Das Methodenspektrum der Widerstandsbearbeitung

Der Mann, der mir gegen­über­sitzt, hat unge­fähr so viel Knast- wie ich Berufs­er­fah­rung und fin­det es offen­bar lus­tig, wenn ande­re vor ihm Angst haben. Das war zumin­dest mein Ein­druck, als er kurz zuvor einen mei­ner Kol­le­gen ver­bal »zusam­men­ge­fal­tet« hat. Ich habe dar­auf­hin um ein Ein­zel­ge­spräch gebe­ten, das ich mit »Manch­mal habe ich Angst vor Ihnen.« eröff­ne, was stimmt, denn sei­ne Äuße­run­gen wäh­rend der Grup­pen­ar­beit haben in mir sehr unan­ge­neh­me Erin­ne­run­gen an Begeg­nun­gen mit den Stra­ßen­na­zis der Nach­wen­de­zeit auf­stei­gen las­sen. Ich erin­ne­re mich nur zu gut an die­ses Gefühl – auf dem Weg über den gro­ßen Platz vor dem Neu­städ­ter Bahn­hof in Dres­den, hof­fend, dass sich die Her­ren mit den grü­nen Bom­ber­ja­cken nicht um mich »küm­mern« wol­len. Ein­mal hat­te ich nicht das Glück der Nicht­be­ach­tung, und genau an die­se Erleb­nis­se erin­nert mich die jet­zi­ge Situa­ti­on: Mein Magen zieht sich zusam­men, ich rin­ge um Wor­te, mei­ne Stim­me wird immer wei­cher… Nicht wit­zig, den­ke ich mir, war­um habe ich mir kei­nen ande­ren Job gesucht, war­um arbei­te ich jetzt genau mit die­sem Typen? Aber von sol­chen Gedan­ken geht die Angst nicht weg.
»Dein Pro­blem, wenn Du Angst hast.«, knallt mir die Ant­wort entgegen.
»Stimmt«, sage ich, »das ist mein Pro­blem. Es scheint fast, als hät­ten Sie Freu­de dar­an, wenn ande­re Angst haben.«
»Was ist das jetzt für ein Psy­cho­scheiß, glaubst Du, mir macht das Spaß? Ich habe nur gesagt, Dein Pro­blem, wenn Du Angst hast.«
»Ja, das ist ger­ne mein Pro­blem. Sie sind nicht der ers­te, vor dem ich Angst habe, und Sie wer­den wahr­schein­lich auch nicht der Letz­te sein. Sie kön­nen das gut, und das mei­ne ich ernst. Die Fra­ge ist nur, ob Sie auch anders können.«
Es geht noch ein paar Run­den so wei­ter, dann haben wir es. Der Vater mei­nes Gegen­übers war gewalt­tä­tig, und mein Gegen­über ging als Neun­jäh­ri­ger dazwi­schen, als sein Vater sei­ne Mut­ter ver­drosch. Eine solch unglei­che »Schlacht« – zumal über Jah­re hin­weg immer wie­der – hin­ter­lässt Spu­ren. In die­sem Fall den Drang, den »Fein­den« regel­recht ins Gesicht zu sprin­gen, so oft uns so schmerz­haft es eben geht. Die Anzahl der Jah­re im Gefäng­nis spricht für sich.
Wenn auch »krass«, so ist die­se Situa­ti­on doch recht all­täg­lich, wenn man mit ehe­ma­li­gen Straf­ge­fan­ge­nen, Dro­gen­kon­su­men­ten oder ande­ren, gemein­hin als »schwie­rig« erleb­ten Men­schen arbei­tet. Je »kras­ser« oder »schwie­ri­ger« ein Fall erscheint, so mein Fazit aus vie­len Gesprä­chen und durch­aus zahl­rei­chen Feh­lern mei­ner­seits in die­sen Gesprä­chen, des­to non-direk­ti­ver, lang­sa­mer, zurück­hal­ten­der, fra­gen­der kann man über­haupt nur arbei­ten. Der bes­te Weg ist oft, so mei­ne ich, gar nicht zu inter­ve­nie­ren, son­dern sich dar­auf zu ver­le­gen, Wider­stän­de zu akzep­tie­ren und zu explorieren.
