Als ich kürzlich gemeinsam mit meinen Kollegen von MAS Partners einen Vortrag über Mitarbeiterbindung und ‑zufriedenheit auf der Messe BGMpro in Leipzig gehalten habe, ging es bei einigen Fragen von Zuhörern unter anderem um die gegenwärtig in manchen Unternehmen steigende Unzufriedenheit. Die Unzufriedenheit steige mitunter auch in solchen Unternehmen, die bereits sehr viel für Gesundheit, Arbeitssicherheit oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun. In einem Fall sagte jemand: „Egal, was wir machen: die Unzufriedenheit unter Mitarbeitern im Schichtdienst bleibt sehr hoch.“
Ich möchte mit diesem Text die Frage beantworten, warum die Unzufriedenheit trotz vieler guter Maßnahmen steigen kann. Bisweilen macht die Führung eines Unternehmens „gefühlt alles richtig“, und die Unzufriedenheit steigt dennoch — und in der Folge auch andere Indikatoren wie Fluktuation oder Absentismus. Des Weiteren gehe ich auf die besondere Lage von Unternehmen mit Schichtdienst ein. Grundlage meiner Darstellungen sind die Erkenntnisse, die ich gemeinsam mit den Kollegen von MAS Partners und KOCMOC im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen und Change-Projekten in Unternehmen unterschiedlichster Branchen und Größen sammeln konnte. Als Benchmark für diese Befragungen führen wir zudem aller zwei Jahre die MAS Mitarbeiterstudie Mitteldeutschland durch (repräsentativ für Unternehmen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Die nächste Welle der Untersuchung steht Anfang 2020 auf dem Plan, die letzte Welle haben wir in 2018 durchgeführt. So können wir für unternehmensspezifische Befragungsergebnisse einen Branchen- und Regionalvergleich anbieten und genau sagen, ob ein spezifisches Befragungsergebnis über- oder unterdurchschnittlich ist. Zudem verfüge ich mit meinen Kollegen aus dem Prozesspsychologen-Team über zahlreiche Erfahrungen aus Organisationsentwicklungsprojekten in mittelständischen Unternehmen der Region.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die oben gestellte Frage wie folgt beantworten:
Themen wie Mitarbeiterzufriedenheit oder ‑gesundheit nicht singulär, sondern ganzheitlich betrachten
Das Thema Mitarbeitergesundheit ist derzeit ein Trendthema, und entsprechende Untersuchungen und Maßnahmen werden oft relativ „singulär“ durchgeführt. Variablen wie Mitarbeiterzufriedenheit, Gesundheit am Arbeitsplatz, Höhe des Krankenstands oder auch die Fluktuationsrate ergeben sich aus vielfältigen Faktoren, und es ist schwer, die genauen Ursachen und damit die richtigen „Stellschrauben“ zu ermitteln. So kann es wie gesagt vorkommen, dass bereits viele Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Arbeitsschutz ergriffen werden, aber keine Wirkung auf die Zufriedenheit, die Gesundheit oder den Krankenstand zeigen. Bisweilen sinkt die Zufriedenheit sogar noch oder der Krankenstand steigt, ohne dass die Führungskräfte eines betroffenen Unternehmens sagen könnten, warum. Hier ist es wichtig, eine ganzheitliche Perspektive einzunehmen und das Geschehen komplex zu betrachten. Eine nur auf Gesundheit ausgerichtete Analyse der Organisation zeigt in der Regel einige Handlungsbedarfe, aber ob diese Handlungsbedarfe dann tatsächliche Veränderungen hervorrufen, bleibt oft fraglich. Hingegen können mit einer umfassenderen Analyse Themen wie Gesundheit oder Zufriedenheit in ein Gesamtbild eingeordnet werden, und oft zeigen Maßnahmen in eher unerwarteten Bereichen eine stärkere, aber eben indirekte Wirkung auf die Variablen, die beeinflusst werden sollen.
