Die tatsächlichen Gründe für hohe Unzufriedenheit unter Mitarbeitern, insbesondere im Schichtdienst

Als ich kürz­lich gemein­sam mit mei­nen Kol­le­gen von MAS Part­ners einen Vor­trag über Mit­ar­bei­ter­bin­dung und ‑zufrie­den­heit auf der Mes­se BGM­pro in Leip­zig gehal­ten habe, ging es bei eini­gen Fra­gen von Zuhö­rern unter ande­rem um die gegen­wär­tig in man­chen Unter­neh­men stei­gen­de Unzu­frie­den­heit. Die Unzu­frie­den­heit stei­ge mit­un­ter auch in sol­chen Unter­neh­men, die bereits sehr viel für Gesund­heit, Arbeits­si­cher­heit oder die Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf tun. In einem Fall sag­te jemand: „Egal, was wir machen: die Unzu­frie­den­heit unter Mit­ar­bei­tern im Schicht­dienst bleibt sehr hoch.“

Ich möch­te mit die­sem Text die Fra­ge beant­wor­ten, war­um die Unzu­frie­den­heit trotz vie­ler guter Maß­nah­men stei­gen kann. Bis­wei­len macht die Füh­rung eines Unter­neh­mens „gefühlt alles rich­tig“, und die Unzu­frie­den­heit steigt den­noch — und in der Fol­ge auch ande­re Indi­ka­to­ren wie Fluk­tua­ti­on oder Absen­tis­mus. Des Wei­te­ren gehe ich auf die beson­de­re Lage von Unter­neh­men mit Schicht­dienst ein. Grund­la­ge mei­ner Dar­stel­lun­gen sind die Erkennt­nis­se, die ich gemein­sam mit den Kol­le­gen von MAS Part­ners und KOCMOC im Rah­men von Mit­ar­bei­ter­be­fra­gun­gen und Chan­ge-Pro­jek­ten in Unter­neh­men unter­schied­lichs­ter Bran­chen und Grö­ßen sam­meln konn­te. Als Bench­mark für die­se Befra­gun­gen füh­ren wir zudem aller zwei Jah­re die MAS Mit­ar­bei­ter­stu­die Mit­tel­deutsch­land durch (reprä­sen­ta­tiv für Unter­neh­men in Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen). Die nächs­te Wel­le der Unter­su­chung steht Anfang 2020 auf dem Plan, die letz­te Wel­le haben wir in 2018 durch­ge­führt. So kön­nen wir für unter­neh­mens­spe­zi­fi­sche Befra­gungs­er­geb­nis­se einen Bran­chen- und Regio­nal­ver­gleich anbie­ten und genau sagen, ob ein spe­zi­fi­sches Befra­gungs­er­geb­nis über- oder unter­durch­schnitt­lich ist. Zudem ver­fü­ge ich mit mei­nen Kol­le­gen aus dem Pro­zess­psy­cho­lo­gen-Team über zahl­rei­che Erfah­run­gen aus Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lungs­pro­jek­ten in mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men der Regi­on. 

Vor die­sem Hin­ter­grund lässt sich die oben gestell­te Fra­ge wie folgt beantworten:

The­men wie Mit­ar­bei­ter­zu­frie­den­heit oder ‑gesund­heit nicht sin­gu­lär, son­dern ganz­heit­lich betrachten

