Während das quantitative Forschungsparadigma auf die Überprüfung von Hypothesen abzielt, werden Forschungsgegenstände nach dem qualitativen Paradigma eher erkundet bzw. exploriert. So meint Schein (2010) etwa, dass wir gegenwärtig über das Phänomen Organisation noch so wenig wissen, dass Forscher sich dieses Phänomen erst noch weiter erschließen müssen, weshalb Scheins Ansatz der Erforschung von Organisationen folgerichtig ein qualitativer ist, der auf die Involvierung des Forschers mit dem Forschungsgegenstand setzt.
Der qualitative Forschungsprozess folgt einem groben Schrittmuster:
- Entwicklung einer Fragestellung
- Wahl der geeigneten Erhebungsmethode (bspw. teilnehmende Beobachtung, Gruppendiskussion, Interview; ggf. Festlegung, ob bzw. wie trianguliert wird; Triangulation nennt man die Kombination mehrerer Methoden zur Steigerung der Reliabilität/Zuverlässigkeit der Ergebnisse.)
- Auswahl der zu befragenden / zu beobachtenden Personen oder Gruppen: Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Auswahl zu gestalten. Da der qualitative Forschungsprozess grundsätzlich nicht auf Repräsentativität ausgerichtet ist, gibt es keine Stichproben nach statistischen Kriterien. Vielmehr suchen Forscher bei der Auswahl nach (theoretisch zu erarbeitenden oder praktisch relevanten, grundsätzlich jedoch immer zu begründenden) Kriterien, denen ein gewisser Einfluss auf die Forschungsfrage unterstellt werden kann. So kann ein bestimmtes Alter, eine bestimmte Dauer der Zugehörigkeit zu einer Organisation, eine bestimmte Art von Erfahrung oder eine bestimmte Einstellung relevant sein.
- Wenn die Erhebungsmethode dies erfordert: Vorbereitung eines Leitfadens
- Auswertung bzw. Analyse der Daten
Beispiele für qualitative Analyseverfahren:
- Globalauswertung (nach Legewie 1994; beschrieben bei Bortz und Döring 2002, S. 331): ermöglicht schnelle, übersichtsartige Auswertung von Dokumenten
- Qualitative Inhaltsanalyse (nach Mayring 1989, 1993; beschrieben bei Bortz und Döring 2002, S. 332 f.): Texte werden regelgeleitet und intersubjektiv nachvollziehbar durchgearbeitet; Ziel ist ein elaboriertes Kategoriensystem; Verfahren enthält Feinanalysen
- Grounded Theory (nach Glaser & Strauss 1967); beschrieben bei Bortz und Döring 2002, S. 333 f.): Technik zur Entwicklung und Überprüfung von Theorien; nah am Material orientiert; Ziel ist ein noch elaborierteres Kategoriensystem als bei Mayring und ein hierarchisches Netz von Konstrukten
- Zirkuläres Dekonstruieren (nach Jaeggi, Faas & Mruck 1998): mehrstufige, theorie- und intuitionsgeleitete Arbeit am Text mit mehrfachem Perspektivenwechsel; Ergebnis: rekursive Dekonstruktion von impliziten Sinngehalten; vergleichsweise einfache Methode; datenorientiertes Vorgehen; für kleinere Forschungsprojekte geeignet; ursprünglich für Diplomarbeiten entwickelt)
Methodenbeispiel: Zirkuläres Dekonstruieren
Diese Auswertungsmethode wurde „ausgehend von verschiedenen, qualitativen Forschungsprojekten und bei der Betreuung von Diplomarbeiten” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 4) entwickelt und überarbeitet. Einige Elemente dieser Vorgehensweise sind mit anderen Methoden verwandt oder beziehen sich auf diese (u. a. Glaser & Strauss 1967). Bei der AnwendungArbeit mit dieser Methode werde sich „in kreativen Gedankenschleifen intuitions- und theoriegeleitet” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 5) um das Ausgangsmaterial bewegt. Damit werde der Text zirkulär und rekursiv dekonstruiert, um anschließend so zusammengesetzt zu werden, „daß implizite Sinngehalte sichtbar werden können” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 5). Dabei finde ein mehrfacher Perspektivenwechsel statt, durch den neuartige Erkenntnisse und Theoriebausteine zum Forschungsgegenstand gewonnen werden könnten. (vgl. Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 5)
Die erste Auswertungsphase bewegt sich nur auf der Ebene des Einzelinterviews und besteht aus folgenden sechs Schritten:
- Formulierung eines Themas für den Text: Ziel dieses ersten Schrittes ist die Formulierung eines subjektiv prägnanten Satzes, „der einen Eindruck vom Text zusammenfaßt” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 6).
