In unserer neuen, für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen repräsentativen Studie zum Thema Mitarbeiterbindung und Arbeitgeberattraktivität mit insgesamt 2000 befragten Arbeitnehmern im Februar und noch einmal etwas mehr als 1200 Befragten im April 2020 zeigt sich, dass die Art der Mitarbeiterbindung einen großen Unterschied hinsichtlich der Motivation und der Zufriedenheit macht.
Hintergrund: Bindungsarten und Bindungstypen
Wer gerade in einem Unternehmen begonnen hat zu arbeiten, hat noch keine Bindung, wohl aber Erwartungen. Ob sich eine Bindung an das Unternehmen entwickelt, ist stark davon abhängig, ob sich die Erwartungen erfüllen oder nicht — und wie sich die Bindung entwickelt, ist vor allem eine Frage der Einarbeitung und der Entstehung tragfähiger Beziehungen zu Vorgesetzten und Kollegen. Denn die einzelnen Bindungsarten entstehen nicht gleichzeitig, sondern zeitlich aufeinander aufbauend. Zuerst wächst die affektive Bindung (zunächst zu Menschen), man geht aufgeschlossen und optimistisch zur Arbeit und fühlt sich zugehörig. Dann erwächst daraus langsam ein Verpflichtungsgefühl gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und der Aufgabe (normative Bindung). Mit den (Dienst-)Jahren kommt die rationale Bindung hinzu — man wägt das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen ab und kommt im besseren Fall zu einer positiven Bilanz und im weniger guten Fall zu dem Schluss, dass der Aufwand zu groß wäre zu gehen.
Die drei Bindungsarten im Überblick:
- affektive Bindung: Arbeitnehmer fühlen sich ihrem Arbeitgeber zugehörig und sind emotional gebunden.
- normative Bindung: Arbeitnehmer fühlen sich ihrem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet und hätten ein schlechtes Gewissen, wenn sie gehen würden.
- rationale Bindung: Arbeitnehmer haben ein eher „abgeklärtes“ Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Sie wägen Aufwand und Nutzen ab und meinen mitunter, dass der Aufwand, den Arbeitgeber zu wechseln, für sie zu groß wäre.
Arbeitnehmer können nun auf verschiedene Weise gebunden sein. Es kann eine Bindungsart überwiegen oder eine Kombination aus verschiedenen Bindungsarten vorliegen. Sie können aber auch gar keine Bindung aufweisen. Die einzelnen Bindungstypen lassen sich wie folgt beschreiben:
Verteilung der Bindungstypen unter mitteldeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (in Prozent, absteigend geordnet)
- Kernloyale (affektiv-normativ-rational Gebundene): 30 Prozent
- Söldner (Ungebundene): 19 Prozent
- Engagierte (affektiv-normativ Gebundene): 13 Prozent
- Abgekämpfte (normativ Gebundene): 12 Prozent
- Optimisten (affektiv Gebundene): 7 Prozent
- Distanzierte (normativ-rational Gebundene): 7 Prozent
- Abwäger (rational Gebundene): 7 Prozent
- Weise (affektiv-rational Gebundene): 5 Prozent
Kernloyale: Die gute Nachricht aus unserer Studie lautet, dass fast jede dritte abhängig beschäftigte Person in Mitteldeutschland zum stark an ihren jeweiligen Arbeitgebergeber gebundenen, loyalen Kern der Belegschaft gehört. Bei dieser Gruppe ist in puncto Zufriedenheit und Bindung alles stimmig: Die Kernloyalen fühlen sich dem Arbeitgeber zugehörig (affektive Bindung) und gegenüber ihren Aufgaben, ihren Vorgesetzten und Kollegen verpflichtet (normative Bindung). Zudem stehen Aufwand und Nutzen für die Kernloyalen in einem guten Verhältnis.
