Der Einfluss der Raumgestaltung und der Arbeitsabläufe auf das Stresslevel

Die bio­lo­gi­schen Wur­zeln des Men­schen üben – vom Bewusst­sein weit­ge­hend unbe­merkt – nach wie vor einen star­ken Ein­fluss auf das mensch­li­che Ver­hal­ten aus. Einer die­ser Ein­flüs­se wird „Ter­ri­to­ri­a­li­tät“ genannt. Dem­nach hat der Mensch bei der Nut­zung von Räu­men spe­zi­el­le Ver­hal­tens­mus­ter. Es geht dabei um Sicher­heit und Über­blick – man sucht sich, wenn es geht, Plät­ze, an denen man die Wand im Rücken und einen frei­en Blick zur Tür hat. Dem­entspre­chend gibt es – ins­be­son­de­re in Groß­raum­bü­ros – Plät­ze, an denen man sich woh­ler bzw. weni­ger wohl fühlt. Eine gewis­se Unru­he am Schreib­tisch kann also durch­aus von des­sen Lage im Raum ver­ur­sacht wer­den. Des Wei­te­ren hält man von bis­her unbe­kann­ten Per­so­nen zunächst einen gewis­sen Abstand. Man kann dies bei Ter­mi­nen beob­ach­ten, deren Teil­neh­mer sich nicht ken­nen – wer den Raum zuerst betritt, hat freie Platz­wahl, wer danach kommt, wird sich sei­nen Platz mit mög­lichst gro­ßem Abstand suchen. Das geht so wei­ter, bis kein Abstand mehr gelas­sen wer­den kann. Die spä­ter Kom­men­den wer­den häu­fig zunächst ihre Tasche oder ihre Jacke auf einen Stuhl legen und sich erst eini­ge Zeit spä­ter set­zen, was als „Aus­tes­ten“ oder „Her­an­tas­ten“ inter­pre­tiert wer­den kann.

Heu­ti­ge Men­schen bewe­gen sich fast aus­schließ­lich in künst­lich geschaf­fe­nen Umwel­ten. Im Ver­lau­fe der Evo­lu­ti­on sind wir aber sehr lan­ge in der frei­en Natur unter­wegs gewe­sen. Gebäu­de mit Büro­räu­men, Autos, Frei­zeit­parks etc. sind neu­zeit­li­che Erfin­dun­gen, an die unse­re gene­ti­schen Grund­la­gen noch gar nicht ange­passt sind. Wir füh­len uns also – wie­der­um völ­lig unbe­wusst – in Umge­bun­gen am wohls­ten, die mög­lichst nahe an der ursprüng­li­chen Welt lie­gen, der unse­re gene­ti­sche Anpas­sung ent­spricht. Das bedeu­tet, Grün­pflan­zen oder die Mög­lich­keit, durch ein Fens­ter ins Grü­ne oder zumin­dest ein paar Meter weit zu sehen, sor­gen für ein ent­spann­tes Kli­ma, ohne dass jemand bewusst etwas davon merkt. Noch ein Bei­spiel: Schau­en Sie sich ein­mal Möbel­ka­ta­lo­ge an – Sie wer­den kaum eine Abbil­dung fin­den, auf der nicht eine Grün­pflan­ze oder irgend­ei­ne Spur des All­tags (bspw. eine Strick­ja­cke über der Leh­ne des Küchen­stuhls) zu sehen ist. So wirkt es natür­li­cher. Glei­ches gilt für die Zusam­men­set­zung der Anwe­sen­den bei einer Bespre­chung – geht es geschlecht­lich und alters­mä­ßig gemischt zu, ent­spricht das unse­ren her­kömm­li­chen Gewohnheiten.

Was die in Büros übli­che Kom­mu­ni­ka­ti­on an Bespre­chungs­ti­schen angeht, so kann man sich fol­gen­de Erkennt­nis­se zunut­ze machen: Am häu­figs­ten wird „über Ecke“ kom­mu­ni­ziert, am zweit­häu­figs­ten, wenn die Per­so­nen direkt neben­ein­an­der oder direkt gegen­über sit­zen. Kaum Kom­mu­ni­ka­ti­on kommt zustan­de, wenn die betref­fen­den Per­so­nen schräg gegen­über oder über Eck mit eini­gen Plät­zen dazwi­schen sit­zen (bspw. Kopf­en­de, zwei Plät­ze frei, dann der nächs­te Gesprächs­part­ner auf einem Platz an der lan­gen Sei­te des Tisches).

