Der folgende Text fasst die Inhalte einer Weiterbildung zum Thema „Teamentwicklung“ zusammen. Im Mittelpunkt der Schulung stand die Frage, welche Techniken dabei helfen, Teams in „dynamischen Zeiten“ (gleichzeitige Mitgliedschaft in mehreren Teams, Fluktuation, häufig wechselnde Projekte, Beschleunigung von Abläufen etc.) zu führen.
Das Phänomen Gruppe
Die Entwicklungsimpulse des Menschen richten sich auf individuelle Entfaltung. Man sieht dies am besten an Kindern: Wenn man Kinder in Ruhe lässt, nicht beschäftigt, in pädagogische Formate „einspannt“ oder gar „dressiert“, dann spielen und erkunden sie mehr oder minder die ganze Zeit. Das Leitmotiv der aktuellen Bildungspläne lautet deshalb grob zusammengefasst: „Lernen passiert selbstgesteuert.“ Diesen Entfaltungsimpulsen stehen jedoch mächtige Mechanismen gegenüber. Sobald ein Individuum den Umstand des Organisiertseins betritt, trifft der eigene Entfaltungsimpuls auf den anderer Menschen, mehr noch – die Gruppe „übernimmt“ das Geschehen. Man kann sich dies grob vereinfacht als archaischen Daseinsvorsorgemechanismus vorstellen, indem Menschen ihre eigenen Ziele unter die Gruppenziele unterordnen, um die gemeinsamen Überlebenschancen zu steigern. Aber wie funktioniert das genau?
Stellen Sie sich vor, dass Sie Teil eines neuen Teams werden. In diesen ersten Stunden ist man erst einmal „nett“ zueinander, man schaut sich um, wenn man etwas sagt, und beobachtet, wie die anderen auf die eigenen Worte reagieren. Durch die körpersprachlichen Reaktionen der anderen bilden sich bereits erste Lerneffekte darüber, was in dem besagten Team erwünscht ist oder nicht. Ein denkbar einfaches Beispiel: Sie erzählen einem Ihrer neuen Kollegen, was Sie für ein Auto fahren. Der hebt daraufhin die Brauen und sagt: „Das ist doch so eine Protzkiste aus den Achtzigern, oder?“ Jetzt liegt es an Ihnen, ob Sie das als Kompliment verstehen oder nicht. Wenn Sie im Zuge Ihrer Entwicklung gelernt haben, das Protzen etwas Negatives ist, und wenn die Körpersprache Ihres Gegenübers wenig Zweifel darüber zulässt, dass er mindestens erstaunt ist, dann ist es mit dem Beziehungsaufbau zu Ihrem Gegenüber zunächst einmal vorbei. Je nachdem, wie Sie selbst „gestrickt“ sind, werden Sie womöglich unsicher oder ärgerlich oder beides, und sie werden sich fortan hüten, in seinem Beisein von Ihrer Vorliebe für alte Wagen zu erzählen. Tun Sie es dennoch („Dem zeige ich es!“), haben Sie den ersten kleinen Konflikt erzeugt. Letztere Option wird seltener gewählt; häufiger entscheiden sich Menschen für die vorher dargestellte Rückzugsvariante: Sie haben gelernt, dass es nicht gut ankommt, über Ihren Oldtimer zu sprechen, also werden Sie fortan nicht mehr so frei darüber sprechen. Auf diese Weise lernen die Mitglieder des neuen Teams innerhalb weniger Tage, was in dem Team erwünscht ist und was nicht. Daraus bildet sich recht schnell eine Art von „Gruppenmentalität“, die regelt, welche Beiträge in einer Gruppe belohnt werden und welche nicht. Wichtig ist zu bemerken, dass es sich hierbei nicht etwa um einen intentionalen (absichtsvollen) Prozess handelt, sondern dass sich aus den einzelnen Interaktionen bestimmte Lerneffekte ergeben, die mit der Zeit „kleine Muster“ bilden (etwas wird öfter wiederholt, weil es auf Anerkennung gestoßen ist; etwas anderes wird immer seltener erwähnt, weil es auf Ablehnung gestoßen ist). Nun kommt hinzu, dass die Mitglieder des neuen Teams nun häufiger miteinander zu tun haben als mit anderen, wodurch sich die genannten Lerneffekte verdichten und sich die dadurch hervorgerufenen Musterbildungsprozesse beschleunigen. Hinzu kommt, dass sich die Teammitglieder untereinander beobachten und voneinander lernen (im Sinne des Beobachtungs- oder Modelllernens). Man könnte eine Gruppe also – etwas übertrieben formuliert – als „Homogenisierungsmechanismus“ bezeichnen oder die oben beschriebene Teambildung als „Konformisierungsprozess“ charakterisieren.