Söldner: Mit knapp einem Fünftel aller abhängig Beschäftigten (19 Prozent) bilden die Söldner die zweitgrößte Gruppe unter den mitteldeutschen Arbeitnehmern und verkörpern quasi das Gegenteil der Kernloyalen. Sie gehen mehr oder minder nur zur Arbeit, um Geld zu verdienen, und es ist ihnen gleich, bei welchem Arbeitgeber sie tätig sind. Sie verfügen über keinerlei emotionale Bindung und fühlen sich auch kaum verpflichtet. Auch ist ihnen der Aufwand, den Arbeitgeber zu wechseln, in der Regel nicht zu groß — im Gegenteil: Viele Menschen, die zu dieser Gruppe gehören, sind Arbeitgeberwechsel gewohnt. Innerhalb dieser Gruppe finden sich besonders viele gering qualifizierte und junge Menschen.
Engagierte: Bei den Angehörigen dieser Gruppe hat alles geklappt — sie haben ein starkes Verpflichtungsgefühl entwickelt und fühlen sich ihrem Arbeitgeber zugehörig, sind aber noch nicht so lange im Unternehmen, als dass sie schon Kosten-Nutzen-Überlegungen oder Abwägungen bezüglich des Verhältnisses zwischen Arbeit und Privatleben anstellen würden. Es handelt sich mit knapp 13 Prozent der abhängig Beschäftigten nicht um die größte, aber vielleicht potentialreichste Gruppe. Wie es mit der Bindung bei den Engagierten auf lange Sicht weitergeht, hängt von der Aufgabe, den Entwicklungsmöglichkeiten und den Vorgesetzten ab. Es gibt zwei mögliche Wege — einen guten und einen schlechten: Der gute Weg führt mit steigendem Dienstalter in Richtung der Kernloyalen, mit der Zeit käme mit der rationalen Bindung ein Quentchen Abgeklärtheit und Selbstsorge hinzu. Der schlechte Weg wäre der Verlust der emotionalen Bindung, sodass nur noch das Verpflichtungsgefühl übrig bleibt. Mithin der erstgenannte Weg der häufigere ist, ist der letztgenannte nicht so selten wie es wünschenswert wäre, wie an der relativen Größe der nachfolgend beschriebenen Gruppe abzulesen ist.
Abgekämpfte: Immerhin jede achte abhängig beschäftigte Person gehört in Mitteldeutschland zu einer Gruppe von Arbeitnehmern, die sich nur noch verpflichtet fühlt. „Nur noch“ bedeutet, dass allein ein Verpflichtungsgefühl nicht ausreicht, um engagiert zu arbeiten. Im Gegenteil: Der Job wird von diesen Menschen besonders oft als belastend empfunden, und die Absicht, den Arbeitgeber zu wechseln, ist in dieser Gruppe fast so verbreitet wie unter den Ungebundenen (Anteil der Wechselwilligen bei den Ungebundenen: 60 Prozent; bei den Abgekämpften: 50 Prozent; alle anderen Gruppen liegen, was den Anteil der Wechselwilligen betrifft, darunter; siehe dazu die erste der unten dargestellten Grafiken). Unsere Erkenntnisse legen nahe, dass der größte Teil der Angehörigen dieser Gruppe einmal recht engagierte Mitarbeiter waren, die ihre Bindung ans Unternehmen bzw. an ihre Vorgesetzten und Kollegen verloren haben. Übrig ist nur noch die Bindung an die Aufgabe, aber nicht mehr an die Menschen.