- Zusammenfassende Nacherzählung: Diese Nacherzählung soll kurz sein und sich auf das Wesentliche beschränken. Es geht um eine erste Straffung des meist umfangreichen Materials. (Vgl. Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 7)
- Stichwortliste: Alle „auffälligen, gehaltvollen Worte oder Begriffe des Textes” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 8) sollen chronologisch hintereinander aufgelistet werden.
- Themenkatalog: Gleichartige Sinnzusammenhänge oder Aussprüche sollen geeigneten (abstrakteren) Oberbegriffen zugeordnet werden, die das Gemeinte bzw. Verstandene zutreffend repräsentieren. (vgl. Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 9)
- Paraphrasierung: Gemeint ist nicht eine Nacherzählung im Sinne des zweiten Schrittes, sondern hier soll die Intuition durch die gedankliche Vorstrukturierung des Themenkataloges ergänzt werden. Themen werden wiederum zusammengefaßt, „sodaß sich Meta-Themen ergeben” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 12).
- Die zentralen, interviewspezifischen Kategorien: Die Kategorien sind das Ergebnis der Integration aller vorangegangenen Arbeitsschritte und dienen „dem Vergleichbarmachen verschiedener Interviews” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 14).
Die zweite Auswertungsphase wird auch als „Systematischer Vergleich” bezeichnet und umfaßt nach Jaeggi, Faas & Mruck (1998, S. 14 ff.) die folgenden drei Schritte: (1) Synopsis, (2) Verdichtung und (3) Komparative Paraphrasierung.
- Synopsis: Alle zentralen Kategorien aus allen einzeln ausgewerteten Interviews werden in eine Tabelle übertragen. Dabei werden erste Häufungen sichtbar. (Vgl. Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 14 f.)
- Verdichtung: Verschiedene Kategorien werden in diesem Schritt zu einem neuen Konstrukt zusammengefaßt. Es gehe hier nicht so sehr um logische Oberbegriffe, sondern um „den Versuch der Akzentuierung einer psychologischen Gestalt” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 15). Diese Gestalt entstehe, indem man sich „empathisch von allen bisherigen Arbeitsschritten anmuten” (Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 15) lasse. Die Anmutung dürfe jedoch nicht nur die Form von Intuition haben, sondern brauche unbedingt die Rückkopplung zum ursprünglichen Text. (Vgl. Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 15)
- Komparative Paraphrasierung: Das Konstrukt, bestehend aus den verdichteten Kategorien, wird nun beschrieben, indem die Sichtweise der einzelnen Interviewten und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen dargestellt werden. Das Konstrukt wird dadurch in all seinen Aspekten mit dem Ausgangsmaterial rückgekoppelt. (vgl. Jaeggi, Faas & Mruck 1998, S. 16 f.)
Literatur
Bogner, A.; Littig, B. & Menz, W. (Hrsg.) (2005): Das Experteninterview. 2. Auflage. VS Verlag. (Interviewtechniken)
Bortz, J. & Döring, N. (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Sozialwissenschaftler. Springer. (Übersicht über quantitative UND qualitative Verfahren)
Flick, U. (2006): Qualitative Sozialforschung. Rowohlt. (Qualitative Forschung allgemein)
Friebertshäuser, B. (1997): Interviewtechniken – ein Überblick. In: Friebertshäuser, B. & Prengel, A. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Juventa. (Interviewtechniken)
Jaeggi, E.; Faas, A. & Mruck, K. (1998): Denkverbote gibt es nicht! Vorschlag zur interpretativen Auswertung kommunikativ gewonnener Daten. Veröffentlichungsreihe der Technischen Universität Berlin: Forschungsbericht aus der Abteilung Psychologie im Institut für Sozialwissenschaften (ISSN 1433–9218). Forschungsbericht, Nr. 2–98.
König, E. & Bentler, A. (1997): Arbeitsschritte im qualitativen Forschungsprozess. In: Friebertshäuser, B. & Prengel, A. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Juventa. (Arbeitsschritte im qualitativen Forschungsprozess)
Mayring, P. (2007): Qualitative Inhaltsanalyse. 9. Auflage. Beltz.