Es geht nicht um Veränderung, sondern um Lernen: wie man Gewohnheiten tatsächlich ändern kann

Schein (2012, S. 34, sie­he unten ste­hen­de Quel­len­an­ga­be) meint, dass man den Begriff „Ver­än­de­rung“ bes­ser durch den Begriff „Ler­nen“ erset­zen soll­te, denn um eine Orga­ni­sa­ti­on vor­an­zu­brin­gen, gel­te es für die Betei­lig­ten vor allem, etwas zu ler­nen. Damit bringt Schein (2012, S. 36f.) etwas auf den Punkt, wofür ande­re Autoren mit­un­ter sehr vie­le Wor­te brau­chen: Man müs­se aus Feh­lern ler­nen; sich über Feh­ler zu ärgern, hel­fe hin­ge­gen nichts.

„(…) eine mei­ner Regeln für die Pro­zess­be­ra­tung lau­tet: So etwas wie einen Feh­ler gibt es nicht. Wenn Sie eine Inter­ven­ti­on vor­neh­men und die­se nicht wirk­lich funk­tio­niert, sagen Sie ‚Okay, das hat nicht funk­tio­niert, was ler­nen wir dar­aus, was kön­nen wir mor­gen anders machen?‘ Las­sen Sie sich nie­mals in die Rol­le des Schul­di­gen drän­gen. Schuld­zu­wei­sun­gen sind sinn­los.“ (Schein 2012, S. 36)

Ins­be­son­de­re das Fäl­len von Urtei­len ste­he dem Ler­nen im Weg. Wenn etwas nicht (mehr) funk­tio­nie­re, sei das ein Aus­druck dafür, dass alte Wege nicht mehr funk­tio­nier­ten, und es an der Zeit sei, etwas Neu­es zu ler­nen. Schein benennt drei Din­ge, die dabei hilf­reich sein können:

  1. „Ände­rung“ durch „Ler­nen“ ersetzen
  2. sich selbst beobachten
  3. sich selbst neue Fra­gen stellen
  4. Ver­än­de­rung – oder bes­ser: Ler­nen – fal­le, so Schein schließ­lich, den­je­ni­gen beson­ders leicht, die sol­che Akti­vi­tä­ten wäh­len, die einem „Aus­bruch aus der eige­nen Kul­tur“ gleich­kä­men, also einen Bruch mit bis­he­ri­gen Gewohn­hei­ten bedeu­ten. Sol­che Akti­vi­tä­ten wür­den neue Erfah­run­gen brin­gen, aus denen gelernt wer­den könn­te. Beson­ders geeig­net: selbst künst­le­risch tätig zu wer­den oder die Beschäf­ti­gung mit Literatur.

Es gibt aus psy­cho­lo­gi­scher Sicht eini­ge Vor­aus­set­zun­gen, die not­wen­dig sind, um etwas zu lernen:

Auf­merk­sam­keit bzw. „Anten­nen“ für die wich­ti­gen Dinge

Man lernt nur etwas, wenn etwas schief läuft oder zum ers­ten Mal funk­tio­niert (Argy­ris 1993). In der Pra­xis bedeu­tet das, idea­ler­wei­se kon­ti­nu­ier­lich dar­über nach­zu­den­ken, was nicht funk­tio­niert hat. Von „Feh­lern“ zu spre­chen, ist dabei wenig för­der­lich. Viel­mehr hilft aus unse­rer Sicht ein kon­ti­nu­ier­li­cher Refle­xi­ons­pro­zess, der nach dem Mus­ter eines kon­ti­nu­ier­li­chen Ver­bes­se­rungs­pro­zes­ses ange­legt ist.

