Wie Kulturen entstehen, und was das mit interkultureller Kooperation zu tun hat

Mit die­sem Bei­trag ver­su­che ich, drei Fra­gen zu beantworten: 

  1. Wie ist unse­re Fähig­keit zu kom­mu­ni­zie­ren entstanden?
  2. Vor dem Hin­ter­grund die­ser Erkennt­nis­se lässt sich die Fra­ge beant­wor­ten, wie Kul­tur ent­steht und wei­ter­ge­ge­ben wird.
  3. Schließ­lich kom­men wir zu einer Ant­wort auf die Fra­ge, was das mit inter­kul­tu­rel­ler Koope­ra­ti­on zu tun hat.

Es kommt alles aus der Sprache

Um zu begrei­fen, wo unse­re Fähig­keit zu kom­mu­ni­zie­ren her­kommt bzw. wie sie ent­stan­den ist, ist es hilf­reich, sich die Lebens­si­tua­ti­on der „Urhor­de“ vor­zu­stel­len – und zwar zunächst als eine Ansamm­lung von Pri­ma­ten, deren „Signa­le“ noch denen ande­rer Säu­ge­tie­re ent­spro­chen haben. Kenn­zei­chen von „Tier­spra­chen“ ist es, dass ein Signal immer eine bestimm­te Reak­ti­on zur Fol­ge hat. Eine Droh­gebähr­de führt zu einer wei­te­ren Droh­gebähr­de – so lan­ge, bis eines der betei­lig­ten Tie­re angreift oder flüch­tet. Tie­re „ver­ste­hen“ die Signa­le nicht – weder die ande­rer Tie­re noch die eige­nen. Sie reagie­ren direkt. Nun muss man sich vor­stel­len, dass eben jene Pri­ma­ten irgend­wann ange­fan­gen haben, sich im Ver­band zu ver­hal­ten, also bei­spiels­wei­se bestimm­te Rol­len bei der Jagd aus­zu­prä­gen. Durch die­se Rol­len­ver­tei­lung, also Anfän­ge von Koope­ra­ti­on, wur­de die Jagd effek­ti­ver. Durch die­se stei­gen­de Effek­ti­vi­tät ent­stan­den Frei­räu­me – viel­leicht hock­te man nun um das Feu­er her­um und hat­te so viel zusam­men­ge­jagt und ‑getra­gen, dass man ein wenig Zeit hat­te. Die Fähig­keit zum Pro­du­zie­ren von Signa­len gab es bereits – nur hat­te bis dato ein Signal eine direk­te Reak­ti­on zur Fol­ge. Man stel­le sich vor, einer der betei­lig­ten Pri­ma­ten zeigt auf ein Beu­te­stück und macht einen bestimm­ten Laut dazu – und zwar nicht als direk­tes Signal, son­dern viel­leicht als Bezeich­nung des­sel­ben, um dem Bezeich­ne­ten nach­her ein bestimm­tes Attri­but zu ver­lei­hen (etwa: beson­ders groß). Dies könn­te als eine „ers­te signi­fi­kan­te Ges­te“ ver­stan­den wer­den – kei­ne Ges­te mehr im direk­ten Ver­hal­tens­fluss, son­dern eine Ges­te, die etwas bezeich­net. Damit ver­hält sich der betref­fen­de Pri­mat nicht mehr nur auf Rei­ze oder Ges­ten hin, son­dern er benutzt eine Ges­te, um einem Objekt eine bestimm­te Bedeu­tung zu ver­lei­hen. Damit wird die Bedeu­tung dem betref­fen­den Pri­ma­ten bewusst. Ange­nom­men, er wie­der­holt sei­ne Zei­ge­hand­lung ein paar Mal, bis auch ande­re Pri­ma­ten ihn nach­ah­men: das ers­te geteil­te Sym­bol ist ent­stan­den. Damit ist die Vor­aus­set­zung geschaf­fen, dass auch ande­re Pri­ma­ten mit einem bestimm­ten Objekt eine bestimm­te Bedeu­tung ver­bin­den (zum Bei­spiel: X = groß). Von einer ers­ten Bedeu­tung ist es zu ande­ren Bedeu­tun­gen nicht weit, denn nun kön­nen Unter­schie­de gemacht wer­den (bei­spiels­wei­se: Y = nicht groß = klein). Nun haben wir das, was uns als Men­schen von ande­ren Säu­ge­tie­ren unter­schei­det: wir kön­nen Din­gen Bedeu­tung ver­lei­hen, was wir mit Hil­fe sprach­li­cher Sym­bo­le tun. Der Unter­schied zu tie­ri­schen „Spra­chen“ ist, dass Tie­re nicht wis­sen, wel­che Bedeu­tung bestimm­te Ges­ten haben (son­dern direkt reagie­ren), Men­schen hin­ge­gen schon – weil wir wis­sen, was ein bestimm­tes Signal bedeu­tet, indem wir uns nicht direkt dazu ver­hal­ten (was bei kör­per­sprach­li­chen Signa­len trotz­dem oft genug pas­siert, etwa wenn wir ärger­lich sind), son­dern indem wir prin­zi­pi­ell dazu in der Lage sind, Bedeu­tun­gen zu ver­ste­hen, indem wir ihre Kon­se­quen­zen mit Hil­fe von Sym­bo­len simu­lie­ren kön­nen. Den­ken ist also nichts ande­res als eine Simu­la­ti­on von Ereig­nis- oder eben Hand­lungs­ket­ten mit Hil­fe von Sym­bo­len. Wir sind also nicht auf das Risi­ko des direk­ten Ver­hal­tens ange­wie­sen, son­dern kön­nen uns – den ent­spre­chen­den Abstand von hef­ti­gen Affek­ten vor­aus­ge­setzt – von der Ver­hal­tens­ver­ket­tung „lösen“ und die mög­li­chen Kon­se­quen­zen anhand ent­spre­chen­der – sprach­li­cher – Sym­bo­le simu­lie­ren. Das erlöst uns von dem Zwang der direk­ten Reak­ti­on (Ver­hal­ten) und ermög­licht uns eine bewuss­te Wahl (also die Handlung).