In die­sem Text geht es um ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten, mit Wider­stän­den umzu­ge­hen. Die ver­schie­de­nen Metho­den sind nach der Inten­si­tät der Wider­stän­de geordnet.

1. Ein­wands­vor­weg­nah­me
Wenn man mit Wider­stän­den von eher gerin­ger Inten­si­tät rech­net, reicht oft schon eine schlich­te Ein­wands­vor­weg­nah­me aus. Eine Trainerin/Gruppenleiterin bringt dann mit eige­nen Wor­ten die (ver­meint­li­chen) Beden­ken und Wider­stän­de zum Aus­druck, zeigt dadurch Ver­ständ­nis und nimmt poten­ti­el­len Geg­nern ein gutes Stück Wind aus den Segeln. Etwa so: »Ich kann mir vor­stel­len, dass Sie kei­ne Lust haben, hät­te ich viel­leicht auch nicht, am Ende hat man ja was Bes­se­res zu tun, als in so einer Schu­lung zu sit­zen. Aber nun sind wir ein­mal hier, und ich mei­ne, dass das hier nichts ist, was man nicht mit ein biß­chen gutem Wil­len und einer klei­nen Por­ti­on schlech­ter Lau­ne über die Büh­ne brin­gen kann. Mich inter­es­siert, was Sie dar­über den­ken, und was hier pas­sie­ren soll, damit es sich für Sie lohnt.« Wenn die Wider­stän­de mode­rat sind, ent­spinnt sich nach einem sol­chen State­ment (viel­leicht direkt nach der Begrü­ßung) ein ers­tes Gespräch, und bei gutem Wind ent­steht so etwas wie ein »prag­ma­ti­scher Ver­trag« oder zumin­dest ein ers­ter »Nicht­an­griffs­pakt« (was in man­chem Schu­lungs­for­ma­ten, zu denen die Anwe­sen­den zur Teil­nah­me »ver­don­nert« wur­den, nicht der schlech­tes­te Anfang ist). Aller­dings muss ange­merkt wer­den, dass die Tech­nik der Ein­wands­vor­weg­nah­me rein rhe­to­risch und des­halb mani­pu­la­tiv ist. Sie kann mit ethi­schen Maß­stä­ben kol­li­die­ren, und wenn die Teil­neh­mer die Tech­nik ent­lar­ven, ist die Eska­la­ti­on vor­pro­gram­miert. Ich rate daher zu authen­ti­schen Äuße­run­gen. Die­se kön­nen durch­aus auch bis­wei­len die Gestalt einer Ein­wands­vor­weg­nah­me tra­gen, aber die Tech­nik wird in die­sem Fall nicht instru­men­tell bzw. mani­pu­la­tiv, son­dern echt ein­ge­setzt. Dann ist die Wir­kung im Ernst­fall sogar noch größer.

2. Akzep­tanz und Nachfragen
Der bes­se­re – weil weni­ger mani­pu­la­ti­ve – Weg der Wider­stands­be­ar­bei­tung ist, sich nicht dar­auf vor­zu­be­rei­ten oder gleich­sam »pro­phy­lak­tisch« zu inter­ve­nie­ren (Ein­wands­vor­weg­nah­me), son­dern die Sache auf sich zukom­men zu las­sen und – akzep­tie­rend und nicht-direk­tiv – aus dem Pro­zess her­aus zu han­deln. Der Wider­stand kommt – im ein­fachs­ten Fall die Erklä­rung, eher weg zu müs­sen oder kei­ne Rol­len­spie­le machen zu wol­len, im schwe­re­ren Fall eine Lis­te von Argu­men­ten, war­um die Schu­lung bzw. das zu absol­vie­ren­de »For­mat« Quatsch sei, oder im schwers­ten Fall ein direk­ter und abwer­ten­der per­sön­li­cher Angriff -, und ich stel­le mich dem Wider­stand nicht ent­ge­gen. Sich ent­ge­gen­zu­stel­len hie­ße zu dis­ku­tie­ren und zu ver­lie­ren, denn der Coach / Refe­rent / Trai­ner hat immer mehr zu ver­lie­ren als die Teil­neh­me­rin, die in aller Ruhe den Refe­ren­ten »an die Wand nageln« kann und ggf. sogar noch Spaß dar­an hat. Sol­ches Ver­hal­ten in Semi­na­ren hat in der Regel für den Teil­neh­mer kei­ne Fol­gen, für