Den Einfluss der mittleren Führungskräfte nicht unterschätzen
Den nach unseren Erkenntnissen stärksten Einfluss auf die Zufriedenheit von Mitarbeitern haben die „unteren mittleren Führungskräfte“, also jener Personenkreis, der in direkten Beziehungen zur Mitarbeiterschaft steht. Die aktuellen Entwicklungen in Unternehmen sind vielfach von einer Erhöhung der Komplexität und einer Beschleunigung von Prozessen gekennzeichnet. Beide Entwicklungen erhöhen den Bedarf an gelingender, punktgenauer und effizienter Kommunikation. Allerdings ist Kommunikation unter heutigen Umständen kaum mehr formalisiert regelbar (es sei denn, es handelt sich um Standard-Prozesse oder es wird ein standardisierter Kommunikationsprozess über ein komplexes Geschehen eingeführt wie das etwa in der Luftfahrt oder im Gesundheitswesen der Fall sein kann), sondern Führungskräfte müssen dafür sorgen, dass quasi proaktiv kommuniziert wird — die notwendigen Informationen also zeitnah an die richtige Stelle kommen. Für die kaum regelbaren Fälle von Kommunikation kommt es also auf die „Informationsweitergabebereitschaft“ an. Diese steigt an, wenn die Beziehungen zwischen den handelnden Personen „stimmen“. Und wann „stimmen“ Beziehungen? Wenn ein Mindestmaß an Rückhalt und Vertrauen vorhanden ist. Und wie entsteht Vertrauen? Durch Interesse am anderen Menschen und Rückhalt bzw. Verlässlichkeit im Handeln. Ich habe ein Modell entwickelt, mit dem sich die Beziehungsqualität zwischen Führungskräften und Mitarbeitern (und wiederum zwischen Führungskräften und deren Vorgesetzten) beschreiben lässt. Ursprünglich stammt das Modell aus meinen Forschungen über die öffentliche Verwaltung, die dort gefundenen Zusammenhänge sind aber so allgemeingültig, dass sie einer branchenübergreifenden Überprüfung standgehalten haben:
- Formalistische Beziehung: In diesem Fall betont die Führungskraft die Sachebene, gibt Mitarbeitern kaum Rückhalt und blendet die „menschlichen Faktoren“ weitgehend aus („Wir sind hier nicht auf dem Ponyhof!“). Manche formalistisch orientierte Führungskräfte zögern nicht, bei Problemen mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu drohen oder sagen Sätze wie: „Wenn Sie glauben, dass es woanders schöner ist, halte ich Ihnen gern die Tür auf.“
- Lernorientierte Beziehung: Aus Sicht vieler von mir befragter Personen (unabhängig davon, ob in Mitarbeiter- oder Führungspositionen) ist die beste Voraussetzung für engagiertes, motiviertes und idealerweise „proaktives“ Handeln der Rückhalt durch die direkt vorgesetzte Person. Ist Vertrauen in die Führungskraft vorhanden, ermöglicht das Eigeninitiative. Weiß man hingegen nicht, woran man ist, schränkt das die Eigeninitiative ein, und man macht auf lange Sicht eher „Dienst nach Vorschrift“.
- Pragmatische Beziehung: Wer bereits länger im Unternehmensgeschehen tätig war, weiß genau, bei welchen Führungskräften „Mitdenken erwünscht“ ist und bei welchen nicht. Viele Mitarbeiter überlegen sich deshalb mit der Zeit, wann sie sich einbringen oder nicht. Sie haben gelernt, dass man sich auch „verkämpfen“ kann. In Führungspositionen führt diese Einstellung oft zu einer Haltung, die man als „sachbezogenen Rückhalt“ bezeichnen könnte. Während im Falle der lernorientierten Beziehung der Rückhalt und das Interesse sach- und personenbezogen sind, erhält man im Falle der pragmatischen Beziehung zwar alle sachlich notwendigen Mandate und die entsprechende Unterstützung, muss aber auftretende Probleme und Konflikte weitgehend selbst lösen. Wer im Unternehmen „pragmatisch sozialisiert“ wurde, hatte es nicht leicht, wurde dadurch aber in der Regel „fester“ oder „beständiger“, was das eigene Durchhaltevermögen betrifft — oder ist beizeiten wieder gegangen.
- Oppositionelle/rebellische Beziehung: Trifft eine Person, die Eigeninitiative zeigen möchte und sich kritisch mit den vorhandenen Routinen auseinandersetzen will (oder oft auch soll), auf eine Führungskraft, die eher formalistisch führt und kein Interesse an den Ideen der neuen Mitarbeiterin hat und den Status quo in keiner Weise ändern möchte, dann führt das mit der Zeit zu etwas, das sich als „rebellische“ Beziehung zur vorgesetzten Person bezeichnen ließe.
Die folgenden Grafiken zeigen einige bisher unveröffentlichte Ergebnisse aus unserer Studie, und zwar die Zusammenhänge zwischen der Beziehungsqualität zum Vorgesetzten und verschiedenen bindungs- und gesundheitsrelevanten Variablen. In der Untersuchung wurden insgesamt 1351 Personen zwischen 16 und 67 Jahren befragt (Quotenstichprobe nach Alter und Geschlecht). Die hier dargestellten Ergebnisse sind branchenübergreifend für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen repräsentativ.
