Wir leben in „spannenden Zeiten“: Gesellschaftlicher Dialog wird komplexer und oft auch komplizierter, Demokratie wird „irgendwie anstrengender“. Ähnliche Trends lassen sich auch auf einer individuellen Ebene beobachten: Wir handeln unabhängiger und treffen Entscheidungen immer weniger entlang kollektiv gültiger Konventionen. Wir werden diverser, vielfältiger — und gleichzeitig wächst bei vielen die Sehnsucht nach „intellektuellem Halt“, nach „Richtig“ und „Falsch“. „Diversität“ auf der einen Seite und „Richtig und Falsch“ auf der anderen Seite sind aber kaum in einfacher Weise zusammenzubringen. Die Begriffe schillern und werden selbst divers, indem sie von jeder und jedem beansprucht, interpretiert und im Zweifelsfall auch „dekonstruiert“ werden können.
Kein Wunder also, wenn es zunehmend professioneller Vermittlung zwischen unterschiedlichen und bisweilen recht gegensätzlichen Sichtweisen bedarf. Eine in vielen Bereichen immer häufiger zu beobachtende „Rolle“ ist die der Moderation oder Mediation. Es geht dabei darum, Prozesse so zu begleiten, dass dabei auch etwas herauskommt und man sich nicht „festdiskutiert“ und damit die oft ohnehin schon polarisierten Positionen weiter zementiert.
In diesem Text geht es um Moderationsmethoden. Dabei wird vor allem auf die Person der Moderatorin oder des Moderators abgestellt — auf diejenigen Haltungen und Techniken, die eine Person bei der Steuerung bzw. „hilfreichen Begleitung“ einer Diskussion einnehmen bzw. verwenden kann. Damit beschränken sich die Darstellungen hier auf den Horizont bzw. die Gruppengröße, die eine Person — oder ein Moderatorenpaar — begleiten kann. In der Regel liegt diese Größe zwischen sechs und etwa zwanzig, im geübteren Höchstfall bei etwa dreißig Personen. Alle anderen Größen würden neben der konkret moderierenden Person (oder dem Paar) ein Moderatorenteam und entsprechende „Großgruppenformate“ erfordern — darum geht es hier nicht.
Den folgenden Darstellungen soll hier in Anlehnung an Edgar Scheins „Humble Inquiry“ zunächst eine Reihe von „ersten Sätzen“ bzw. eine Art kurzer Metatheorie zugrunde gelegt werden:
- Abläufe und Abstimmungen werden komplexer.
- Wenn die Komplexität zunimmt, wird „Erfolg“ immer abhängiger von gelingender Kommunikation.
- Gelingende Kommunikation beruht auf Beziehungen, ggf. einem Minimalmaß an gegenseitiger Akzeptanz, damit man als Organisation oder Gemeinwesen handlungsfähig bleibt. (Eine durchaus interessante Frage ist, wo hier Grenzen verlaufen, aber diese Frage wird in diesem Beitrag ausgeblendet, denn hier geht es ja „nur“ um den gelingenden Fall.)
- Beziehungen basieren auf Vertrauen.
- Vertrauen beruht auf gegenseitigem Interesse.
Bei der Moderation geht es darum, Menschen in einen — hoffentlich hilfreichen oder wirksamen — Dialog miteinander zu bringen. Als Moderatorin oder Moderator zeigt man — quasi stellvertretend — Interesse. Das Ziel dieses „stellvertretenden Interesses“ ist es, dass ein entsprechender Austausch entsteht.
Austausch ist etwas völlig anderes als Belehrung. Das wird in der Praxis gern und oft verwechselt. Austausch setzt voraus, dass ich mein Gegenüber und seine Sichtweisen akzeptiere, wie sie sind. Belehrung impliziert, dass meine Sichtweise ggf. „richtiger“ ist als die meines Gegenübers — was mein Gegenüber in der Regel als Herabsetzung empfinden wird.