Das The­ma Mit­ar­bei­ter­ge­sund­heit ist der­zeit ein Trend­the­ma, und ent­spre­chen­de Unter­su­chun­gen und Maß­nah­men wer­den oft rela­tiv „sin­gu­lär“ durch­ge­führt. Varia­blen wie Mit­ar­bei­ter­zu­frie­den­heit, Gesund­heit am Arbeits­platz, Höhe des Kran­ken­stands oder auch die Fluk­tua­ti­ons­ra­te erge­ben sich aus viel­fäl­ti­gen Fak­to­ren, und es ist schwer, die genau­en Ursa­chen und damit die rich­ti­gen „Stell­schrau­ben“ zu ermit­teln. So kann es wie gesagt vor­kom­men, dass bereits vie­le Maß­nah­men in den Berei­chen Gesund­heit und Arbeits­schutz ergrif­fen wer­den, aber kei­ne Wir­kung auf die Zufrie­den­heit, die Gesund­heit oder den Kran­ken­stand zei­gen. Bis­wei­len sinkt die Zufrie­den­heit sogar noch oder der Kran­ken­stand steigt, ohne dass die Füh­rungs­kräf­te eines betrof­fe­nen Unter­neh­mens sagen könn­ten, war­um. Hier ist es wich­tig, eine ganz­heit­li­che Per­spek­ti­ve ein­zu­neh­men und das Gesche­hen kom­plex zu betrach­ten. Eine nur auf Gesund­heit aus­ge­rich­te­te Ana­ly­se der Orga­ni­sa­ti­on zeigt in der Regel eini­ge Hand­lungs­be­dar­fe, aber ob die­se Hand­lungs­be­dar­fe dann tat­säch­li­che Ver­än­de­run­gen her­vor­ru­fen, bleibt oft frag­lich. Hin­ge­gen kön­nen mit einer umfas­sen­de­ren Ana­ly­se The­men wie Gesund­heit oder Zufrie­den­heit in ein Gesamt­bild ein­ge­ord­net wer­den, und oft zei­gen Maß­nah­men in eher uner­war­te­ten Berei­chen eine stär­ke­re, aber eben indi­rek­te Wir­kung auf die Varia­blen, die beein­flusst wer­den sollen.

Den Ein­fluss der mitt­le­ren Füh­rungs­kräf­te nicht unterschätzen

Den nach unse­ren Erkennt­nis­sen stärks­ten Ein­fluss auf die Zufrie­den­heit von Mit­ar­bei­tern haben die „unte­ren mitt­le­ren Füh­rungs­kräf­te“, also jener Per­so­nen­kreis, der in direk­ten Bezie­hun­gen zur Mit­ar­bei­ter­schaft steht. Die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen in Unter­neh­men sind viel­fach von einer Erhö­hung der Kom­ple­xi­tät und einer Beschleu­ni­gung von Pro­zes­sen gekenn­zeich­net. Bei­de Ent­wick­lun­gen erhö­hen den Bedarf an gelin­gen­der, punkt­ge­nau­er und effi­zi­en­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on. Aller­dings ist Kom­mu­ni­ka­ti­on unter heu­ti­gen Umstän­den kaum mehr for­ma­li­siert regel­bar (es sei denn, es han­delt sich um Stan­dard-Pro­zes­se oder es wird ein stan­dar­di­sier­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zess über ein kom­ple­xes Gesche­hen ein­ge­führt wie das etwa in der Luft­fahrt oder im Gesund­heits­we­sen der Fall sein kann), son­dern Füh­rungs­kräf­te müs­sen dafür sor­gen, dass qua­si pro­ak­tiv kom­mu­ni­ziert wird — die not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen also zeit­nah an die rich­ti­ge Stel­le kom­men. Für die kaum regel­ba­ren Fäl­le von Kom­mu­ni­ka­ti­on kommt es also auf die „Infor­ma­ti­ons­wei­ter­ga­be­be­reit­schaft“ an. Die­se steigt an, wenn die Bezie­hun­gen zwi­schen den han­deln­den Per­so­nen „stim­men“. Und wann „stim­men“ Bezie­hun­gen? Wenn ein Min­dest­maß an Rück­halt und Ver­trau­en vor­han­den ist. Und wie ent­steht Ver­trau­en? Durch Inter­es­se am ande­ren Men­schen und Rück­halt bzw. Ver­läss­lich­keit im Han­deln. Ich habe ein Modell ent­wi­ckelt, mit dem sich die Bezie­hungs­qua­li­tät zwi­schen Füh­rungs­kräf­ten und Mit­ar­bei­tern (und wie­der­um zwi­schen Füh­rungs­kräf­ten und deren Vor­ge­setz­ten) beschrei­ben lässt. Ursprüng­lich stammt das Modell aus mei­nen For­schun­gen über die öffent­li­che Ver­wal­tung, die dort gefun­de­nen Zusam­men­hän­ge sind aber so all­ge­mein­gül­tig, dass sie einer bran­chen­über­grei­fen­den Über­prü­fung stand­ge­hal­ten haben:

  1. For­ma­lis­ti­sche Bezie­hung: In die­sem Fall betont die Füh­rungs­kraft die Sach­ebe­ne, gibt Mit­ar­bei­tern kaum Rück­halt und blen­det die „mensch­li­chen Fak­to­ren“ weit­ge­hend aus („Wir sind hier nicht auf dem Pony­hof!“). Man­che for­ma­lis­tisch ori­en­tier­te Füh­rungs­kräf­te zögern nicht, bei Pro­ble­men mit der Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses zu dro­hen oder sagen Sät­ze wie: „Wenn Sie glau­ben, dass es woan­ders schö­ner ist, hal­te ich Ihnen gern die Tür auf.“
  2. Lern­ori­en­tier­te Bezie­hung: Aus Sicht vie­ler von mir befrag­ter Per­so­nen (unab­hän­gig davon, ob in Mit­ar­bei­ter- oder Füh­rungs­po­si­tio­nen) ist die bes­te Vor­aus­set­zung für enga­gier­tes, moti­vier­tes und idea­ler­wei­se „pro­ak­ti­ves“ Han­deln der Rück­halt durch die direkt vor­ge­setz­te Per­son. Ist Ver­trau­en in die Füh­rungs­kraft vor­han­den, ermög­licht das Eigen­in­itia­ti­ve. Weiß man hin­ge­gen nicht, wor­an man ist, schränkt das die Eigen­in­itia­ti­ve ein, und man macht auf lan­ge Sicht eher „Dienst nach Vorschrift“.
  3. Prag­ma­ti­sche Bezie­hung: Wer bereits län­ger im Unter­neh­mens­ge­sche­hen tätig war, weiß genau, bei wel­chen Füh­rungs­kräf­ten „Mit­den­ken erwünscht“ ist und bei wel­chen nicht. Vie­le Mit­ar­bei­ter über­le­gen sich des­halb mit der Zeit, wann sie sich ein­brin­gen oder nicht. Sie haben gelernt, dass man sich auch „ver­kämp­fen“ kann. In Füh­rungs­po­si­tio­nen führt die­se Ein­stel­lung oft zu einer Hal­tung, die man als „sach­be­zo­ge­nen Rück­halt“ bezeich­nen könn­te. Wäh­rend im Fal­le der lern­ori­en­tier­ten Bezie­hung der Rück­halt und das Inter­es­se sach- und per­so­nen­be­zo­gen sind, erhält man im Fal­le der prag­ma­ti­schen Bezie­hung zwar alle sach­lich not­wen­di­gen Man­da­te und die ent­spre­chen­de Unter­stüt­zung, muss aber auf­tre­ten­de Pro­ble­me und Kon­flik­te weit­ge­hend selbst lösen. Wer im Unter­neh­men „prag­ma­tisch sozia­li­siert“ wur­de, hat­te es nicht leicht, wur­de dadurch aber in der Regel „fes­ter“ oder „bestän­di­ger“, was das eige­ne Durch­hal­te­ver­mö­gen betrifft — oder ist bei­zei­ten wie­der gegangen.
  4. Oppositionelle/rebellische Bezie­hung: Trifft eine Per­son, die Eigen­in­itia­ti­ve zei­gen möch­te und sich kri­tisch mit den vor­han­de­nen Rou­ti­nen aus­ein­an­der­set­zen will (oder oft auch soll), auf eine Füh­rungs­kraft, die eher for­ma­lis­tisch führt und kein Inter­es­se an den Ideen der neu­en Mit­ar­bei­te­rin hat und den Sta­tus quo in kei­ner Wei­se ändern möch­te, dann führt das mit der Zeit zu etwas, das sich als „rebel­li­sche“ Bezie­hung zur vor­ge­setz­ten Per­son bezeich­nen ließe.

