ihre Kinder lieber in einer Art “Traumzauberwald” wüssten. Kita soll Kinder auf das Leben vorbereiten, und wenn Krieg zum Leben gehört (auch wenn viele von uns einschließlich meiner Person nicht gedacht hätten, dass so etwas in Europa noch möglich wäre, die Realität lehrt uns: Es ist möglich!), dann sollte auch mit Kindern darüber gesprochen werden.
Da es vor allem um die Begriffe Sicherheit, Stabilität und Bindung geht, sei hier noch auf zwei ggf. bedeutsame Aspekte hingewiesen:
Wenn absehbar ist, dass die potentiellen Bindungspersonen ohnehin bald wechseln (absehbarer oder geplanter Betreuerwechsel in der Gruppe, absehbare längere Krankkeitsausfälle, etwa durch geplante Operationen, bereits formulierte Entscheidungen, das Team zu verlassen o.ä.), sollten potentiell traumatisierte Kinder nach Möglichkeit nicht solchen Gruppen zugewiesen, sondern in Gruppen integriert werden, deren Betreuungsstruktur auf absehbare Zeit stabil bleibt.
Es gibt wie in allen Helferberufen auch unter Erzieherinnen und Erziehern Menschen, die nicht nur eine starke Motivation zu helfen an den Tag legen, sondern das Feedback der betreuten Personen (z.B. die Erfahrung, auch schwierige Herausforderungen zu meistern oder Dankbarkeit von denjenigen, denen geholfen wird) bisweilen “brauchen”. Dieser Personenkreis neigt mitunter dazu, sich (anfangs) sehr stark zu engagieren, Bindungen aufzubauen usw. Später kann es passieren, dass dem zunächst sehr hohen (ggf. zu hohen) Engagement Phasen der Erschöpfung oder/und der vorrangigen Selbstsorge folgen. Hat man zunächst tendentiell zu wenige Grenzen, setzt aber später welche (oft aus nachvollziehbaren Gründen), kann dies gerade im Umgang mit traumatisierten Kindern negative Folgen haben. Man hat sich quasi zum “Leuchtturm” (= sicheres Gegenüber, zu dem man Bindung entwickelt hat) aufgebaut, dann ist der Leuchtturm jedoch mehr oder weniger plötzlich “weg”. In solchen Fällen sollte darauf geachtet werden, wie intensiv überhaupt Bindungen zu potentiell traumatisierten Kindern aufgebaut werden, wenn absehbar ist, dass der “Leuchtturm” sowieso irgendwann nicht mehr stabil verfügbar ist.
Wie kann ich mit Kindern über Krieg sprechen?
Regel Nr. 1: Kinder schauen immer zuerst auf ihre Eltern, um ein Gefühl der Sicherheit zu bekommen – und das umso mehr in Krisensituationen. Man sollte also möglichst keine Angst davor haben, das Thema aufzugreifen, wenn es auftaucht. Man muss es nicht selbst auf die Tagesordnung setzen, aber im Falle eines uns so nahen Krieges wie in der Ukraine wird es früher oder später sowieso eine Rolle spielen. Und in der Einrichtung obliegt es Erzieherinnen und Erziehern, anstelle der Eltern sicher zu handeln. Denn darum geht es in unsicheren Zeiten: um die Vermittlung von Sicherheit gegenüber den Kleinsten und Kleinen, die noch keine eigenen Mechanismen entwickelt haben (können), Sicherheit herzustellen. Um das Thema anzusprechen, empfiehlt UNICEF die folgenden Schritte:
1. Erfragen Sie, was die Kinder wissen und wie sie sich diesbezüglich fühlen
2. Thematisieren Sie das auf ruhige und altersangemessene Art und Weise. Verwenden Sie dabei eine altersangemessene Sprache, beobachten Sie die Reaktionen und reagieren Sie empathisch, wenn es zu Angstreaktionen kommt.
3. Vermitteln Sie Mitgefühl und keine Vorurteile.
4. Fokussieren Sie das Gespräch auf die Hilfe bzw. die Helfer. Das Gefühl, etwas tun zu können, so wenig es auch sein mag, macht einen Unterschied, auch und vor allem bei Kindern.
5. Beenden Sie die Gespräche achtsam und fürsorglich.
6. Fragen Sie wieder nach, thematisieren Sie von Zeit zu Zeit wieder, wie die Kinder darüber denken und wie sie sich fühlen.
7. Begrenzen Sie die Informationsflut, wenn es geht. (Das gilt weniger für Kindergärten, mehr für Aufnahmeeinrichtungen und andere Unterkünfte.)