Die wichtigsten Moderationstechniken sind Fragen
Die meines Erachtens hilfreichste Fragetypologie (und gleichzeitig eine der einfachsten ihrer Art) stammt aus dem Buch „Humble Inquiry“ von Edgar Schein:
Interessensfragen: Im deutschen Sprachgebrauch wird diese Art von Fragen in der Regel als „offene Fragen“ bezeichnet. Die einfachste Regel lautet: Alle Fragen, die mit W beginnen, sind dazu geeignet, Interesse zu zeigen. Voraussetzung ist, dass man Fragen stellt, auf die man die Antwort noch nicht kennt. Eine wirklich offen gestellte Interessensfrage überlässt es dem Gegenüber, was er oder sie antwortet — und bewirkt, dass sich die andere Seite ggf. sogar verstanden fühlt. Einzige Ausnahme: So lange noch kein Vertrauen vorhanden ist, muss man mit der Warum-Frage (äquivalent: Wieso… Weshalb…) ein wenig vorsichtig sein, denn die Warum-Frage kann das Gegenüber leicht in eine Situation der Rechtfertigung bringen, was wiederum als „Drängen“ oder gar als „Herabsetzung“ empfunden werden kann.
Prozessfragen: Prozessfragen sind solche Fragen, die sich auf den Stand der Diskussion oder auf den Status der Beziehung richten. Sie sind insbesondere dann hilfreich, wenn eine Diskussion gerade stockt oder es andere Probleme im Gesprächsfluss gibt. Einige Varianten:
- „Wo stehen wir gerade?“
- „Was ist gerade passiert?“
- „Wie sehen Sie unser bisheriges Gespräch?“
- „Was müsste passieren, damit die Diskussion für Sie gut oder hilfreich ist?“
All das sind Fragen, die zu einer Verständigung über das Gespräch beitragen und die im Prozess — quasi auf einer Art Metaebene — gestellt werden können, um
- Informationen über den Gesprächsprozess zu gewinnen oder
- die Diskussion wieder in ein „konstruktives Fahrwasser“ zurückzubringen.
Konfrontative Fragen: Intuitiv neigen wir (oder die meisten von uns) dazu, geschlossene Fragen zu stellen. Und bei den geschlossenen Fragen gibt es insbesondere eine Art, die definitiv nicht geeignet ist, hilfreich zu sein oder Vertrauen zu schaffen oder eine „Motivation für die Weiterführung eines Dialogs“ zu schaffen — und zwar handelt es sich dabei um so genannte „konfrontative Fragen“. Insbesondere manche Journalisten scheinen diese Art von Fragen zu mögen. Die Grundform einer konfrontativen Frage besteht im Test eigener Vermutungen — indem ich mein Gegenüber frage, was ich selbst vermute („Ist das so, weil…?“ oder: „Sie haben aus diesem oder jenem Grund so gehandelt, oder?“), lasse ich ihr oder ihm nicht die Freiheit, die eigene Sichtweise zu schildern, sondern zwinge mein Gegenüber quasi dazu, meine Vermutungen — oder im Steigerungsfall vieler journalistischer Fragen: Unterstellungen — zu bestätigen oder abzulehnen. Eine Konfrontation suggeriert „besseres Wissen“ und wird deshalb im Falle fehlenden Vertrauens mindestens als „arrogant“, wenn nicht sogar als „Angriff“ verstanden — und ist deshalb kaum hilfreich, wenn es um Dialog geht.