Die fol­gen­den Gra­fi­ken zei­gen eini­ge bis­her unver­öf­fent­lich­te Ergeb­nis­se aus unse­rer Stu­die, und zwar die Zusam­men­hän­ge zwi­schen der Bezie­hungs­qua­li­tät zum Vor­ge­setz­ten und ver­schie­de­nen bin­dungs- und gesund­heits­re­le­van­ten Varia­blen. In der Unter­su­chung wur­den ins­ge­samt 1351 Per­so­nen zwi­schen 16 und 67 Jah­ren befragt (Quo­ten­stich­pro­be nach Alter und Geschlecht). Die hier dar­ge­stell­ten Ergeb­nis­se sind bran­chen­über­grei­fend für Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen repräsentativ.

 

Abbil­dung 1: Der Zusam­men­hang zwi­schen der Art der Bezie­hung zwi­schen Mit­ar­bei­ter und Vor­ge­setz­tem und dem Wech­sel­wil­len des Mitarbeiters

 

Abbil­dung 2: Der Zusam­men­hang zwi­schen der Art der Bezie­hung zwi­schen Mit­ar­bei­ter und Vor­ge­setz­tem und der Bereit­schaft des Mit­ar­bei­ters, sein Unter­neh­men weiterzuempfehlen

 

Abbil­dung 3: Der Zusam­men­hang zwi­schen der Art der Bezie­hung zwi­schen Mit­ar­bei­ter und Vor­ge­setz­tem und der Ein­sam­keit des Mitarbeiters

 

Abbil­dung 4: Der Zusam­men­hang zwi­schen emp­fun­de­ner Arbeits­be­las­tung und Einsamkeit

 

Abbil­dung 5: Der Zusam­men­hang zwi­schen emp­fun­de­ner Arbeits­be­las­tung und Jobwechselabsicht

 

Die Zahl der Unge­bun­de­nen bzw. schwe­rer zu bin­den­den Per­so­nen steigt

In vie­len Unter­neh­men an mit­tel­deut­schen Stand­or­ten lässt sich gegen­wär­tig die fol­gen­de Ent­wick­lung beob­ach­ten: Die „loya­len Ker­ne“ der Beleg­schaft wer­den älter und wegen nun seit Jah­ren häu­fi­ger Ren­ten­ein­trit­te immer klei­ner. Wäh­rend ein Teil des Nach­wuch­ses nach wie vor eine gute Bin­dung ent­wi­ckelt, tut dies ein ande­rer Teil nicht mehr in die­ser Form. Sta­tis­tisch kann sich die­se Ent­wick­lung wie folgt äußern:

  1. Es gibt Unter­neh­men, die an ihren west­deut­schen Stand­or­ten eine durch­schnitt­lich älte­re Beleg­schaft als an ihren ost­deut­schen Stand­or­ten auf­wei­sen. Die Fluk­tua­ti­on und der Kran­ken­stand sind aber mit­un­ter trotz der durch­schnitt­lich jün­ge­ren Beleg­schaft im Osten höher.
  2. In man­chen Unter­neh­men steigt der Kran­ken­stand durch einen „dop­pel­ten Effekt“: die eher loya­len Älte­ren errei­chen bald das Ren­ten­ein­tritts­al­ter und sind nicht mehr so belast­bar wie in jün­ge­ren Jah­ren, gleich­zei­tig lässt sich ein Teil der jün­ge­ren Mit­ar­bei­ter nicht mehr so stark an das Unter­neh­men bin­den und ent­wi­ckelt daher ein gerin­ge­res Ver­pflich­tungs­ge­fühl. Bei unge­eig­ne­ter Füh­rung (feh­len­des Inter­es­se an den MA, mit­un­ter auch feh­len­de Kon­se­quenz oder zu viel Druck – und im schlimms­ten Fall: kei­ne eige­ne Bin­dung an das Unter­neh­men auf­sei­ten der mitt­le­ren Füh­rungs­kräf­te) kann dies in eine regel­rech­te „Absen­tis­mus-Kul­tur“ umschla­gen. Beob­ach­ten die auf­grund des höhe­ren Alters belas­te­te­ren loya­len Mit­ar­bei­ter die­ses Ver­hal­ten, erge­ben sich hier mit­un­ter uner­wünsch­te „Lern­ef­fek­te“ (Selbst­schutz), die zu einer wei­te­ren Ver­schär­fung der Situa­ti­on bei­tra­gen. 