Der eben beschriebene Konformisierungsprozess erklärt einige der grundlegenden Phänomene in Gruppen, welche die Forschung über Gruppen in den vergangenen Jahrzehnten umfassend beschrieben hat:
Minimalgruppenparadigma: Bereits die Zugehörigkeit zu einer Gruppe reicht aus, um Mitglieder der eigenen Gruppe zu bevorzugen und Mitglieder anderer Gruppen zu diskriminieren. Hier ist es jedoch nicht nur die Kontaktdichte, die bewirkt, dass mir die Mitglieder meines eigenen Teams vertrauter sind bzw. die Mitglieder eines anderen Teams dementsprechend fremder sind, sondern es kommen noch soziale Vergleichsprozesse hinzu: wir neigen dazu, unseren eigenen sozialen Status mit dem anderer Menschen zu vergleichen, wobei es immer darum geht, den eigenen Status zu erhöhen oder mindestens zu halten. Der ständige Vergleich mit anderen Gruppen ist also eine Art „Statusmonitor“ für Gruppen und damit eine Quelle für die (durch den Vergleich selbst generierte) Anerkennung einer gewissen Statusposition im sozialen Gefüge.
Gruppendenken: Misst man die Einstellungen einer Reihe von Individuen zu einem bestimmten Thema und lässt diese Individuen im Anschluss eine Zeit lang in der Gruppe zu diesem Thema diskutieren, so zeigt sich eine Reduzierung des gemessenen Einstellungsspektrums, wenn man die Einstellungen zu dem betreffenden Thema nach einer Diskussion noch einmal misst. Sind Personen mit eher radikalen Einstellungen im Diskussionsprozess besonders einflussreich (gerade am Anfang von Teambildungsprozessen regelt sich die Dominanz über die Wortmeldehäufigkeit), kann das auch zu heftigen Polarisierungen führen.
Über die Rolle von Minderheiten oder: Lernen von „Mr. Magoo“
Bisweilen hört man im Zusammenhang mit dem Einsatz von Großgruppenmethoden (bspw. „World Café“) oder im Rahmen des Innovationsmanagements die Aussage, dass man die „kollektive Intelligenz“ nutzen wolle. Wenn aber Gruppen zu Konformismus neigen, wie kann man da von „kollektiver Intelligenz“ sprechen? Die Antwort lautet: es kommt auf den Umgang mit Minderheiten an. Wie Chris Argyris gezeigt hat, können Gruppen entsetzlich dumm sein („Erlernte Inkompetenz“). Ist es aber möglich, dass Minderheiten sprechen können, gibt es tatsächliche Meinungsvielfalt. Diese Meinungsvielfalt wirkt dem Gruppendenken entgegen und erhöht die Kompetenz von Gruppen. Dies wird an einer Reihe von Experimenten deutlich, die Tim Harford in seinem Buch „Adapt“ (deutschsprachige Ausgabe: „Trial and Error“) wie folgt beschreibt:
„The classic Asch experiment sat several young men around a table and showed them a pair of cards, one with a single line, and one with three lines of obviously different lengths, labelled A, B and C. The experimenter asked subjects to say which of the three lines was the same length as the single line of the other card. This was a trivially easy task, but there was a twist: all but one of the people sitting around the table were actors recruited by Asch. As they went round the table, each one called out the same answer – a wrong answer. By the time Asch turned to the real experimental subject, the poor man would be baffled. Frequently, he would fall in with the group, and later interviews revealed that this was often because he genuinely believed his eyes were deceiving him. As few as three actors were enough to create this effect.
Less famous but just as important is Asch’s follow-up experiment, in which one of the actors gave a different answer from the rest. Immediately, the pressure to conform was released. Experimental subjects who gave the wrong answer when outnumbered ten to one happily dissented and gave the right answer when outnumbered nine to two. Remarkably, it didn’t even matter if the fellow dissenter gave the right answer himself. As long as the answer was different from the group, that was sufficient to free Asch’s poor subjects from their socially-imposed cognitive straitjacket.