Die Haltung ist wichtiger als die Technik
Mein Gegenüber merkt, ob ich ein echtes Interesse habe oder ob mein Interesse eher „vorgetäuscht“ oder „geheuchelt“ ist — oder ob ich es gar besser zu wissen glaube und mein Gegenüber ggf. belehren möchte. Wenn eine Moderation wirklich erfolgreich sein soll, kommt es natürlich auch auf die Techniken an, aber viel wichtiger ist die Haltung. Die „Essenz“ einer guten — hilfreichen… wirksamen… — Haltung ist, selbst nichts zu wollen. Man ist Facilitator oder Prozesshelferin oder eben Moderator — das impliziert, dass man allparteilich oder neutral ist und selbst keine (inhaltliche) Mission hat. Tatsächliche Neutralität gelingt am besten, wenn man „sich in den Prozess kippen lässt“. Im Grunde bedeutet das, der Diskussion von der Haltung her zu folgen, im Prozess aber ein bis zwei Schritte voraus zu sein, das heißt, die nächsten beiden möglichen Fragen zu kennen, jemanden im Auge zu haben, die noch nichts oder lange nichts gesagt hat oder darauf einzugehen, wenn jemand körpersprachlich eher stark zu reagieren scheint, von sich aus aber nichts sagen würde usw. Als Moderator bin ich für den Prozess zuständig, nicht für die Inhalte.
Weitere Techniken
Neben den Fragen, denen hier besonderes Augenmerk gewidmet wurde, sind noch eine Reihe weiterer Techniken hilfreich:
- Rückformulieren: Diskussionsteilnehmer fühlen sich verstanden, wenn Moderatoren mit kurzen Worten wiedergeben, was soeben gesagt wurde. Diese Technik hat — gerade bei längeren Wortmeldungen — auch eine den Diskussionsprozess fokussierende Wirkung. Indem die Hauptpunkte einer Wortmeldung noch einmal wiederholt werden, kann man leichter zu den nächsten Wortmeldungen überleiten und ist es für Folgeredner einfacher, an bereits Gesagtes anzuschließen. Man sollte diese Technik nicht sklavisch nach jeder Äußerung anwenden, sondern nur dann, wenn sie im Prozess förderlich sein kann, man also beispielsweise das Wort von einer Sichtweise zu einer anderen Position weitergeben möchte.
- Zusammenfassen: Die vielleicht wichtigste Technik neben den Fragen ist die Zusammenfassung — man kann dieses Instrument ruhig etwas öfter nutzen, als es die eigene Intuition ggf. nahelegt. Regelmäßige Zusammenfassungen fokussieren den Diskussionsprozess und dienen der Vergegenwärtigung des Stands einer Diskussion — und können helfen, etwa eine „Sackgasse“ (also bspw. eine festgefahrene Diskussion zwischen zwei beteiligten Seiten) wieder zu verlassen.
- Visualisieren: Eine Diskussion sollte in geeigneter Weise visualisiert werden, wobei man darauf achten sollte, dass man nicht zum „Tooligan“ wird, also zum Sklaven bestimmter Moderationstechniken wie der Kartenabfrage. Moderatoren sind nach meinem Dafürhalten keine „Karten-DJs“, sondern „Prozessgestalter“. Die Frage ist also, welche Visualisierungstechniken für den Anlass, das Thema und die Gruppengröße hilfreich sind. Oft ist ein Flipchart völlig ausreichend. Das ist nicht als generelles Argument gegen Techniken wie die Kartenabfrage zu verstehen. Es gibt genug Gelegenheiten, bei denen eine Kartenabfrage die richtige Methode ist. Es geht mir eher darum, darauf hinzuweisen, dass oft „weniger Tools“ und „mehr Austausch“ bzw. „mehr Prozess“ wirksamer sind.
Körpersprachliche Moderationstechniken
Neben der Haltung und der reinen Gesprächstechnik gibt es noch eine dritte Wirkungsdimension, wenn es um erfolgreiche Moderation geht, nämlich die eigene Präsenz im Raum und die Verwendung der eigenen Gestik als Moderationstechnik:
- Präsenz im Raum und Körperhaltung: Eine aufrechte, halbwegs gerade Haltung, ein ruhiger Atem und eine ebenso langsame wie angemessen laute Sprechweise sind hier hilfreich. Wenn der Dresscode ebenso passend zu den eigenen Vorlieben (Sie müssen sich in Ihrer Kleidung wohlfühlen!) wie „zielgruppenangemessen“ ist, befördert das die eigene Wirkung. Wenn man aufgeregt ist, helfen Atemtechniken, um sich wieder zu fokussieren.
