Hamsterrad mit perfekter Ausrede. Oder was?

Kürz­lich hat­te ich die Freu­de, im Rah­men des jähr­li­chen Sym­po­si­ums des Mas­ter­stu­di­en­gangs Human Com­mu­ni­ca­ti­on an der Dres­den Inter­na­tio­nal Uni­ver­si­ty einen inspi­rie­ren­den Vor­trag von Jürg Kes­sel­ring zum The­ma Resi­li­enz zu hören. Zitat:

“Wenn eine Schrau­be locker ist, liegt es immer an der Mut­ter. Das ist eine fau­le Aus­re­de. Wir haben einen Ruck­sack mit­be­kom­men. Es ist an uns, etwas dar­aus zu machen. Vie­les ist im Ruck­sack, was drin­gend ist, aber nicht so wich­tig. Die Din­ge, die wirk­lich wich­tig sind, aber nicht drin­gend, um die geht es eigent­lich. Wir ver­mei­den kurz­fris­tig Stra­fe, aber genau dar­um geht es nicht.”

Wow, dach­te ich, weni­ge Wor­te, in denen viel steckt. Die wich­tigs­te Aus­sa­ge für mich: Es geht um das, was wich­tig ist, aber nicht drin­gend. Wenn man Druck und Stress redu­zie­ren will, dann geht es dar­um, die wich­ti­gen, nicht drin­gen­den Din­ge zu tun.

Im All­tag machen das vie­le Men­schen genau umge­kehrt: Vor lau­ter drin­gen­der Sachen kom­men sie nicht zu den wich­ti­gen Din­gen – und haben gleich noch die per­fek­te Aus­re­de parat. Hams­ter­rad nichts dage­gen. Und vor allem: frei­wil­lig ins Hams­ter­rad ein­ge­stie­gen und auch noch die pas­sen­de Ent­schul­di­gung gefunden.

Wer kennt sie nicht, die All­zweck-Waf­fe aus den Zeit­ma­nage­ment-Semi­na­ren: Ein Koor­di­na­ten­sys­tem mit “wich­tig” und “drin­gend” auf den Ach­sen, wor­aus sich vier Qua­dran­ten erge­ben: Was wich­tig & drin­gend ist, soll man MACHEN, was nicht wich­tig, aber drin­gend ist, soll man DELEGIEREN, was wich­tig, aber nicht drin­gend ist, soll man PLANEN, und was weder wich­tig noch drin­gend ist, soll man LASSEN.

Wie erhol­sam ist der Gedan­ke für Sie, nicht mehr die sprich­wört­li­che Feu­er­wehr zu spie­len, son­dern die eigent­lich wich­ti­gen Din­ge (die man sonst nur pla­nen wür­de) zu machen?

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.