Optimisten: Bei der Gruppe der Optimisten handelt es sich um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ein positives Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen und zu ihrer Aufgabe aufgebaut haben. Zu dieser Gruppe gehören etwa sieben Prozent der mitteldeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie fühlen sich ihrem Arbeitgeber zugehörig und gehen gern zur Arbeit. Im gelingenden Fall erwächst aus der emotionalen Bindung mit der Zeit ein Verpflichtungsgefühl und später kommt ggf. noch die rationale Bindung hinzu (Idealfall). Im nicht gelingenden Fall ist die Bindung zu Vorgesetzten und Kollegen zwar zunächst entstanden, mit der Zeit kommt es jedoch immer wieder zu signifikanten Enttäuschungen (bezüglich der Aufgabe, des Tätigkeitsspielraums bzw. der Verantwortung, der zu Beginn möglicherweise in Aussicht gestellten Aufstiegsmöglichkeiten, der Vergütung o.ä.). Irgendwann reichen der „menschliche Faktor“ (bspw. gutes Teamklima, Rückhalt durch Vorgesetzte) und die Bindung an die Aufgabe (bspw. durch sich einstellende Routinen) nicht mehr aus, um die Enttäuschungen zu kompensieren. Aus ursprünglichen Erwartungen und anfänglichem Optimismus werden so mit der Zeit Ent-Täuschungen, indem man sich (im Nachhinein) vom Unternehmen getäuscht fühlt — was dann entweder die Kündigung oder ein Abgleiten in die Gruppe der ungebundenen „Söldner“ zur Folge hat.
Distanzierte: Eine nicht zu verachtende Gruppe bilden diejenigen, sie sich einerseits gegenüber ihrer Aufgabe und ihren Kollegen und Vorgesetzten verpflichtet fühlen, andererseits aber abwägen, ob es sich lohnt, sich zu engagieren oder nicht. Wenn das Verpflichtungsgefühl ohne emotionale Bindung bleibt, ist das Belastungsempfinden im Job höher als mit emotionaler Bindung. Also bleibt als „Moderator“ nur die Qualität der rationalen Bindung. Hier kommt es darauf an, ob die Kosten-Nutzen-Analyse positiv ausfällt oder nicht. Im Fall einer positiven Kosten-Nutzen-Bilanz sind die betreffenden Mitarbeiter zwar nicht besonders begeistert von ihrem Arbeitgeber, machen aber ihren Job noch gern. Ihnen fehlt „nur“ die Begeisterung anderer Gruppen. Eine Art distanzierten Pragmatismus’ überwiegt. Im Fall einer negativen Kosten-Nutzen-Bilanz reduziert sich die rationale Bindung auf die Überlegung, dass der Aufwand für einen Wechsel des Arbeitsplatzes zu hoch wäre oder man zu alt dafür ist o.ä. Hier sind die Konsequenzen „bitterer“, indem aus dem dieser Gruppe eigenen „distanzierten Pragmatismus“ schnell zynische Haltungen bis zur „inneren Kündigung“ werden können.
Abwäger: Ebenfalls etwa sieben Prozent (also etwa jede vierzehnte abhängig beschäftigte Person) der mitteldeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehören zur Gruppe der ausschließlich rational Gebundenen. Meist höheren Dienstalters sind die zur Gruppe Gehörenden „jenseits“ von Begeisterung, emotionaler Bindung und Verpflichtungsgefühl angekommen. Das heißt nicht, dass dieser Personenkreis nicht gern arbeitet — zumeist besitzen diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine hohe Expertise und umfassende Erfahrungen. Es heißt aber, dass ein „pragmatisch verstandener“ Dienst nach Vorschrift im Vordergrund steht. Man achtet auf Belastungs- und Rollengrenzen und springt im Bedarfsfall nicht mehr unbedingt ein, wenn „Not am Mann“ herrscht.
Weise: Eine sehr kleine (knapp fünf Prozent der abhängig Beschäftigten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), aber interessante Gruppe bilden die affektiv-rational Gebundenen. Sie fühlen sich nach wie vor sehr stark an das Unternehmen gebunden, sind absolut loyal, haben aber gelernt, zwischen den Belangen des Arbeitgebers und den eigenen Grenzen abzuwägen. Ihre Kosten-Nutzen-Bilanz fällt in der Regel positiv aus, sie geben ihr Wissen gern weiter, aber sie engagieren sich nicht mehr um jeden Preis.