- Zugänglichkeit der Teilnehmerpositionen und Gestik: Achten Sie darauf, dass Sie — gerade bei kontroversen Diskussionen — die Teilnehmer physisch erreichen können. Manchmal muss man sich regelrecht „dazwischenstellen“, um eine heiße Diskussion wirksam zu moderieren. Ein offenes U als Raumanordnung ist also bspw. ratsam. Wenn Sie können, beeinflussen Sie ggf. auch die Sitzposition einzelner Personen, sodass sich potentielle Gegner nicht gegenübersitzen. Wenn potentielle Gegner über Eck sitzen oder sogar nebeneinander (und damit in die gleiche Richtung schauen), verlaufen Diskussionen etwas ruhiger. Mit der eigenen Gestik „gibt“ oder „nimmt“ man das Wort. Achten Sie darauf, einerseits in einem guten und zugewandten Augenkontakt zu sein, andererseits aber eben mit Ihrer Gestik das Recht zu sprechen geben oder nehmen. Eine nicht moderierte Gesprächsdynamik sollte m.E. unterbunden werden — wenn man zu oft „laufen lässt“ führt das zu dem Eindruck, die moderierende Person hätte den Prozess nicht mehr im Griff.
Umgang mit Widerständen
Der professionelle Umgang mit Widerständen ist eine Gratwanderung. Einerseits gilt: Störungen haben Vorrang. Wenn ich als Moderator nicht auf Störungen eingehe, hängen diese ggf. unausgesprochenen Dinge später wie eine Wolke über dem weiteren Geschehen und können dazu führen, dass der Prozess nicht gelingt. Andererseits kann eine Artikulation von Störungen auch zu Grundsatzdebatten führen, die letztlich bewirken, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihren Positionen „eingraben“. Der Trick liegt darin, die Störungen einerseits zu thematisieren und andererseits „zielorientiert zu verwandeln“, also bspw. danach zu fragen, was die Bedenken oder Zweifel für den weiteren Diskussionsprozess bedeuten. Folgende Haltungen und Techniken sind dabei hilfreich:
- Widerstand nicht als „Widerstand“, sondern als legitime Reaktion verstehen und auch so behandeln
- nachfragen, was genau gemeint ist und was das ggf. praktisch bedeutet oder mit welchen Erwartungen das verbunden ist
- ein „Bündnis“ mit dem Widerstand schließen, bspw. durch folgendes Handlungsmuster: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sagen Sie… Richtig? … „Wenn das so ist, dann erlauben Sie mir die Frage, was das für unsere Diskussion bedeutet. Unter welchen Umständen oder Bedingungen wären Sie bereit, weiter an der Diskussion teilzunehmen? Was müsste passieren, damit sich die Diskussion aus Ihrer Sicht lohnt?“
Eine der wirksamsten Methoden zum Umgang mit Widerständen stammt aus dem Werkzeugkasten der Mediation. Es geht darum, die Interessen hinter den Positionen zu ergründen bzw. die vorgetragenen Positionen in Interessen zu verwandeln.
Die wirksamsten Fragen überhaupt sind nach meiner Erfahrung deshalb Varianten der folgenden Fragen:
- „Was wollen Sie? …sagen? …bewirken?“
- „Was ist Ihnen wichtig?“
- „Worum geht es Ihnen?“
Nehmen Sie also „Widerstände“ nicht persönlich und reagieren Sie nicht emotional (was in der Regel zu Belehrungen führt oder zu Diskussionen zwischen Teilnehmern und Moderatoren), sondern nehmen Sie die entsprechenden Reaktionen als Anlass, Fragen zu stellen und die Interessen hinter den vorgetragenen Positionen (Zweifeln, Angriffen…) zu ergründen. Es ist ja nicht „Ihre“ Diskussion, sondern nur Ihr Prozess. Die Diskussion gehört den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Lesen Sie zum Umgang mit Widerständen vertiefend auch zwei weitere Methoden-Texte auf dieser Website:
- Warum die Haltung wichtiger ist als die Technik: Über den Umgang mit schwierigen Situationen in Trainings
- Fragen stellen, nicht diskutieren: zum Umgang mit schwierigen Weiterbildungsgruppen
Wie reagiert man professionell auf Versuche, die Moderatorenrolle zu demontieren?