die Trai­ne­rin / Bera­te­rin schon, denn es ist kein beson­ders gutes Zeug­nis, wenn sich die Teil­neh­mer an hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen anstatt an eine inter­es­san­te Schu­lung erin­nern. Ich neh­me den Wider­stand also an, akzep­tie­re ihn, ver­ste­he ihn. Letz­te­res ist ernst gemeint: Wider­stän­de sind zwin­gend zu ver­ste­hen, auch wenn sie noch so abstrus schei­nen. Wider­stän­de sind Aus­druck eines gewis­sen Enga­ge­ments. Der »Geg­ner« fin­det es immer­hin wich­tig, Beden­ken oder Kri­tik zu äußern, mag die­se im Ernst­fall zunächst auch recht per­sön­lich und ver­let­zend daher­kom­men. Apa­thie ist viel schlim­mer. Selbst bei extre­men Wider­stands­for­men (ein­mal setz­te sich ein Teil­neh­mer wäh­rend einer Grup­pen­ar­beit auf den Stuhl hin­ter dem Refe­ren­ten­schreib­tisch) sind zunächst Nach­fra­gen ange­ra­ten: »Darf ich fra­gen, wie es Ihnen auf dem Stuhl dort gefällt? Mich inter­es­siert, was es bedeu­tet, dass Sie jetzt dort sit­zen.« In der Regel kommt es aber gar nicht zu sol­chen Hand­lun­gen, son­dern die Wider­stands­be­ar­bei­tung bleibt ver­bal: »Ich muss hier­her­kom­men, will aber gar nicht. Ich glau­be auch nicht, dass uns das was bringt.« Mei­ne Ant­wort: »Wenn ich dazu ver­don­nert wor­den wäre, wür­de es mir genau­so gehen. Was wur­den Sie denn statt­des­sen machen?« Mein Gegen­über: »Ich habe genug zu tun, Schu­lun­gen sind auch nicht mein Ding, ich bin eher der Prak­ti­ker.« Mei­ne Fra­ge: »Was müss­te denn pas­sie­ren, damit die Ange­le­gen­heit hier für Sie erträg­lich wür­de oder sogar etwas bringt?« Ant­wort: »Die Sache müß­te jetzt in die­sem Moment vor­bei sein.« »Ok. Sie möch­ten so schnell es geht hier raus. Nun müs­sen Sie hier­her, und ich wer­de auch noch dafür bezahlt. Wie könn­te denn ein Ver­hand­lungs­er­geb­nis aus­se­hen, mit dem Sie eini­ger­ma­ßen leben kön­nen? Oder haben Sie viel­leicht sogar Erwartungen?«
Manch­mal dre­hen sol­che Gesprä­che eini­ge Run­den. Wich­tig ist, die Beden­ken und Wider­stän­de zu akzep­tie­ren und, soweit wie mög­lich, in die Pro­gramm­ge­stal­tung ein­flie­ßen zu lassen.

3. Grup­pen­dy­na­mi­sche Intervention
Wenn »gar nichts mehr geht« und eine Grup­pe mehr oder min­der geschlos­sen eine Ver­wei­ge­rungs­hal­tung zum Aus­druck bringt, sodass der »psy­cho­lo­gi­sche Ver­trag« zwi­schen Grup­pe und Lei­ter (Trai­ner, Coach…) gar nicht erst zustan­de kommt oder – im schwie­ri­ge­ren Fall – nach eini­ger Zeit droht zu zer­bre­chen, dann rei­chen die Instru­men­te der Wider­stands­be­ar­bei­tung, die im direk­ten Gespräch mög­lich sind, nicht mehr aus. Auch hier ist Akzep­tanz und nicht-direk­ti­ves Vor­ge­hen not­wen­dig, auch hier fragt man nach, aber man braucht deut­lich mehr Geduld und »Dick­fel­lig­keit«, denn die (schein­ba­re) Einig­keit einer Grup­pe kann einem schwer zu schaf­fen machen. Wenn man selbst als Lei­ter betrof­fen ist, dann ist es bes­ser, die fol­gen­de Metho­de durch einen (neu­tra­len) Kol­le­gen mode­rie­ren zu las­sen. Wenn die­se Rol­len­tei­lung nicht mög­lich ist, muss man Lei­ter und Mode­ra­tor in einer Per­son sein, das heißt, Angrif­fe aus­hal­ten, ver­ste­hend auf­grei­fen und trotz­dem Fra­gen stellen.