In a surreal variant, the psychologists Vernon Allen and John Levine ran a similar visual test with an elaborate pantomime in which one of the experimental participants had extravagantly thick glasses, specially manufactured by a local optometrist to look like bottle-bottoms. This Mr Magoo character – another actor – then started raising concerns with the experimenter. “Will the experiment require any distance vision? I have a lot of trouble seeing objects that are some distance away.” After a series of set-pieces designed to fool the real subject into believing that Mr Magoo could hardly see his hand in front of his face, the experiment began and of course Magoo kept getting things wrong. Again, subjects found it very hard to disagree with a unanimous – and wrong – group verdict. Again, a single dissenting voice was enough to liberate the subjects. And, astonishingly, this liberation took place even if the fellow dissenter was just poor old Magoo yelling out completely the wrong answer.“ (Harford 2011)
Die Führung von Teams in dynamischen Zeiten
Will man Probleme in Teams lösen bzw. Teams lernfähiger machen, dann besteht die wichtigste Methode darin, Minderheiten dazu zu motivieren, ihre Sichtweisen zum Ausdruck zu bringen. Alles, was neue Informationen in den Teamprozess bringt, macht ein Team „schlauer“. Die wichtigste Frage lautet also, ob es in einem Team möglich ist, alle Sichtweisen – auch Kritik – zum Ausdruck zu bringen. Amy Edmondson hat gemeinsam mit ihren Kollegen untersucht, welche Faktoren (Führungstechniken, Rahmenbedingungen, Methoden etc.) dazu beitragen, Teams lern- und anpassungsfähig zu machen. Frühere Teamentwicklungsmodelle gehen noch von stabilen Bedingungen aus – ein Team lernt sich kennen (Orientierungsphase), handelt seine Rollen aus (Konfliktphase), etabliert diese Rollen (Stabilisierungsphase) und kommt schließlich in die Lage, stabil und produktiv zu arbeiten (Integrations- oder Leistungsphase). Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Heute sind Menschen oft Teil mehrerer Teams. Teams werden für Projekte temporär zusammengesetzt, müssen schnell leistungsfähig sein und gehen oft genauso schnell wieder auseinander. Hinzu kommt, dass viele Teams oft über räumliche Distanz arbeiten müssen. Das stellt höhere Anforderungen an die Teammitglieder – tragfähige Beziehungen müssen gleichsam „on the fly“ geknüpft werden, und es braucht Methoden, mit Störungen sehr schnell und konstruktiv umzugehen. Betrachtet man die Forschungsergebnisse von Edmondson et al. (2001) genauer, dann wird deutlich, welche Techniken und Faktoren bei der Teamarbeit „on the fly“ helfen. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse sowie bei weiterführendem Interesse auch den ausführlicheren Artikel von Amy Edmondson aus der Zeitschrift „Harvard Business Manager“.
In Zeiten, da Abläufe immer schneller und komplexer werden und das Wissen beinahe exponentiell zunimmt, haben Führungskräfte immer weniger die Möglichkeit, selbst alle Kompetenzen zu besitzen, die Handlungen ihrer Mitarbeiter hinsichtlich der Kriterien „richtig“ oder „falsch“ einzuschätzen. Im Gegenteil: Führungskräfte werden immer abhängiger von ihren Mitarbeitern, was eher coaching-orientierte als direktive Führungshaltungen erfordert. Führungskräfte sind auf Informationen von „unten“ angewiesen, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Ein Mitarbeiter gibt seine Informationen aber nur dann nach „oben“, wenn er sich entsprechend sicher fühlt und Vertrauen hat. (Lesen Sie hier einen Artikel zum Thema “psychologische Sicherheit” von Mitarbeitern.) Anstatt also direktiv zu „führen“ ist die Aufgabe von Führungskräften heute insbesondere, tragfähige Beziehungen zu schaffen. Die wichtigste Methode zur Entwicklung von Vertrauen besteht in einer Art interessierter Grundhaltung, die sich in Fragen ausdrückt. Ein Teamleiter wird so zu einem Coach oder Moderator, der das Team in die Lage versetzt, die Aufgabenerledigung zu reflektieren, Fehler zu benennen und Unterstützungsbedarf zu signalisieren. Anstatt langer Besprechungen in größeren Zeitabständen ist es oft besser, in kürzeren Abständen (bis hin zu täglich 15 Minuten) entsprechend kurze und straff moderierte Besprechungen durchzuführen. Lesen Sie bei weiterführendem Interesse hier einen Artikel zur Gestaltung effektiverer Besprechungen.
Ergänzend wurden in der Weiterbildung noch einige hilfreiche Modelle zur Motivation von Mitarbeitern besprochen. Lesen Sie in diesen beiden Artikeln mehr zu diesem Thema:
Arbeitszufriedenheit ist nicht das Gegenteil von Arbeitsunzufriedenheit
Handlungsspielräume und vollständige Aufgaben als zentrale Motivationsfaktoren