Gerade in kontroversen Diskussionen kann es zu Versuchen kommen, die Moderatorenrolle zu diskreditieren oder regelrecht zu demontieren. Gängige Varianten sind Zweifel an der Kompetenz oder Einschüchterungsversuche. Will man solcherlei Zweifeln oder Angriffen professionell begegnen, gilt es vor allem, in der eigenen Rolle zu bleiben und nicht den „emotionalen Triggern“ nachzugeben.
Aber wie geht das? Indem man „allparteilich“ und den Zielen der Moderation verbunden bleibt. Im Grunde entsteht durch die Teilnahme an einer Diskussion eine Art „Vertrag“ zwischen Moderator und Teilnehmern — und dieser Vertrag besteht aus gegenseitigen Erwartungen. Die Erwartungen werden in der Regel am Anfang der Moderation geklärt oder sind durch die Ziele der Veranstaltung vorgegeben. Nun muss nicht jede Teilnehmerin die Ziele einer Veranstaltung teilen — die Ziele können unklar sein oder man nimmt, gerade bei Veranstaltungen mit vorgegebenen Zielen, zwar an der Veranstaltung teil, verfolgt aber abweichende oder inkompatible Ziele. Wichtig ist zunächst einmal anzuerkennen, dass das passieren kann — und darf. Erkennt man das an und lässt sich im oben beschriebenen Sinne „in den Prozess kippen“, kann man eine einfache Technik anwenden:
Diese besteht im Prinzip in einer konsequenten Anwendung der eigenen Grundhaltung (neutrales Interesse) und der oben beschriebenen Fragetechnik der Prozessfragen. Wenn etwas stört, haben die Störungen zunächst Vorrang. Praktisch bedeutet das, dass ich zunächst frage, was los ist, ggf. danach frage, wo wir stehen und was eigentlich herauskommen soll. Im Prinzip nutze ich eine neuerliche Erwartungsabfrage als Korrekturmöglichkeit für den Prozess:
- „Wo stehen wir gerade?“
- „Was möchten Sie? …erreichen? …bewirken?“
- „Was ist Ihr/unser Ziel?“
- „Ist das, was gerade passiert, hilfreich, das Ziel zu erreichen?“
- „Darf ich noch einmal nach Ihren Erwartungen fragen?“
- „Was müsste passieren, damit unser Gespräch die Ziele erreicht? …hilfreich ist? …wirksam ist?“
Wenn man derart auf einer Metaebene fragt, bewirkt man im Prinzip Folgendes: Ähnlich wie bei einem bekannten Brettspiel nutzt man die Chance einer neuen Runde, geht über „LOS“ und sammelt Startkapital ein. Das „Startkapital“ in unserem Fall ist die neuerliche Erwartungsabfrage. Wichtig ist nur, dass man neutral bleibt und sich nicht von den Emotionen mitnehmen lässt. In der Regel verlassen Moderatorinnen oder Moderatoren dann ihre Rolle, wenn sie sich angegriffen fühlen und emotional reagieren. Statt sich zu rechtfertigen ist es besser, im Prozess zu bleiben und zu fragen, was ggf. die (durch das „störende“ Ereignis veränderten?) Ziele sind und was passieren müsste, damit die Ziele erreicht werden bzw. wie die (ggf. zu korrigierenden) Erwartungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer lauten.
Abbildung: Die beste Technik, mit Störungen umzugehen, ist, konkretisierend nachzufragen. Nach Erwartungen zu fragen ist wie in einem bekannten Spiel über „Los“ zu gehen: Man bekommt das „Startkapital“ für eine neue Runde.