Ich möch­te hier ein Set­ting schil­dern, mit dem ich in schwie­ri­gen Situa­tio­nen gute Erfah­run­gen gemacht habe. Die Metho­de lehnt sich in gewis­ser Wei­se an das Reflec­ting Team an und bedarf einer Moderatorenrolle.
Wich­tig ist, dass der Raum, in dem die Gesprächs­run­de statt­fin­den soll, groß genug ist für eine grö­ße­re und eine klei­ne­re »Tisch­in­sel« oder ent­spre­chen­de Stuhl­krei­se. Die betref­fen­de Grup­pe wird gebe­ten, sich um die Tisch­in­sel bzw. im grö­ße­ren Stuhl­kreis zu plat­zie­ren. Das mit der Grup­pe befass­te Team (oft betrifft die Arbeit mit Grup­pen ja nicht nur eine Per­son, son­dern meh­re­re; bei erns­te­ren Lagen in län­ger­fris­tig bestehen­den Grup­pen kann bspw. auch eine invol­vier­te Per­son aus der Lei­tung der betref­fen­den Orga­ni­sa­ti­on hin­zu­ge­zo­gen wer­den) setzt sich an den klei­ne­ren Tisch / in die klei­ne­re Run­de. Wich­tig ist, dass die Blick­rich­tung der Per­so­nen in der klei­ne­ren Grup­pe von der grö­ße­ren Grup­pe abge­wandt bleibt. Als dann beginnt die Befra­gung der grö­ße­ren Grup­pe. Die klei­ne­re Grup­pe hört zu. Erfah­rungs­ge­mäß sind die ers­ten 30 bis 60 Minu­ten mehr oder min­der durch­gän­gig »wider­stands­be­zo­gen« oder »frust­zen­triert«. Die Per­son in der Mode­ra­to­ren­rol­le hat hier eini­ges aus­zu­hal­ten. Durch eine gedul­di­ge, Wider­stand akzep­tie­ren­de und nach­fra­gen­de (vor allem nach Erwar­tun­gen, aber auch vie­le zir­ku­lä­re Fra­ge­for­men sind geeig­net) Mode­ra­ti­on »kippt« die Stim­mung nach einer Pha­se des »Meckerns« ins Kon­struk­ti­ve. Meist begin­nen eini­ge Grup­pen­mit­glie­der dann mit Äuße­run­gen wie: »Die wol­len doch auch nur ihren Job machen…« Wenn der Moment des Kip­pens erreicht ist, kann die Mode­ra­to­rin die Dis­kus­si­on noch eini­ge Zeit wei­ter­lau­fen las­sen und fragt dann die Per­so­nen im klei­ne­ren Kreis, was sie gelernt haben. Zumeist zei­gen sich hier erstaun­li­che Erkennt­nis­se. Spä­ter wech­selt die Dis­kus­si­on immer wie­der zwi­schen den bei­den Krei­sen hin und her, die gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen wer­den kla­rer, und der »psy­cho­lo­gi­sche Ver­trag« zwi­schen den bei­den Sei­ten – bestehend aus gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen – wird aktua­li­siert und auf neue Füße gestellt. In schwe­ren Fäl­len kann eine sol­che Ver­hand­lung meh­re­re Stun­den dauern.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und ihrem Team im Landkreis Görlitz einen Jugendhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Serbokroatisch sowie Russisch. Er ist häufig an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt tätig und hat viele Jahre Vorlesungen und Seminare an verschiedenen Universitäten und Hochschulen gehalten, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.