Nach den Erkennt­nis­sen aus unse­rer Stu­die wer­den Unter­neh­men ins­be­son­de­re in eini­gen Indus­trie- und Dienst­leis­tungs­be­rei­chen sowie in Tei­len des Hand­werks mit einer sich auf einem höhe­ren Niveau ver­ste­ti­gen­den Fluk­tua­ti­on rech­nen müs­sen. Dem kann mit Maß­nah­men in drei Berei­chen ent­ge­gen­ge­wirkt werden:

Bes­se­re Einarbeitung

Indem der Fokus auf den gesam­ten Pro­zess der Ein­ar­bei­tung gerich­tet wird, kann die Bin­dungs­qua­li­tät ver­bes­sert wer­den. Gibt es im Unter­neh­men Men­schen, die neue Mit­ar­bei­ter gern ein­ar­bei­ten, oder wird das „irgend­wie mit gemacht“? Die Bin­dung an ein Unter­neh­men wächst lang­sam und wird erst mit län­ge­rem Ver­bleib immer stär­ker. Zwi­schen einem Mit­ar­bei­ter und sei­ner Orga­ni­sa­ti­on ent­steht zusätz­lich zum Arbeits­ver­trag so etwas wie ein „psy­cho­lo­gi­scher Ver­trag“. Die­ser Ver­trag besteht aus gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen. In Zei­ten gerin­ger wer­den­den „Fach­kräf­te­nach­schubs“ wer­den die Erwar­tun­gen von Arbeit­neh­mern grö­ßer, die Anfor­de­run­gen an mitt­le­re Füh­rungs­kräf­te stei­gen, und Arbeit­ge­ber müs­sen mehr für ihre Mit­ar­bei­ter tun, um sie zu hal­ten. Aber es ist ein Miss­ver­ständ­nis, wenn man glaubt, man kön­ne die Mit­ar­bei­ter­bin­dung bzw. das Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl von Mit­ar­bei­tern allein durch Anrei­ze und Zusatz­leis­tun­gen ver­bes­sern. Sol­che Din­ge sind oft genug nur „nice to have“. Den ent­schei­den­den Fak­tor bil­den die­je­ni­gen Mit­ar­bei­ter, die eine neue Kol­le­gin oder einen neu­en Kol­le­gen ein­ar­bei­ten, und die­je­ni­gen Füh­rungs­kräf­te, wel­che die neu­en Mit­ar­bei­ter füh­ren. Sie „mode­rie­ren“ den psy­cho­lo­gi­schen Ver­trag, mana­gen Erwar­tun­gen, gestal­ten die Bezie­hung zu den neu­en Kol­le­gen. Und hier wird in der Pra­xis viel falsch gemacht: man­geln­des Inter­es­se, lau­fen las­sen, „irgend­wie“ ein­ar­bei­ten. Je bes­ser (das heißt auch: zuge­wand­ter, struk­tu­rier­ter) der Ein­ar­bei­tungs­pro­zess gestal­tet wird, des­to eher ent­wi­ckeln die neu­en Kol­le­gen eine emo­tio­na­le Bin­dung — oder des­to eher wird klar, dass man viel­leicht auch nicht zuein­an­der passt. Nach den Erkennt­nis­sen aus unse­rer Stu­die spielt es in den Augen der Arbeit­neh­mer immer weni­ger eine Rol­le, ob das Unter­neh­men groß oder stark oder eta­bliert am Markt ist. Immer wich­ti­ger wird hin­ge­gen, ob die Wer­te, für die das Unter­neh­men steht, auch den Wer­ten ent­spre­chen, die der poten­ti­el­le Arbeit­neh­mer ver­tritt. Hin­zu kommt, dass neue Kol­le­gen zunächst eine emo­tio­na­le Bin­dung ent­wi­ckeln, aus der sich erst mit der Zeit (wir reden von einem Zeit­raum von meh­re­ren Jah­ren!) ein Ver­pflich­tungs­ge­fühl ent­wi­ckelt. Und wie ent­steht eine emo­tio­na­le Bin­dung, wenn nicht durch die Bezie­hun­gen zu ande­ren Men­schen? Gera­de in Zei­ten wach­sen­der Indi­vi­dua­li­sie­rung kommt es dar­auf an, ob sich der neue Kol­le­ge als Mensch gese­hen und ernst genom­men fühlt. Die Qua­li­tät der Ein­ar­bei­tung (Inter­es­se an neu­en MA, regel­mä­ßi­ge Gesprä­che, gute Instruk­tio­nen und indi­vi­du­el­le Aus­wer­tun­gen) sowie die Struk­tur und Inten­si­tät der Beglei­tung bei der Ein­ar­bei­tung (bspw. Vor­ge­setz­ten­ge­sprä­che, Men­to­ring) sind wich­ti­ge Stellschrauben.