Ertra­gen von Unsicherheit

Eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für das Ler­nen aus Erfah­rung ist nach Bion (2001) ist die Fähig­keit, die Unsi­cher­heit, die in Lern­si­tua­tio­nen (also bei Feh­lern oder der Erfah­rung, dass bis­he­ri­ge Gewohn­hei­ten und Rou­ti­nen nicht mehr funk­tio­nie­ren) regel­mä­ßig auf­tritt, aus­zu­hal­ten und die damit ver­bun­de­nen Irri­ta­tio­nen (bspw. Kon­flik­te, Schuld­zu­wei­sun­gen) kon­struk­tiv zu wen­den und als Lern­ge­le­gen­heit zu begrei­fen. Die For­schungs­er­geb­nis­se von Edmond­son et al. (2001) legen dar­über hin­aus nahe, dass das Aus­maß an durch Füh­rungs­kräf­te ver­mit­tel­ter psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heit für das Gelin­gen von Lern­pro­zes­sen för­der­lich ist. Bei­de Aspek­te (die Fähig­keit zum Ertra­gen von Unsi­cher­heit als auch die Schaf­fung psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heit) rücken die Qua­li­tät der Bezie­hung zwi­schen füh­ren­den und geführ­ten Per­son in den Mit­tel­punkt des Inter­es­ses. Folgt man Schein (2012, S. 27), so ist eine der gro­ßen Ver­än­de­run­gen in den letz­ten bei­den Jahr­zehn­ten in der Füh­rung bzw. der Orga­ni­sa­ti­on von Abläu­fen die star­ke Zunah­me von Wech­sel­be­zie­hun­gen zwi­schen Füh­rungs­kräf­ten und Mit­ar­bei­tern. Eine füh­ren­de Per­son habe „kei­ne voll­stän­di­ge Auto­ri­tät, wenn er oder sie kei­ne gute Bezie­hung zu den ande­ren Team­mit­glie­dern hat“ (ebd.). Aus die­sen Ver­än­de­run­gen folgt nach Schein (ebd.) unter Bezug­nah­me auf Git­tell (2005) „die grö­ße­re Not­wen­dig­keit einer Beziehungskoordination“:

„Letzt­lich bedeu­tet die­ser Begriff, dass die Men­schen in zuneh­men­dem Maße inter­ne Bezie­hun­gen mit­ein­an­der ein­ge­hen müs­sen, was dann die Koor­di­na­ti­on ermöglicht.
Jody Git­tell hat die­se Idee bspw. im Rah­men ihrer Arbeit mit Mit­ar­bei­tern der South West Air­lines unter­sucht. Sie hat die South West Air­lines stu­diert und fest­ge­stellt, dass der Grund, war­um die­se eine solch gute Leis­tung zeigt, dar­in besteht, dass jeder dort Wis­sen über den Job des Kol­le­gen besitzt. Die Mit­ar­bei­ter kön­nen also rich­tig mit­ein­an­der koor­di­nie­ren und sich gegen­sei­tig auf Feh­ler hinweisen.
Jody Git­tell hat einen Test ent­wi­ckelt, der das, was sie als Bezie­hungs­ko­or­di­na­ti­on bezeich­net, mes­sen kann. Dabei han­delt es sich um die Tat­sa­che, dass zwei Men­schen – wenn sie mit­ein­an­der koope­rie­ren wol­len – zuerst ein­mal ein gemein­sa­mes Ziel benö­ti­gen. Zwei­tens müs­sen sie die Arbeit ihres Gegen­übers in gewis­sem Maße ver­ste­hen und nach­voll­zie­hen kön­nen und zu guter Letzt soll­ten sie sich gegen­sei­tig respektieren.
Der Begriff ‚Bezie­hung‘ in der Bezie­hungs­ko­or­di­na­ti­on bezieht sich auf den mensch­li­chen Teil, d.h. den gegen­sei­ti­gen Respekt. ‚Koor­di­na­ti­on‘ hin­ge­gen bezieht sich auf die gemein­sa­men Zie­le und das gegen­sei­ti­ge Wis­sen über die Arbeit des Part­ners.“ (Schein 2012, S. 27)

Jörg Hei­dig

Quel­le: Schein, E. H. (2012). Neue For­men der Füh­rung und Trans­for­ma­ti­on. pro­fi­le – Inter­na­tio­na­le Zeit­schrift für Ver­än­de­rung, Ler­nen, Dia­log / Inter­na­tio­nal Jour­nal for Chan­ge, Lear­ning, Dia­lo­gue, 23, 26–37.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.