Kennen Sie die Methode des Inneren Teams? Man kann damit gegebenenfalls vorhandene „innere Ambivalenzen“ in Dialog bringen und fundiertere Entscheidungen treffen. Gerade bei schwierigen Entscheidungen mit viel Für und Wider, gegebenenfalls schwer abschätzbaren Folgen und so weiter, kann man seinen inneren Impulsen bewusst eine Stimme geben und – moderiert vom eigenen „Erwachsenen-Ich“ – alles anhören und dann eine entsprechend fundierte Schlussfolgerung ziehen.
Die Methode des Inneren Teams passt in vielen komplexen oder ambivalenten Klärungssituationen hervorragend. Die etwas vereinfachtere, auf Archetypen basierende Methode von Erica Ariel Fox, die mit vier mehr oder minder festgelegten inneren Impulsen arbeitet, ist in der Praxis ebenfalls gut einsetzbar.
Nun begegnen wir in unserer Arbeit immer wieder Menschen, denen es sehr schwerfällt, ihren inneren Impulsen oder Ambivalenzen Namen zu geben oder Stimmen zu verleihen. Das trifft insbesondere auf Menschen zu, die es gewohnt sind, sich selbst unter Leistungsdruck zu setzen oder den Leistungsdruck ihrer Vorgesetzten mehr oder minder direkt anzunehmen. Die Reflexion ergibt oft, dass es sich um früh in der Kindheit erlernte Muster des „Durchhaltens“ oder „Leistens“ handelt. Interessanterweise trifft dies überdurchschnittlich oft auf Führungskräfte und auf Angehörige von Helferberufen zu. Viele sind es dermaßen gewohnt, im „Durchhalte-“ oder „Druck-Modus“ zu arbeiten, dass es ihnen sehr schwer fällt, sich überhaupt etwas anderes vorzustellen. Anders ausgedrückt: sie haben vor langer Zeit gelernt, über die Maßen verantwortungsbewusst zu handeln. Im „Verantwortungsmodus“ sind sie nicht gewohnt, an sich selbst zu denken oder für sich selbst zu sorgen. Das Projekt, das Team, die Erwartungen von Vorgesetzten oder Klienten – irgendetwas ist immer wichtiger als die eigenen Belange. Die innere Instanz, die auf recht gesunde Weise egoistisch denken könnte – das innere Kind, wenn man es so bezeichnen wollte – hat lange geschwiegen oder wurde so lange ignoriert, bis es (fast) verstummt ist.
Eine einfache Methode, die Ambivalenz zwischen diesen beiden Instanzen zu verdeutlichen, ist eine Visualisierung beider inneren Impulse. Die „Verantwortungsinstanz“ wird meistens viel größer dargestellt als die die eigene Person betreffenden Impulse, die sich um die eigene Gesundheit, die eigenen Ziele, die eigenen Gefühle kümmern möchten. Bitten wir unsere Gesprächspartner dann, zwischen beiden einmal eine Verbindungslinie zu ziehen und sich die beiden Symbole auf einer Art Wippe oder Waage vorzustellen, wird klar, dass die eigenen Belange gar nicht ins Gewicht fallen können, von einem Gleichgewicht ganz zu schweigen. Oft treten auf der Verantwortungsseite dann noch die Stimmen dritter Personen hinzu – beispielsweise Vorgesetzte oder Eltern -, die Varianten der folgenden Sätze sagen: „Reiß Dich zusammen!“ oder „Du schaffst das schon!“ oder „Ich verstehe Sie, aber dieses Projekt verlangt Ihr ganzes Engagement. Ich habe niemanden, der das so gut macht wie Sie.“
Nun kann – anhand der Visualisierung oder durch verschiedene Stühle im Raum – versucht werden, den Impulsen der Selbstsorge, des inneren Kindes o. ä. eine Stimme zu verleihen. So kann man beispielsweise ganz einfach üben, „Nein“ zu sagen oder zum Ausdruck zu bringen, dass man sich verändert hat, dass man nicht mehr so viel schafft oder schaffen will wie früher. Erfahrungsgemäß ist diese Übung mit großer Erleichterung verbunden.
In einem Fall hatte eine Lehrerin, die früh in Kindheit und Jugend gelernt hatte, viel Verantwortung zu übernehmen, keine Schwierigkeiten, ihre „kleinen“ inneren Impulse (Selbstsorge, Grenzen setzen, Psychohygiene, Freizeit, Arbeitszeitbegrenzung etc.) zu benennen und den „großen“ Impulsen gegenüberzustellen. Interessanterweise zeigte sie Mitleid mit dem kleinen Wesen auf der anderen Seite. Zitat: „Das ist wichtig, aber es ist eben so klein, darauf muss man aufpassen, achten.“ Das innere Kind hatte sich über die Jahre angepasst, sich an das „dominante Mitleid“ der Verantwortungsinstanz gewöhnt.
Die Lösung lag darin, das „große Ich“ zeitweise zu verlassen, das „eigentliche Selbst“ nicht mehr mit den Augen der Verantwortungsinstanz anzusehen, sondern in das kleine Ich zu gehen, ein „Reservat“ aufzubauen (Beispiele: Akzeptanz für sich selbst; Verständnis für die eigenen Prioritäten; Dinge tun, die früher wichtig oder prägend waren, und zwar so lange, bis man zu lächeln beginnt und kein schlechtes Gewissen mehr hat), wo sich das „innere Kind“ von der über viele Jahre einstudierten Verantwortungshaltung erholen konnte.