Auf die­se Wei­se konn­ten sich unse­re Vor­fah­ren aus der direk­ten Ver­ket­tung von Reiz-Reak­ti­ons-Abfol­gen lösen – die unmit­tel­ba­re Bin­dung des Tie­res an das Gesche­hen im Hier und Jetzt wur­de durch die Sym­bo­li­sier­bar­keit und die wech­sel­sei­ti­ge Wei­ter­ga­be­mög­lich­keit von Sym­bo­len bei gleich­zei­ti­gem Ver­ständ­nis gelöst. Das Den­ken als Pro­be­han­deln und die The­ma­ti­sie­rung von Ver­gan­gen­heit und Zukunft – als Vor­aus­set­zung für Ler­nen im Sin­ne einer Aus­wer­tung von Ver­gan­ge­nem und einer dar­auf basie­ren­den, alter­na­ti­ven Pla­nung der Zukunft – wur­den möglich.

Wie ent­steht Kultur?

Nun müs­sen wir uns wei­ter vor­stel­len, dass ein so mit „Sym­bo­li­sie­rungs­kom­pe­tenz“ (also der Fähig­keit, etwas zu benen­nen und die Benen­nung inter­in­di­vi­du­ell nach­voll­zieh­bar zu machen, also gemein­sam zu sym­bo­li­sie­ren) aus­ge­stat­te­ter Ver­band unse­rer Vor­fah­ren bestimm­te Erfah­run­gen macht. Indem etwa im Fal­le einer ungüns­ti­gen Erfah­rung die ent­spre­chen­den Ereig­nis­se sym­bo­li­siert und den­kend „aus­ge­wer­tet“ wer­den – ein­schließ­lich der Ent­wick­lung einer alter­na­ti­ven Hand­lungs­op­ti­on -, haben wir das, was wir eine Idee nen­nen. Nun hat­ten unse­re Vor­fah­ren sicher vie­le Ideen – sie hat­ten ja auch eine gan­ze Rei­he von Pro­ble­men. Eini­ge die­ser Ideen erwie­sen sich als hilf­reich oder wirk­sam, ande­re weni­ger. Die zum Hand­lungs­er­folg füh­ren­den Ideen wur­den frei­lich mit Sym­bo­len ver­se­hen – sie waren ja selbst durch Den­ken ent­stan­den – und damit vom unmit­tel­ba­ren Kon­text des Auf­tre­tens des Bedarfs bzw. der Anwen­dung gelöst. Die­se Sym­bo­li­sie­rung macht die ent­spre­chen­den Ideen wie­der­hol­bar – vor­aus­ge­setzt natür­lich, die ent­spre­chen­den pro­ble­ma­ti­schen Situa­tio­nen und die Erfah­run­gen wur­den eben­falls signi­fi­kant sym­bo­li­siert und damit aus der – tie­ri­schen – unmit­tel­ba­ren Bin­dung an das Hier und Jetzt gelöst. Wei­ter­hin kön­nen wir anneh­men, dass der betref­fen­de Pri­ma­ten­ver­band die besag­ten Pro­ble­me immer wie­der vor­fand und die ent­spre­chen­den Ideen immer wie­der erfolg­reich anwand­te. Aus der Idee wur­de auf die­se Wei­se mit der Zeit ein Mus­ter. Ange­nom­men, die­se Mus­ter bestan­den über vie­le Jah­re hin­weg – in glei­chen oder ähn­li­chen Situa­tio­nen kamen immer wie­der die glei­chen Hand­lungs­mus­ter zur Anwen­dung – ande­re, ursprüng­lich viel­leicht eben­falls vor­han­de­ne Hand­lungs­mus­ter tra­ten dabei in den Hin­ter­grund – dann wur­de die Anwen­dung die­ser Hand­lungs­mus­ter immer wei­ter ver­stärkt, immer selbst­ver­ständ­li­cher. Die Hand­lungs­mus­ter wur­den durch den blei­ben­den Erfolg immer wei­ter ver­stärkt, bis sie durch sich selbst ver­ständ­lich wur­den. Das Pro­blem dabei: wenn etwas selbst­ver­ständ­lich ist, ist es kaum mehr hin­ter­frag­bar. Spä­tes­tens dann spre­chen wir von Kul­tur – ein weit über das Indi­vi­du­um hin­aus­rei­chen­des, für einen gan­zen Ver­band gül­ti­ges „Sam­mel­su­ri­um“ von zu Regeln, Nor­men, kol­lek­tiv gül­ti­gen Restrik­tio­nen usw. geron­ne­nen Hand­lungs­mus­tern, die nicht hin­ter­frag­bar sind und mehr oder min­der unbe­wusst wei­ter­ge­ge­ben wer­den. Die Beto­nung liegt dabei auf „geron­nen“ – es han­delt sich nicht etwa um kon­kre­te Erfah­run­gen oder Hand­lun­gen, son­dern aus der Mus­ter­bil­dung her­aus ent­stan­de­ne Grund­an­nah­men über das Wesen der Din­ge oder das Wesen der Men­schen (oder: ande­re Men­schen, Tie­re, Nah­rung, Gott, Raum, Zeit et cetera).