Motivation
Arbeitnehmer, die sich emotional gebunden fühlen, sind deutlich motivierter als Arbeitnehmer, die keine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber aufweisen. So stimmen knapp achtzig Prozent der affektiv-normativ-rational Gebundenen der Aussage zu, dass sie in letzter Zeit sehr motiviert zur Arbeit gehen, während dies bei den Ungebundenen gerade einmal rund 10 Prozent tun. Die Zustimmungswerte zu dieser Aussage im Einzelnen:
Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass die emotionale Dimension der Bindung einen deutlichen Unterschied bei der Motivation macht. Der Anteil der Arbeitnehmer, die der Aussage zustimmen, sehr motiviert zur Arbeit zu gehen, ist unter denjenigen, die (auch) emotional gebunden sind, um deutliche zweistellige Prozentsätze höher als unter denjenigen, die nur normativ und/oder rational gebunden oder gänzlich ungebunden sind.
Bei den Kernloyalen wie auch bei den Söldnern macht die Corona-Krise zudem keinen Unterschied. Interessant erscheint zudem der Anstieg der Zustimmung bei den Optimisten — hier läge eventuell der Schluss nahe, dass krisenhafte Lagen die affektive Bindung stärken. Allerdings steht zu vermuten, dass solche Effekte eher kurzfristiger Natur sind.
Haltung gegenüber dem Unternehmen und Wechselwahrscheinlichkeit
Die folgende Grafik zeigt die Verteilung der einzelnen Bindungstypen auf zwei Dimensionen — zum einen wird der Anteil derjenigen dargestellt, sie sich in ihrem Umfeld negativ über das Unternehmen äußern (Kritiker) und zum anderen der Anteil derer, die angeben, dass sie in den kommenden beiden Jahren wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich ihren Arbeitgeber wechseln wollen. Auch hier zeigt sich ein ähnlicher Zusammenhang wie bereits bei der Motivation. Der Anteil der Kritiker ist unter den Arbeitnehmern mit einer emotionalen oder „emotional gefärbten“ Bindung deutlich geringer als unter denjenigen, die keinen emotionalen Bindungsanteil aufweisen. Den höchsten Anteil auf beiden Dimensionen verzeichnen die Söldner. In der Gruppe der ohne emotionalen Anteil Gebundenen zeigen die Abwäger die geringste Wechselbereitschaft. Drei von vier rational gebundenen Arbeitnehmern äußern sich in ihrem Umfeld zwar negativ über ihren Arbeitgeber, aber für einen Arbeitsplatzwechsel wird der Aufwand als zu hoch betrachtet. „Woanders ist es auch nicht anders“, lautet die typische „abgeklärte“ Meinung. Deutlich wird auch, dass es sich bei den Abgekämpften um die Gruppe mit dem zweithöchsten Anteil an Wechselwilligen nach den Söldnern handelt. Insbesondere im Schichtdienst sind diese beiden Gruppen nach unseren Erfahrungen besonders anfällig — die Abgekämpften für Belastungen und die Söldner für Absentismus.
Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber und mit der Bezahlung
Auch hinsichtlich der Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber und mit der Bezahlung zeigt sich ein ähnliches Bild. Die auf beiden Dimensionen Zufriedensten sind dieKernloyalen. Am unzufriedensten sind hingegen wiederum die Söldner. Die verbleibenden Bindungstypen lassen sich wiederum zu zwei deutlich voneinander entfernten Gruppen zusammenfassen — denjenigen mit emotionaler Bindung bzw. emotionalem Bindungsanteil und denjenigen ohne emotionale Bindungsdimension.
Hinweis zur Grafik: Der nicht schriftlich bezeichnete Punkt auf der Grafik markiert die Anteile der normativ Gebundenen.
PS: Dieser Beitrag gehört zu einer Serie über die Ergebnisse unserer für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen repräsentativen Studie zum Thema Mitarbeiterbindung und Arbeitgeberattraktivität. Lesen Sie dazu auch die folgenden Beiträge:
- Welchen Einfluss hat die Organisationskultur auf die Stimmung, die Motivation und die Zufriedenheit von Beschäftigten?
- Wie wirkt sich die Art der Unternehmensorganisation (traditionell vs. agil) auf die Wandlungsfähigkeit aus?
- Gibt es so etwas wie eine ideale Bürogröße und was lässt sich darüber sagen?
- Allgemeine Studienergebnisse