Fokus auf die mitt­le­ren Führungskräfte

Nicht nur bei der Ein­ar­bei­tung, son­dern ins­ge­samt kommt den schon erwähn­ten „unte­ren mitt­le­ren Füh­rungs­kräf­ten“ eine ent­schei­den­de Rol­le zu. Nach den Erkennt­nis­sen aus unse­rer Stu­die bil­den die Vor­ge­setz­ten den ins­ge­samt stärks­ten Ein­zel­fak­tor sowohl bei der Mit­ar­bei­ter­zu­frie­den­heit als auch bei der Mit­ar­bei­ter­bin­dung. Wir haben in unse­rer Stu­die bezüg­lich über sieb­zig Fak­to­ren abge­fragt, (a) wie wich­tig der ein­zel­ne Fak­tor den Befrag­ten war und (b) ob das jewei­li­ge Kri­te­ri­um beim Arbeit­ge­ber der befrag­ten Per­so­nen erfüllt ist (erfüllt: grü­ner Punkt; nicht erfüllt: roter Punkt). Dann haben wir den Zusam­men­hang zwi­schen der Wich­tig­keit eines Fak­tors und der Mit­ar­bei­ter­bin­dung berech­net. Bringt man die Wich­tig­keit und ihren Zusam­men­hang mit der Bin­dung in eine Matrix, ergibt sich fol­gen­de Systematik:

Abbil­dung 6: Zen­tra­le Orga­ni­sa­ti­ons­va­ria­blen nach Wich­tig­keit und Rele­vanz für die Mitarbeiterbindung

 

Anhand die­ser Abbil­dung lässt sich erken­nen, dass bestimm­te Fak­to­ren als wich­tig erach­tet wer­den und in einem star­ken Zusam­men­hang mit der Mit­ar­bei­ter­bin­dung ste­hen (Leis­tungs­fak­to­ren), und dass bestimm­te Fak­to­ren zwar für wich­tig gehal­ten wer­den, aber kei­nen nen­nens­wer­ten Zusam­men­hang mit der Bin­dung auf­wei­sen (Basis­fak­to­ren). Drit­tens gibt es Fak­to­ren, die für weni­ger wich­tig erach­tet wer­den, aber durch­aus eine Rol­le im Zusam­men­hang mit der Bin­dung spie­len (Begeis­te­rungs­fak­to­ren). Schluss­end­lich gibt es noch Fak­to­ren, die weder für wich­tig erach­tet wer­den, noch im Zusam­men­hang mit der Bin­dungs­in­ten­si­tät ste­hen. Anhand die­ser Matrix las­sen sich eini­ge, in ihrer Deut­lich­keit durch­aus über­ra­schen­de Aus­sa­gen tref­fen. Hier eine klei­ne Auswahl:

  1. Die Rol­le von Vor­ge­setz­ten fällt in den Bereich der Leis­tungs­fak­to­ren. Kri­tisch ist, dass ein über­wie­gen­der Teil der Befrag­ten sagt, dass dies zwar wich­tig, aber in der Rea­li­tät kaum vor­han­den sei. Das führt uns zu der Aus­sa­ge, dass die Hal­tung der direk­ten Vor­ge­setz­ten bzw. deren Art der Bezie­hungs­ge­stal­tung und der Füh­rung der bedeut­sams­te Ansatz­punkt bei der Erhö­hung der Mit­ar­bei­ter­bin­dung ist.
  2. Die Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur ist von zen­tra­ler Bedeutung.
  3. Die Grö­ße eines Unter­neh­mens, die Stär­ke sei­ner Mar­ke oder auch die Posi­ti­on am Markt spie­len kei­ne Rol­le bei der Ent­schei­dung zu blei­ben oder das Unter­neh­men zu verlassen.
  4. Die Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf spielt kei­ne so bedeut­sa­me Rol­le wie dies in vie­len Publi­ka­tio­nen ange­nom­men wird. Eher wird sie erwar­tet und als selbst­ver­ständ­lich hin­ge­nom­men, indem auch die­se Aspek­te nur eine gerin­ge Rol­le bei der Ent­schei­dung zu blei­ben oder zu gehen spielen.

Fazit: Ein Qua­li­fi­zie­rungs­pro­gramm für mitt­le­re Füh­rungs­kräf­te, das an deren Hal­tung ansetzt, sowie Maß­nah­men zu deren stär­ke­rer Bin­dung ans Unter­neh­men kann star­ke Effek­te in Bezug auf Mit­ar­bei­ter­bin­dung und ‑gesund­heit entfalten.

Ansatz am Lohngefüge

Unse­re Stu­die zeigt bei­spiels­wei­se, dass die Zufrie­den­heits­wer­te der Mit­ar­bei­ter in Indus­trie­un­ter­neh­men sich kaum von denen im Hand­werk unter­schei­den — bis auf einen Bereich, näm­lich bei der Ent­loh­nung. Über die Hälf­te der Hand­wer­ker ist mit der Ent­loh­nung unzu­frie­den oder sehr unzu­frie­den, wäh­rend dies in der Indus­trie gera­de ein­mal 13 Pro­zent sind. Ins­ge­samt zeigt sich anhand der oben bereits dar­ge­stell­ten Matrix, dass der Fak­tor „leis­tungs­ge­rech­te Ent­loh­nung“ in Mit­tel­deutsch­land eine erheb­li­che Rol­le bei der Fra­ge spielt, ob Mit­ar­bei­ter bei einem Unter­neh­men blei­ben oder nicht. Unse­re eige­nen Unter­su­chun­gen spre­chen dies­be­züg­lich eine deut­lich ande­re Spra­che als klas­si­sche moti­va­ti­ons­psy­cho­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen, nach denen Geld kei­ne beson­ders gro­ße Rol­le spielt. Das mag dem ins­ge­samt nied­ri­ge­ren Lohn­ge­fü­ge in den öst­li­chen Bun­des­län­dern geschul­det sein, zeigt aber Unter­neh­mern eine in Zukunft bedeut­sa­mer wer­den­de Hand­lungs­rich­tung auf.

Kom­men wir am Ende des Bei­trags zu der Fra­ge nach der hohen Unzu­frie­den­heit im Schicht­dienst: 