8. Sorgen Sie in angemessener Weise für sich selbst.
Grundsätzlich sollte man direkt und klar auf das Thema Krieg reagieren. Entsprechende Äußerungen könnten etwa wie folgt formuliert werden: Es gibt gerade Krieg in der Ukraine. Dieses Land liegt nicht direkt neben Deutschland, aber neben Polen. Dort kämpfen Soldaten. Manche der Mütter, Frauen und Kinder dieser Soldaten kommen gerade nach Deutschland, so wie … . Wir sind hier sicher.” Wenn Reaktionen/Nachfragen folgen, antworten Sie kurz und bündig auf der Grundlage Ihrer Werte bzw. der Werte Ihrer Organisation. Der in Punkt 4 vorgeschlagene Fokus auf die Helfer macht das Thema in jedem Fall besprechbar.
(Die in diesem Abschnitt dargestellten Inhalte wurden vom Verfasser aus dem Englischen übertragen und durch eigene Überlegungen ergänzt. Passagenweise handelt es sich im indirekten Sinne um Zitate. Da aber der entsprechende Text original auf Englisch erschienen ist und es nach Kenntnis des Verfassers keine deutsche Fassung des Textes gibt, wird nicht direkt zitiert, sondern auf die Quelle hingewiesen und die Übertragung als indirektes Zitat verstanden.)
Auslösende Ereignisse und Umstände
Die ankommenden Kinder wurden wenn, dann wahrscheinlich durch eines oder mehrere der folgenden Ereignisse oder Umstände traumatisiert:
- bedrohliche oder lebensgefährliche Ereignisse (z.B. Bombardierungen)
- die Flucht selbst
- Trennung von Teilen der Familie (bspw. vom Vater) bei gleichzeitiger Ungewissheit über den Verbleib
Reaktionsmuster
Es sind grundsätzlich folgende Reaktionsmuster auf diese Ereignisse denkbar:
Schock: Dieses Reaktionsmuster bedeutet im glücklichen Fall eine temporäre Anpassung an ein traumatisches Erlebnis und lässt nach einigen Tagen in einem sicheren Umfeld wieder nach.
Unmittelbare traumatische Reaktion: Das traumatisierende Ereignis oder die entsprechenden Umstände wirken so stark, dass die Handlungskontrolle verloren geht und dieser Zustand eine Zeit lang anhält. Die traumatische Belastungsreaktion reduziert sich jedoch innerhalb weniger Wochen, wenn (wieder) sichere Umfeldbedingungen gegeben sind und es (gerade anfangs) nicht zu Überforderungen kommt.
Posttraumatische Belastungsreaktion: Die traumatische Situation führt nicht nur zum temporären Verlust der Handlungskontrolle, sondern auch zur “Dissiziation”, das heißt zur kognitiven Abspaltung des Ereignisses oder der Umstände. Weil es so lebensbedrohlich/angstauslösend war, dass man es nicht bewältigen konnte, spaltet man die Erinnerung daran ab. Wenn hier eine Intervention innerhalb weniger Stunden erfolgt, kann es sein, dass die bewusste Kognition zurückkehrt und der “Flutung des Gehirns mit Angst” etwas entgegensetzt und damit die Auftretenswahrscheinlichkeit post-traumatischer Reaktionen verringert. Das ist im Falle der Menschen aus der Ukraine aber unwahrscheinlich. Wenn jemand also die Handlungskontrolle auf Dauer verloren und überlebt hat, indem sie oder er das jeweilige Ereignis “abgespalten” hat, ist eine post-traumatische Reaktion nicht zwangsläufig (es kann auch nach dem Muster einer unmittelbar traumatischen Reaktion ablaufen), aber wahrscheinlich.
Aus der neueren Forschung weiß man, dass sich die Wahrscheinlichkeit posttraumatischer Belastungsreaktionen stark vermindert, wenn innerhalb weniger Stunden nach dem Ereignis stabilisierend auf die betroffene Person eingewirkt wird. Hier kommt es darauf an, wie das jeweils verfügbare Umfeld (Familienangehörige, andere Anwesende) im Falle eines Ereignisses auf das Kind reagiert haben. Ist dies stabil erfolgt, kann u.U. davon ausgegangen werden, dass sich die Wahrscheinlichkeit posttraumatischer Reaktionen in Grenzen hält. Handelte es sich jedoch nicht nur um ein Ereignis, sondern mehr um länger anhaltende bedrohliche Situationen und haben die verfügbaren Erwachsenen nicht stabil reagiert, steigert das die Wahrscheinlichkeit einer post-traumatischen Reaktion.