Man kann sich den Kul­tur­be­griff auf vie­len Ebe­nen vor­stel­len. Jede Fami­lie und jedes Team ent­wi­ckelt mit der Zeit eine spe­zi­fi­sche Kul­tur. Am Bei­spiel eines neu zusam­men­ge­tre­te­nen Teams lässt sich die­ser Pro­zess ein­fach ver­an­schau­li­chen: Das Team kommt zusam­men; die Team­mit­glie­der kann­ten sich vor­her nicht. Die ers­te Bespre­chung steht an. Die Team­lei­te­rin denkt sich mög­li­cher­wei­se, dass es für den Start güns­tig sein könn­te, den infor­mel­len Rah­men eines gemein­sa­men Essens zu wäh­len. Die Bespre­chung soll nicht förm­lich ablau­fen, son­dern es soll Raum für die Ent­wick­lung von Bezie­hun­gen geben. Stel­len wir uns vor, ein Team­mit­glied geht auf ein ande­res zu und spricht es an, stellt sich vor, erzählt etwas. Reagiert das ange­spro­che­ne Team­mit­glied offen und inter­es­siert, so steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass die Per­son, die auf sie zuge­kom­men ist, dies wie­der tut. Gleich­zei­tig steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass ein ggf. ange­spro­che­nes The­ma wie­der auf­ge­grif­fen wird – zwi­schen die­sen bei­den und auch, wenn die bei­den betei­lig­ten Per­so­nen ihrer­seits auf Drit­te zuge­hen. Reagiert die ange­spro­che­ne Per­son neu­tral oder nega­tiv, sinkt die Wahr­schein­lich­keit, dass die bei­den Per­so­nen noch ein­mal spon­tan mit­ein­an­der spre­chen. Gleich­zei­tig hat dies auch eine – vor­erst noch gerin­ge – Wir­kung auf die The­men­aus­wahl. Nun fin­den sol­che bila­te­ra­len Inter­ak­tio­nen in einem neu­en Team viel­fach statt. Hin­zu kom­men die Inter­ak­tio­nen im gesam­ten Team und in den lang­sam ent­ste­hen­den klei­nen Grup­pen. Die­se klei­nen Grup­pen sind sozu­sa­gen „Mus­ter­bil­dun­gen“ – war eine Kon­takt­auf­nah­me erfolg­reich, steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass wie­der Kon­takt auf­ge­nom­men wird. Gibt es dazu noch ein gemein­sa­mes The­ma, wird man sich ggf. sogar sym­pa­thisch. Die­se vie­len klei­nen und grö­ße­ren Inter­ak­ti­ons­se­quen­zen füh­ren zu einer Mus­ter­bil­dung – bestimm­te Bin­dun­gen wer­den stär­ker, man­che mel­den sich häu­fi­ger zu Wort als ande­re, bestimm­te The­men kom­men öfter zur Spra­che, spe­zi­el­le Sicht­wei­sen brei­ten sich aus, die Brei­te des Spek­trums der in der Grup­pe geäu­ßer­ten Mei­nun­gen nimmt ab (Das so genann­te „Grup­pen­den­ken“ bezeich­net die oft vor­kom­men­de Homo­ge­ni­sie­rung des Spek­trums mög­li­cher Mei­nun­gen in einer Grup­pe.) und so wei­ter. Über die Zeit ent­ste­hen Mus­ter: wie bei­spiels­wei­se an Pro­jek­te her­an­ge­gan­gen wird, wer die The­men für Bespre­chun­gen fest­legt, wie mit Kon­flik­ten umge­gan­gen wird, wie „man halt bei uns die Din­ge so macht“. Sol­che Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten gibt es auf allen sozia­len Ebe­nen – auf Grup­pen­e­be­ne, auf Abtei­lungs­ebe­ne, auf Orga­ni­sa­ti­ons­ebe­ne, auf ört­li­cher Ebe­ne (etwa: „Die aus dem Nach­bar­dorf haben sie nicht alle!“) oder regio­na­ler Ebe­ne (etwa: „Mia sann mia!“), auf natio­na­ler Ebe­ne und kul­tur­räum­li­cher Ebe­ne (etwa: „der Wes­ten“) oder auch auf der Ebe­ne von Berufs­grup­pen (etwa: Manage­ment-Kul­tur vs. Inge­nieur-Kul­tur) oder the­men­be­zo­ge­nen Gruppen.