Die Zahl der Ungebundenen bzw. schwerer zu bindenden Personen steigt
In vielen Unternehmen an mitteldeutschen Standorten lässt sich gegenwärtig die folgende Entwicklung beobachten: Die „loyalen Kerne“ der Belegschaft werden älter und wegen nun seit Jahren häufiger Renteneintritte immer kleiner. Während ein Teil des Nachwuchses nach wie vor eine gute Bindung entwickelt, tut dies ein anderer Teil nicht mehr in dieser Form. Statistisch kann sich diese Entwicklung wie folgt äußern:
- Es gibt Unternehmen, die an ihren westdeutschen Standorten eine durchschnittlich ältere Belegschaft als an ihren ostdeutschen Standorten aufweisen. Die Fluktuation und der Krankenstand sind aber mitunter trotz der durchschnittlich jüngeren Belegschaft im Osten höher.
- In manchen Unternehmen steigt der Krankenstand durch einen „doppelten Effekt“: die eher loyalen Älteren erreichen bald das Renteneintrittsalter und sind nicht mehr so belastbar wie in jüngeren Jahren, gleichzeitig lässt sich ein Teil der jüngeren Mitarbeiter nicht mehr so stark an das Unternehmen binden und entwickelt daher ein geringeres Verpflichtungsgefühl. Bei ungeeigneter Führung (fehlendes Interesse an den MA, mitunter auch fehlende Konsequenz oder zu viel Druck – und im schlimmsten Fall: keine eigene Bindung an das Unternehmen aufseiten der mittleren Führungskräfte) kann dies in eine regelrechte „Absentismus-Kultur“ umschlagen. Beobachten die aufgrund des höheren Alters belasteteren loyalen Mitarbeiter dieses Verhalten, ergeben sich hier mitunter unerwünschte „Lerneffekte“ (Selbstschutz), die zu einer weiteren Verschärfung der Situation beitragen.
Nach den Erkenntnissen aus unserer Studie werden Unternehmen insbesondere in einigen Industrie- und Dienstleistungsbereichen sowie in Teilen des Handwerks mit einer sich auf einem höheren Niveau verstetigenden Fluktuation rechnen müssen. Dem kann mit Maßnahmen in drei Bereichen entgegengewirkt werden:
Bessere Einarbeitung
Indem der Fokus auf den gesamten Prozess der Einarbeitung gerichtet wird, kann die Bindungsqualität verbessert werden. Gibt es im Unternehmen Menschen, die neue Mitarbeiter gern einarbeiten, oder wird das „irgendwie mit gemacht“? Die Bindung an ein Unternehmen wächst langsam und wird erst mit längerem Verbleib immer stärker. Zwischen einem Mitarbeiter und seiner Organisation entsteht zusätzlich zum Arbeitsvertrag so etwas wie ein „psychologischer Vertrag“. Dieser Vertrag besteht aus gegenseitigen Erwartungen. In Zeiten geringer werdenden „Fachkräftenachschubs“ werden die Erwartungen von Arbeitnehmern größer, die Anforderungen an mittlere Führungskräfte steigen, und Arbeitgeber müssen mehr für ihre Mitarbeiter tun, um sie zu halten. Aber es ist ein Missverständnis, wenn man glaubt, man könne die Mitarbeiterbindung bzw. das Verantwortungsgefühl von Mitarbeitern allein durch Anreize und Zusatzleistungen verbessern. Solche Dinge sind oft genug nur „nice to have“. Den entscheidenden Faktor bilden diejenigen Mitarbeiter, die eine neue Kollegin oder einen neuen Kollegen einarbeiten, und diejenigen Führungskräfte, welche die neuen Mitarbeiter führen. Sie „moderieren“ den psychologischen Vertrag, managen Erwartungen, gestalten die Beziehung zu den neuen Kollegen. Und hier wird in der Praxis viel falsch gemacht: mangelndes Interesse, laufen lassen, „irgendwie“ einarbeiten. Je besser (das heißt auch: zugewandter, strukturierter) der Einarbeitungsprozess gestaltet wird, desto eher entwickeln die neuen Kollegen eine emotionale Bindung — oder desto eher wird klar, dass man vielleicht auch nicht zueinander passt. Nach den Erkenntnissen aus unserer Studie spielt es in den Augen der Arbeitnehmer immer weniger eine Rolle, ob das Unternehmen groß oder stark oder etabliert am Markt ist. Immer wichtiger wird hingegen, ob die Werte, für die das Unternehmen steht, auch den Werten entsprechen, die der potentielle Arbeitnehmer vertritt. Hinzu kommt, dass neue Kollegen zunächst eine emotionale Bindung entwickeln, aus der sich erst mit der Zeit (wir reden von einem Zeitraum von mehreren Jahren!) ein Verpflichtungsgefühl entwickelt. Und wie entsteht eine emotionale Bindung, wenn nicht durch die Beziehungen zu anderen Menschen? Gerade in Zeiten wachsender Individualisierung kommt es darauf an, ob sich der neue Kollege als Mensch gesehen und ernst genommen fühlt. Die Qualität der Einarbeitung (Interesse an neuen MA, regelmäßige Gespräche, gute Instruktionen und individuelle Auswertungen) sowie die Struktur und Intensität der Begleitung bei der Einarbeitung (bspw. Vorgesetztengespräche, Mentoring) sind wichtige Stellschrauben.