Was hilft bei welchem Reaktionsmuster?
Bei Schock und unmittelbar traumatischer Belastungsreaktion: Ruhe, Stabilität, Sicherheit, Vermeidung von Überforderung, viel Zeit zum Schlafen, wenig Medienkonsum (Letzteres wird immer unwahrscheinlicher, seit man fast im Minutentakt aktuelle Informationen über Kriegsverläufe empfangen kann. Man sollte es deshalb weder erwarten noch fordern; es ist zwar der unmittelbaren Gesundung nicht zuträglich, aber verständlich und kaum zu vermeiden.)
In jedem Fall kommt es darauf an zu verstehen, dass es sich um eine neue Situation handelt, die – anders als wir es gewohnt sind und trotzdem wir nach unserem Dafürhalten alles richtig machen – als herausfordernd oder potentiell unsicher oder gar potentiell bedrohlich wirken kann. Deshalb sollten wir es mit Anforderungen, Regeln usw. am Anfang nicht übertreiben, im Gegenteil.
Post-traumatische Belastungsreaktion: Man stelle sich folgendes Beispiel vor: Die Familie stammt aus einem Gebiet, das von Beginn des Krieges an mit Bomben und Raketen angegriffen wurde. Man hat Nächte um Nächte in einem Keller verbracht. Es hat gedonnert, die Erde hat gezittert, nach längerem Ausharren hat man die Flucht ergriffen, der Vater ist aber geblieben. Die Mutter hat mit den Kindern einen Zug nach Westen bekommen, musste den Kindern aber unterwegs während eines langen nächtlichen Halts des verdunkelten Zuges den Mund zuhalten, damit sie nicht schreien. Von Polen ist man weiter nach Deutschland gereist – und landet in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Der erste Eindruck ist der eines sehr großen Raumes mit sehr vielen Menschen. Ist das ruhig? Ist das sicher? Die Kinder schreien, die Mutter beginnt zu weinen. Eine abgeschlossene Wohnung mit “langsamem Ankommen” wäre, wenn es um die Reduktion traumatischer Reaktionen geht, besser. Aber klar, die Umstände: Es geht erstmal nicht besser. Die Situation ist nicht geeignet, muss aber irgendwie gehen. Und dann kommen die Kinder in Ihre Einrichtung.
Verstehen Sie?
Es geht darum, sekundäre Traumatisierungen zu vermeiden. Die Nächte im Keller können bei den Kindern nicht nur eine unmittelbar traumatische Reaktion hervorgerufen haben (können, nicht: müssen), sondern sie können (wiederum nicht: müssen) so schwerwiegend gewesen sein, dass die Kinder die Erinnerung daran abspalten, aber auf stressauslösende (= unsichere, überfordernde = als bedrohlich erlebte) Situationen quasi “automatisch” (= ebenso unbewusst wie “zwangsläufig”, erinnern Sie sich bitte an die “quasi zwanghafte Wiederholungsschleife”) mit dem Muster reagieren, das ihnen in der traumatisierenden Situation (= nicht bewältigbar) geholfen hat. Kompletter Rückzug oder scheinbare Fühllosigkeit mit plötzlichen “Ausrastern” bei gleichzeitiger Unfähigkeit, im unmittelbaren Geschehen aus der Reaktionsschleife herauszukommen… All das sind nur Musterbeschreibungen. Der konkrete Fall kann davon abweichen, über viele Fälle betrachtet wird es aber Gemeinsamkeiten geben, deren wesentliche Elemente ich hier zu beschreiben versucht habe, wohl wissend, dass ich damit keineswegs eine Beschreibung jeden möglichen Falls geliefert habe.