Edgar Scheins Drei-Ebe­nen-Modell ist zwar ein spe­zi­ell für den Begriff der Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur ent­wi­ckel­tes Modell, aber die soeben beschrie­be­nen grund­le­gen­den Merk­ma­le des Kul­tur-Begriffs wer­den in ein­zig­ar­ti­ger Wei­se anschau­lich, wes­halb es hier stell­ver­tre­tend für vie­le mög­li­che Defi­ni­tio­nen und Model­le dar­ge­stellt wer­den soll.

Der Kul­tur­be­griff am Bei­spiel von Edgar Scheins Modell der Organisationskultur

„Schein (2010b, S. 23ff.) hat ein Modell geschaf­fen, das sowohl Erklä­run­gen zulässt, war­um Ver­än­de­run­gen schwie­rig sind oder schei­tern, als auch Hin­wei­se dar­auf gibt, wie die jewei­li­ge Spe­zi­fi­tät einer Unter­neh­mens­la­ge ver­ständ­lich und zugäng­lich wird. Dem­nach bil­den sich, sobald Men­schen mit­ein­an­der koope­rie­ren bzw. Erfah­run­gen tei­len, mit der Zeit bestimm­te Mus­ter. Eine Grup­pe, bspw. ein Arbeits­team, kommt zusam­men, um bestimm­te Auf­ga­ben zu lösen. Anfangs wer­den zur Lösung die­ser Auf­ga­ben Vor­schlä­ge gemacht, von denen eini­ge auf­ge­grif­fen wer­den. Erwei­sen sich davon wie­der­um eini­ge Vor­schlä­ge als erfolg­reich, wer­den die ent­spre­chen­den Hand­lungs­wei­sen beim erneu­ten Auf­tre­ten der betref­fen­den Auf­ga­be mit einer höhe­ren Wahr­schein­lich­keit wie­der ange­wen­det. Lang­sam bil­den sich so aus erfolg­rei­chen Ein­zel­hand­lun­gen Mus­ter. Blei­ben die­se Mus­ter erfolg­reich, neh­men sie lang­sam die Gestalt von Über­zeu­gun­gen an („So macht man das bei uns…“). Mit fort­schrei­ten­der Zeit kris­tal­li­sie­ren sich die zugrun­de lie­gen­den Prin­zi­pi­en her­aus und ver­dich­ten sich zu Regeln. Die­se Regeln stel­len – bei blei­ben­dem Erfolg – fort­an die Grund­la­ge für das erfolg­rei­che Funk­tio­nie­ren des Teams dar und neh­men die Gestalt von Wer­ten an, die von der Grup­pe ent­spre­chend ver­tei­digt wer­den. Dau­ern die Exis­tenz und der Erfolg des Teams an, wer­den die Wer­te immer weni­ger in Fra­ge gestellt und mit der Zeit habi­tu­iert, also zur zuneh­mend unbe­wuss­ten (und damit immer weni­ger hin­ter­frag­ba­ren) Gewohn­heit. Die Ergeb­nis­se die­ser Ent­wick­lung von Ver­such-und-Irr­tum-Erfol­gen über zunächst bewuss­te Über­zeu­gun­gen zu am Ende unbe­wuss­ten Gewiss­hei­ten bezeich­net Schein als Grund­an­nah­men. Wan­del bedeu­tet, dass durch die Ver­än­de­rung exter­ner Bedin­gun­gen die Grund­an­nah­men und damit das über lan­ge Zeit­räu­me habi­tu­ier­te Erfolgs­re­zept eines Teams oder eines gan­zen Unter­neh­mens in Fra­ge gestellt wer­den, was exis­ten­ti­el­le Ängs­te und dem­entspre­chen­de Wider­stän­de aus­löst. Ver­än­de­run­gen gehen also mit einer In-Fra­ge-Stel­lung der exis­ten­ti­el­len Basis bzw. des „gene­ti­schen Codes“ einer Orga­ni­sa­ti­on ein­her, indem die Kul­tur der Orga­ni­sa­ti­on – als impli­zi­te Gesamt­heit des gewon­ne­nen und tra­dier­ten Wis­sens – erschüt­tert wird.“ (Hei­dig et al. 2012)