Die Frage ist immer, wem die Diskussion „gehört“. Einer Moderatorin „gehören“ nicht die Inhalte, sondern ihr gehört der Prozess — wenn sie dort bleibt, kann ihr nicht viel passieren, außer dass die Kompetenzzweifel so laut werden, dass eine Moderation nicht mehr möglich ist. Aber auch das ist legitim und auch danach kann man fragen — und sich dann entsprechend verhalten. Aber Sie werden sehen — bleibt man konsequent bei seiner Rolle und fragt beharrlich-konkretisierend nach, ohne sich zu rechtfertigen, zu diskutieren oder zu viele Emotionen zu zeigen, werden die Zweifel von alleine wieder leiser. Im Extremfall kann man noch „die Gruppe aktivieren“, das heißt, auch andere in die Kurskorrektur vermittels der Prozessfragen einbeziehen — und dann werden sich auch einige auf Ihre Seite stellen. Aber Vorsicht, das sollte eines der letzten Mittel bleiben, denn solche Vorgänge können die Gruppe ggf. spalten.
Moderatoren sind dafür zuständig, dass die Diskussion funktioniert. Folgen Moderatoren zu sehr ihren Emotionen, geraten sie in die Gefahr, aus dieser Rolle zu fallen. Man kann hin und wieder Emotionen „für den Prozess“ zeigen — beispielsweise energisch darauf hinweisen, was eigentlich das Ziel ist o.ä. Aber man muss üben, sich durch Kompetenzhinterfragungen oder Angriffe nicht verleiten zu lassen, die eigene Rolle zu verlassen und sich zu rechtfertigen. Man kann, wenn es gewünscht wird, den eigenen Ansatz erläutern und ggf. nach Hinweisen zur Kurskorrektur fragen. Aber man soll sich nicht rechtfertigen, denn das führt in der Regel nur zu einer Wiederholung der Kritik. Am Ende einer Eskalation aus Kritik und Rechtfertigung ist man in der Tat nicht mehr hilfreich — im Zweifelsfall führt die Kritik also dazu, dass sie stimmt.
Die hilfreichste Technik lautet wie gesagt, immer wieder nach Erwartungen zu fragen: Wo stehen wir? Was erwarten Sie? Und wenn sich die Sichtweisen oder Erwartungen gegen die Moderation richten, dann ist auch das legitim. Das kann passieren. Jemand kann der Meinung sein, ich sei als Moderator nicht hilfreich. Auch dann führt das zu einer Frage:
- „Verstehe ich das richtig, dass Sie die Art und Weise, wie ich das hier mache, nicht gut finden? Was meinen Sie genau?“
- Mein Gegenüber antwortet.
- „Ok. Und darf ich fragen, was das aus Ihrer Sicht für die Diskussion bedeutet?“
- Mein Gegenüber antwortet wieder.
- „Und darf ich die anderen einmal fragen, wie Sie das sehen?“
- Andere Teilnehmer antworten.
- „Worauf wollen Sie sich jetzt einigen? Inwiefern soll die — zugegeben nicht einfache — Diskussion weitergehen oder an dieser Stelle enden? Oder was kann ich tun, damit sie gut weitergeht?“
In der Regel erfährt man so, was man ggf. tun kann, um eine Diskussion zu „retten“. Man sollte aber immer im Kopf haben, dass man weder perfekt ist noch alles kann und dass es Diskussionen gibt, die schlicht kaum zu steuern und schon gar nicht zu „retten“ sind. Der beste Trick ist wie gesagt, selbst nichts zu wollen.
Text, Titelfoto und Zeichnung: Jörg Heidig
PS: Der Text fasst die Inhalte meines Moderationstutoriums beim Masterstudiengang Human Communication an der Dresden International University zusammen und dient gleichzeitig als Grundlage für Trainings zum Thema Moderation, u.a. an der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung im Auftrag der Aktion Zivilcourage.