Im Umgang mit traumatisierten Kindern geht es darum, es aus Sicht der Kinder nicht zu übertreiben. Aus der eigenen Sicht mag man es vielleicht gar nicht übertreiben, aber aus der Sicht eines traumatisierten Kindes vielleicht schon. Wenn dieser Text für etwas gut sein soll, dann dafür, diesen Unterschied zu verdeutlichen: Gute Absicht schützt nicht davor, dass es schief gehen kann. Wenn potentiell (wir wissen es ja zunächst nicht, sondern müssen es uns aus Beobachtungen erschließen, und die “professionelle Hilfe” ist auf kurze Sicht und im konkreten Einrichtungsalltag mindestens unwahrscheinlich) traumatisierte Kinder am Gruppengeschehen in einer Kita teilnehmen, sollte ich, zumindest am Anfang, adäquat darauf reagieren: sicher strukturierter Tagesablauf, Zeit für direkte Betreuung, Informationen begrenzen, Ruhe schaffen, Angebote kreieren, die den möglicherweise traumatisierten Kindern, die zudem aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Sprachbarriere betroffen sind, positive Erfahrungen ermöglichen, Hilfe anbieten, aber nicht aufdrängen, mit der Zeit die Selbständigkeit fördern. Und: nicht denken, dass ALLE traumatisiert sind. Und: selber handeln und nicht damit argumentieren, dass dies nur durch “professionelle” Personen zu behandeln ist. Spätestens bei ukrainischen Kindern ist von einem gewissen Anteil Traumatisierter auszugehen. Nur ein kleiner Teil kann an entsprechenden Spezialprogrammen teilnehmen. Und nur ein kleiner Teil muss das auch im existentiellen Sinne. Die anderen sind aber auch da. Und denen können wir helfen, mit ihren Traumata klarzukommen – wenn wir den Mut dazu haben und uns in den Einrichtungen darauf einstellen.
PS: Ein Nachsatz zu einigen möglichen Methoden, die im obigen Text bewusst weggelassen wurden
Eine Darstellung der im Umgang mit traumatisierten Kindern hilfreichen Methoden wäre nicht vollständig, wenn nicht auch von körper- und ausdrucksbezogenen Methoden die Rede wäre. Aber solche Methoden sind im Kontext von Kindertagesstätten mindestens mit Vorsicht anzuwenden, wenn nicht wegzulassen. Dies hat zwei Gründe: Erstens liegt die Anwendung solcher Methoden im Graubereich zwischen verschiedenen Ausbildungen. In diesem Text geht es um die Dinge, die ausgebildetes pädagogisches Fachpersonal anwenden kann, ohne über traumapädagogische Zusatzausbildungen zu verfügen. Zweitens ergeben sich ohne entsprechende Zusatzausbildung womöglich Situationen, die von Beobachtern falsch gedeutet werden und/oder die schief gehen können.
Körperbezogene Methoden: Gemeint sind hier bspw. das Festhalten in entsprechenden emotionalen Grenzsituationen, beispielsweise beim Wiedererleben der traumatischen Situation (“Flashbacks”) oder Massagen. Beide Methoden sind hilfreich und können bei entsprechend stabiler Bindung bzw. entsprechender Nähe angewandt werden. ABER: Das muss man erstens nicht nur individuell wollen und können, sondern im Team abgestimmt haben und zweitens gut reflektieren. Es müssten zudem mindestens ereignisbezogen explizite Einwilligungen und bestenfalls vertragliche Absicherungen vorliegen, und es müsste im Vorfeld darüber gesprochen werden, was wie und in welchen Fällen anzuwenden wäre. Hinzu kommt: Eine Kita ist kein geschützter Therapieraum, und alles, was geschieht, passiert mindestens “halböffentlich”. Zudem sind Grenzfälle auszuschließen. Geschlechterübergreifende Interventionen wären meines Erachtens vorher im Team zu besprechen (UND ggf. nicht allein durchzuführen) oder ebenfalls auszuschließen.
Ausdrucksbezogene Methoden: Hiermit ist alles gemeint, was zum Ausdruck traumatischer Erlebnisse führt (Bilder malen lassen, Anwendung projektiver Methoden, bspw. das “szenische” Nacherzählen von Ereignissen unter Verwendung von Tierfiguren; Verwendung psychodramatischer Methoden). Diese Methoden bewegen sich zwar weit weniger als die körperbezogenen Interventionen in interpretativen (Beobachtungen falsch gedeutet) oder rechtlichen Grauzonen, dafür haben sie gravierendere Auswirkungen, wenn sie nicht funktionieren oder nicht richtig oder im übertriebenen Sinne angewandt werden. Manche Monster verschwinden, wenn man ihre Gesichter auf mit Helium gefüllte Luftballons malen lässt und diese zum Fenster hinauswirft und dann dabei zusieht, wie sie verschwinden. Aber um im Umgang mit solchen Methoden sicher zu handeln, ist viel Erfahrung, Reflexion und entsprechende Ausbildung notwendig. Sicher kann und sollte man Kinder Bilder malen lassen, aber man sollte solche Aktivitäten im normalen Anwendungsbereich belassen und ohne entsprechende Ausbildung mit den Bildern nichts anstellen, was man nicht auch mit allen anderen Bildern tun würde.