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Abbil­dung: Das Drei-Ebe­nen-Modell der Unter­neh­mens­kul­tur nach Schein (2010, S. 23ff.); eige­ne Darstellung

Was heißt das für die inter­kul­tu­rel­le Kooperation?

Wenn nun klar ist, was Kul­tur ist und wie sie ent­steht, dann wird auch klar, was das Pro­blem bei der inter­kul­tu­rel­len Kom­mu­ni­ka­ti­on ist – es han­delt sich um unter­schied­li­che Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, die für den Trä­ger oder die Trä­ge­rin einer Kul­tur kaum oder nicht hin­ter­frag­bar sind. Mei­ne Ste­reo­ty­pe und Vor­ur­tei­le sind qua­si mein Bild von den Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des ande­ren – aber gefärbt durch mei­ne eige­nen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten. Und da die­se mir ja unbe­wuss­ter Wei­se aus sich selbst her­aus ver­ständ­lich sind, hin­ter­fra­ge ich sie auch nicht. Fer­tig ist das Miss­ver­ständ­nis. Vor­ur­tei­le sind qua­si völ­lig nor­mal – eine ein­fa­che Fol­ge grund­le­gen­der Ope­ra­tio­nen unse­res Geis­tes, bei­spiels­wei­se des Kate­go­ri­sie­rens, also des Zuord­nens von Objek­ten zu Klas­sen auf der Grund­la­ge von Merk­ma­len bzw. Merk­mals­aus­prä­gun­gen und ‑unter­schie­den.

Was bei der Bear­bei­tung von – ohne­hin und selbst­ver­ständ­lich auf­tre­ten­den – inter­kul­tu­rel­len Irri­ta­tio­nen hilft, ist Dia­log auf der Grund­la­ge trag­fä­hi­ger Bezie­hun­gen. Bringt mir jemand Inter­es­se ent­ge­gen, besteht die Chan­ce, dass ich Ver­trau­en auf­baue. Ler­ne ich den ande­ren ken­nen, tritt er gleich­sam lang­sam „vor“ das Vor­ur­teil, wird also ein­zig­ar­ti­ges Indi­vi­du­um mit Namen und Geschich­te. Das heißt nicht, dass die Vor­ur­tei­le oder Stero­ty­pe des­halb ver­schwin­den wür­den; sie besit­zen viel­mehr eine erstaun­li­che Über­le­bens­fä­hig­keit. Aber indem ich ver­ste­he, wie der betref­fen­de ein­zel­ne ande­re Mensch etwas tut, baue ich eine Bezie­hung auf und damit Vertrauen.

Mit einem so wach­sen­den gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis schaf­fen wir die Vor­aus­set­zung, dass wir gemein­sam eine Arbeits­ba­sis schaf­fen – und damit eine spe­zi­fisch zwi­schen uns oder in unse­rem Team exis­tie­ren­de kul­tu­rel­le Insel, auf der wir neue, uns gemein­sa­me und für unse­re spe­zi­fi­sche Situa­ti­on pas­sen­de Hand­lungs­mus­ter ent­wi­ckeln. Spä­ter wer­den die wie­der selbst­ver­ständ­lich. Aber das ist dann ein neu­es Kapitel.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.