Ich habe in mei­ner täg­li­chen Arbeit in Orga­ni­sa­tio­nen oft mit dem The­ma Schicht­dienst zu tun — sei es im Ret­tungs­dienst, in der Pfle­ge oder in der Indus­trie. In den vie­len Gesprä­chen, die ich dazu füh­re, habe ich immer wie­der den Ein­druck, dass der Schicht­dienst selbst nicht das pri­mä­re Pro­blem dar­stellt, son­dern eher die Art und Wei­se sei­ner Orga­ni­sa­ti­on. Der Schicht­dienst selbst ist in der Regel Teil des jewei­li­gen Berufs­bil­des. Dem größ­ten Teil der im Schicht­dienst arbei­ten­den Men­schen ist der Umstand „Schicht­dienst“ dem­entspre­chend klar — und war Teil ihrer beruf­li­chen Ent­schei­dung. Den meis­ten Mit­ar­bei­tern im Schicht­dienst ist also sehr wohl bewusst, wor­auf sie sich ein­ge­las­sen haben und was Schicht­dienst bedeu­tet. Womit sie unzu­frie­den sind, ist oft nicht der Schicht­dienst an und für sich, son­dern die häu­fi­ge Unzu­ver­läs­sig­keit des Dienst­plans und die Art und Wei­se der Orga­ni­sa­ti­on des Schicht­diens­tes, ins­be­son­de­re aber der oft not­wen­di­gen kurz­fris­ti­gen Ver­än­de­run­gen im Dienst­plan. Die fol­gen­den bei­den Zita­te aus jüngst geführ­ten Gesprä­chen illus­trie­ren das Kernproblem:

  • „Ich will ein­fach wis­sen, wann ich frei habe und dann auch wirk­lich frei haben. Wis­sen Sie, ein­mal im Monat oder von mir aus zwei­mal im Monat kurz­fris­tig ein­sprin­gen, das wäre kein Pro­blem. Aber es ist immer irgend­was. Da wird jemand krank, da ver­schiebt sich was. Wir sind zu wenig Leu­te, und ich bin am Ende mei­ner Kräfte.“
  • „Es wäre ja kein Pro­blem ein­zu­sprin­gen, wenn mal jemand krank wird. Aber wenn die Lei­te­rin dann anruft und sagt: ‚Du musst kom­men!‘, dann hab ich kei­ne Lust. Die ver­don­nert uns ein­fach! Mit einem Ton! Die ruft nicht an und bit­tet, es geht immer nur im Befehls­ton. So ist das hier. Es geht hier nicht um die Mit­ar­bei­ter. Es geht hier auch nicht um die Kun­den. Es geht hier nur dar­um, dass alles funk­tio­niert. Wer Du als Mensch bist, spielt kei­ne Rolle.“

Frei­lich hat der Schicht­dienst nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit, und in eini­gen Bran­chen gibt es mitt­ler­wei­le Lebens­ar­beits­zeit­mo­del­le, die unter ande­rem den nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen des Schicht­diens­tes ent­ge­gen­wir­ken sol­len. Aber wenn zu den ohne­hin gege­be­nen Umstän­den noch häu­fi­ge irre­gu­lä­re Ände­run­gen und Druck von Vor­ge­setz­ten hin­zu­kom­men, dann ist eine gewis­se Gegen­re­ak­ti­on fast schon zwangs­läu­fig. Es gibt eine Viel­zahl von Schicht­mo­del­len und eine brei­te Palet­te an Betei­li­gungs­va­ri­an­ten bei der Schicht­pla­nung. Oft ist es nicht das Schicht­mo­dell, son­dern sei­ne Umset­zung bzw. die ent­spre­chen­de Art und Wei­se der Füh­rung, wor­an man in der Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung anset­zen muss.

Eine Aus­nah­me bil­den hier jene Mit­ar­bei­ter, die eher unge­lernt in den Schicht­dienst kom­men. Für sie war der Umstand „Schicht­dienst“ in der Regel kein Teil der beruf­li­chen Ent­schei­dung. Des­halb sehen vie­le Ange­hö­ri­ge die­ser eher wenig oder nicht qua­li­fi­zier­ten Grup­pe den Schicht­dienst als „not­wen­di­ges Übel“ an, das mit Geld kom­pen­siert wer­den kann. In sol­chen Berei­chen wird es natur­ge­mäß immer eine höhe­re Fluk­tua­ti­on und eine gerin­ge­re Bin­dung (bzw. einen höhe­ren Anteil unge­bun­de­ner MA) geben.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.