Fokus auf die mittleren Führungskräfte
Nicht nur bei der Einarbeitung, sondern insgesamt kommt den schon erwähnten „unteren mittleren Führungskräften“ eine entscheidende Rolle zu. Nach den Erkenntnissen aus unserer Studie bilden die Vorgesetzten den insgesamt stärksten Einzelfaktor sowohl bei der Mitarbeiterzufriedenheit als auch bei der Mitarbeiterbindung. Wir haben in unserer Studie bezüglich über siebzig Faktoren abgefragt, (a) wie wichtig der einzelne Faktor den Befragten war und (b) ob das jeweilige Kriterium beim Arbeitgeber der befragten Personen erfüllt ist (erfüllt: grüner Punkt; nicht erfüllt: roter Punkt). Dann haben wir den Zusammenhang zwischen der Wichtigkeit eines Faktors und der Mitarbeiterbindung berechnet. Bringt man die Wichtigkeit und ihren Zusammenhang mit der Bindung in eine Matrix, ergibt sich folgende Systematik:
Anhand dieser Abbildung lässt sich erkennen, dass bestimmte Faktoren als wichtig erachtet werden und in einem starken Zusammenhang mit der Mitarbeiterbindung stehen (Leistungsfaktoren), und dass bestimmte Faktoren zwar für wichtig gehalten werden, aber keinen nennenswerten Zusammenhang mit der Bindung aufweisen (Basisfaktoren). Drittens gibt es Faktoren, die für weniger wichtig erachtet werden, aber durchaus eine Rolle im Zusammenhang mit der Bindung spielen (Begeisterungsfaktoren). Schlussendlich gibt es noch Faktoren, die weder für wichtig erachtet werden, noch im Zusammenhang mit der Bindungsintensität stehen. Anhand dieser Matrix lassen sich einige, in ihrer Deutlichkeit durchaus überraschende Aussagen treffen. Hier eine kleine Auswahl:
- Die Rolle von Vorgesetzten fällt in den Bereich der Leistungsfaktoren. Kritisch ist, dass ein überwiegender Teil der Befragten sagt, dass dies zwar wichtig, aber in der Realität kaum vorhanden sei. Das führt uns zu der Aussage, dass die Haltung der direkten Vorgesetzten bzw. deren Art der Beziehungsgestaltung und der Führung der bedeutsamste Ansatzpunkt bei der Erhöhung der Mitarbeiterbindung ist.
- Die Organisationskultur ist von zentraler Bedeutung.
- Die Größe eines Unternehmens, die Stärke seiner Marke oder auch die Position am Markt spielen keine Rolle bei der Entscheidung zu bleiben oder das Unternehmen zu verlassen.
- Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt keine so bedeutsame Rolle wie dies in vielen Publikationen angenommen wird. Eher wird sie erwartet und als selbstverständlich hingenommen, indem auch diese Aspekte nur eine geringe Rolle bei der Entscheidung zu bleiben oder zu gehen spielen.
Fazit: Ein Qualifizierungsprogramm für mittlere Führungskräfte, das an deren Haltung ansetzt, sowie Maßnahmen zu deren stärkerer Bindung ans Unternehmen kann starke Effekte in Bezug auf Mitarbeiterbindung und ‑gesundheit entfalten.