Wenn man weiß, dass sich zwei Per­so­nen gern und oft strei­ten, dann ist es bes­ser, sie auf der glei­chen Sei­te des Tisches zu plat­zie­ren, weil sie sich dann, sofern noch jemand neu­tra­li­sie­rend dazwi­schen sitzt, nicht ohne Mühe gegen­sei­tig sehen und so nicht „Ping Pong“ spie­len kön­nen. Sit­zen zwei Streit­ham­mel auf der glei­chen Sei­te, kön­nen sie bes­ser gemein­sam kämp­fen als gegen­ein­an­der. Das Pro­blem liegt dann nicht mehr zwi­schen ihnen, son­dern – im räum­li­chen Sin­ne – außer­halb ihrer Bezie­hung. Sie erin­nern sich viel­leicht an unser Bei­spiel, wie Media­to­ren mit Kon­flikt­par­tei­en umge­hen – die Kon­tra­hen­ten sit­zen neben­ein­an­der und bli­cken in die glei­che Richtung.

Auch die Pro­zes­se bzw. Arbeits­ab­läu­fe an sich haben einen star­ken Ein­fluss auf das Aus­maß von Kon­flik­ten. Fol­gen­de Fra­gen hel­fen bei der Klärung:

  • Sind die Pro­zes­se klar defi­niert? Oder sind die Abläu­fe ggf. sogar übersteuert?
  • Wie gehen Schicht­über­ga­ben vonstatten?
  • Was wird alles gemacht, das gar nicht sein muss?
  • Wo füh­ren sich über­la­gern­de Arbeits­gän­ge oder sich kreu­zen­de Arbeits­we­ge zu Konflikten?
  • Sieht sich, wer zusam­men arbei­ten muss? Wer sieht sich ggf. nicht, müß­te sich aber sehen?

Hin­ter­grund zum letz­ten Punkt: Nur wer sich regel­mä­ßig sieht bzw. wer regel­mä­ßig koope­riert, hat auch die Chan­ce, sich ein­zu­spie­len, gut zusam­men­zu­ar­bei­ten und neu­es Per­so­nal in geeig­ne­ter Wei­se ein­zu­ar­bei­ten. Ein Bei­spiel für Feh­ler, die aus zu gerin­ger Sicht­bar­keit erwach­sen können:

„In einem deut­schen Kran­ken­haus wur­den im Zuge der Reno­vie­rung des OP-Trak­tes die alten Holz­schwing­tü­ren durch auto­ma­ti­sche Edel­stahl­schie­be­tü­ren ersetzt. Das ver­folg­te Ziel war sicher­heits­be­zo­gen – die Ver­bes­se­rung der Hygie­ne stand im Vor­der­grund; Edel­stahl­tü­ren sind leicht zu desinfizieren.

Die neu­en Türen bestan­den aber aus geschlos­se­nen Flä­chen, wäh­rend die alten Türen ‘Bullaugen’-Fenster hat­ten. Die­se boten eine ein­fa­che Mög­lich­keit, im Vor­bei­ge­hen zu sehen, ob zur jewei­li­gen OP Hil­fe benö­tigt wur­de. Ohne Fens­ter muss­te man die Türen eigens öff­nen, was eine Stö­rung dar­stell­te und auch Zeit kos­te­te. Dadurch ent­fie­len Hilfs­an­ge­bo­te an uner­fah­re­nes oder über­las­te­tes Per­so­nal – eine laten­te Bedin­gung für Unfälle.

Nach einem OP-Zwi­schen­fall war die Beur­tei­lung: ‘Wie konn­te man sol­che Türen ein­bau­en!’ Die fens­ter­lo­sen Türen waren aber zum Zeit­punkt des Ein­baus als Fort­schritt ange­se­hen wor­den, nicht als Feh­ler – was ja für das Ziel­kri­te­ri­um ‘Hygie­ne’ auch zutraf.“ (Hof­in­ger 2008, S. 45)

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.