Ansatz am Lohngefüge
Unsere Studie zeigt beispielsweise, dass die Zufriedenheitswerte der Mitarbeiter in Industrieunternehmen sich kaum von denen im Handwerk unterscheiden — bis auf einen Bereich, nämlich bei der Entlohnung. Über die Hälfte der Handwerker ist mit der Entlohnung unzufrieden oder sehr unzufrieden, während dies in der Industrie gerade einmal 13 Prozent sind. Insgesamt zeigt sich anhand der oben bereits dargestellten Matrix, dass der Faktor „leistungsgerechte Entlohnung“ in Mitteldeutschland eine erhebliche Rolle bei der Frage spielt, ob Mitarbeiter bei einem Unternehmen bleiben oder nicht. Unsere eigenen Untersuchungen sprechen diesbezüglich eine deutlich andere Sprache als klassische motivationspsychologische Untersuchungen, nach denen Geld keine besonders große Rolle spielt. Das mag dem insgesamt niedrigeren Lohngefüge in den östlichen Bundesländern geschuldet sein, zeigt aber Unternehmern eine in Zukunft bedeutsamer werdende Handlungsrichtung auf.
Kommen wir am Ende des Beitrags zu der Frage nach der hohen Unzufriedenheit im Schichtdienst:
Ich habe in meiner täglichen Arbeit in Organisationen oft mit dem Thema Schichtdienst zu tun — sei es im Rettungsdienst, in der Pflege oder in der Industrie. In den vielen Gesprächen, die ich dazu führe, habe ich immer wieder den Eindruck, dass der Schichtdienst selbst nicht das primäre Problem darstellt, sondern eher die Art und Weise seiner Organisation. Der Schichtdienst selbst ist in der Regel Teil des jeweiligen Berufsbildes. Dem größten Teil der im Schichtdienst arbeitenden Menschen ist der Umstand „Schichtdienst“ dementsprechend klar — und war Teil ihrer beruflichen Entscheidung. Den meisten Mitarbeitern im Schichtdienst ist also sehr wohl bewusst, worauf sie sich eingelassen haben und was Schichtdienst bedeutet. Womit sie unzufrieden sind, ist oft nicht der Schichtdienst an und für sich, sondern die häufige Unzuverlässigkeit des Dienstplans und die Art und Weise der Organisation des Schichtdienstes, insbesondere aber der oft notwendigen kurzfristigen Veränderungen im Dienstplan. Die folgenden beiden Zitate aus jüngst geführten Gesprächen illustrieren das Kernproblem:
- „Ich will einfach wissen, wann ich frei habe und dann auch wirklich frei haben. Wissen Sie, einmal im Monat oder von mir aus zweimal im Monat kurzfristig einspringen, das wäre kein Problem. Aber es ist immer irgendwas. Da wird jemand krank, da verschiebt sich was. Wir sind zu wenig Leute, und ich bin am Ende meiner Kräfte.“
- „Es wäre ja kein Problem einzuspringen, wenn mal jemand krank wird. Aber wenn die Leiterin dann anruft und sagt: ‚Du musst kommen!‘, dann hab ich keine Lust. Die verdonnert uns einfach! Mit einem Ton! Die ruft nicht an und bittet, es geht immer nur im Befehlston. So ist das hier. Es geht hier nicht um die Mitarbeiter. Es geht hier auch nicht um die Kunden. Es geht hier nur darum, dass alles funktioniert. Wer Du als Mensch bist, spielt keine Rolle.“
Freilich hat der Schichtdienst negative Auswirkungen auf die Gesundheit, und in einigen Branchen gibt es mittlerweile Lebensarbeitszeitmodelle, die unter anderem den negativen Auswirkungen des Schichtdienstes entgegenwirken sollen. Aber wenn zu den ohnehin gegebenen Umständen noch häufige irreguläre Änderungen und Druck von Vorgesetzten hinzukommen, dann ist eine gewisse Gegenreaktion fast schon zwangsläufig. Es gibt eine Vielzahl von Schichtmodellen und eine breite Palette an Beteiligungsvarianten bei der Schichtplanung. Oft ist es nicht das Schichtmodell, sondern seine Umsetzung bzw. die entsprechende Art und Weise der Führung, woran man in der Organisationsentwicklung ansetzen muss.
Eine Ausnahme bilden hier jene Mitarbeiter, die eher ungelernt in den Schichtdienst kommen. Für sie war der Umstand „Schichtdienst“ in der Regel kein Teil der beruflichen Entscheidung. Deshalb sehen viele Angehörige dieser eher wenig oder nicht qualifizierten Gruppe den Schichtdienst als „notwendiges Übel“ an, das mit Geld kompensiert werden kann. In solchen Bereichen wird es naturgemäß immer eine höhere Fluktuation und eine geringere Bindung (bzw. einen höheren Anteil ungebundener MA) geben.