Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, dass die Vernetzung von Abläufen derart zunimmt, dass einzelne Personen zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Aufgaben und vor allem deren Vernetzungseffekte vollständig zu überblicken. Man gehört zu mehreren Projekten, Teams, Prozessen etc. Abläufe werden gleichzeitig so komplex, dass die bereichsübergreifende Kommunikation zur essentiellen Variable für die Effizienz von Unternehmen wird.
So zeigen die Forschungen von Jody Hoffer Gittell eindrucksvoll, dass die Effizienz von Airlines keine Frage guter Technologie und optimaler Prozesse mehr ist. Die technische Seite des Geschehens ist beinahe „durchoptimiert“. Den Ausschlag in den Bereichen Effizienz und Profitabilität geben vielmehr „weiche“ Faktoren wie (a) das Wissen über angrenzende Arbeitsbereiche, (b) gegenseitiger Respekt und © gemeinsame Ziele. Die Fähigkeit, die Belange angrenzender Arbeitsbereiche zu verstehen, mit den betreffenden Mitarbeitern respektvolle Beziehungen aufzubauen und an gemeinsamen Zielen zu arbeitern, erklärt die von Gittell gemessenen Unterschiede in der Effizienz der untersuchten Airlines. (Zu einem anderen Beitrag über die Forschungen von Jody Hoffer Gittell auf diesem Blog)
Zu ähnlichen Ergebnissen ist Amy Edmondson bei der Untersuchung von Krankenhäusern gekommen. Angesichts der steigenden Komplexität und Geschwindigkeit erscheint vor allem die Fähigkeit, über Hierarchie- und Disziplingrenzen hinweg belastbare Beziehungen aufzubauen, entscheidend. Die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter gebe den Ausschlag darüber, ob jemand motiviert bleibe oder sich frustriert zurückziehe. (Zur Zusammenfassung eines Fachartikels von Amy Edmondson auf diesem Blog)
Edgar Schein hat in der vergangenen Woche bei einem Workshop in Zürich das Beispiel eines leitenden Chirurgen erläutert, der sein Team nach dessen Zusammensetzung zunächst zum Essen eingeladen habe. Essen relativiere die sozialen Statusunterschiede und trage dazu bei, dass man im Sinne des (leider allzu oft „eigentlichen“) gemeinsamen Ziels in relevanten Situationen sicherheits- oder gesundheitsrelevante Informationen weitergebe. Herrsche dagegen ein Klima der Angst, so steige die Fehlerrate nachweislich, weil eben diese so bedeutsamen Informationen zurückgehalten würden.
Wie kann nun ein Klima geschaffen werden, das gemeinsame Ziele, gegenseitigen Respekt, psychologische Sicherheit und Wissen über angrenzende Arbeitsbereiche ermöglicht?
Nach Schein liegt die Antwort vor allem in einer möglichst „naiven“ oder „demütigen“ Gesprächshaltung („humble inquiry“) von Führungskräften, die für die Reduktion von status‑, disziplin- oder abteilungsbedingten Abgrenzungen und die Entstehung tragfähiger und respektvoller Beziehungen sorgt. Mit der Frage „Wie abhängig, meinen Sie, sind Sie von Ihren Mitarbeitern?“ könnten Berater feststellen, welches Bild Führungskräfte von ihren Beziehungen zu Mitarbeitern haben.
Eine ebenso simple wie praktische Methode, die zur Entstehung gegenseitigen Respekts und bereichsübergreifenden Wissens beitragen kann, ist die Lerngeschichte. Personen aus verschiedenen Teams treffen sich und berichten sich gegenseitig von ihrer Arbeit. Dadurch entwickeln die Anwesenden ein Verständnis für die Leistungen und Probleme des jeweils angrenzenden Arbeitsbereichs. Dieses Verständnis schafft Respekt und Nähe. So entstehen Beziehungen, auf deren Grundlage dann – im Prozess zunehmend gemeinsame – Ziele thematisiert und Arbeitsabläufe besser koordiniert werden können. Der Ablauf einer Learning Story ist denkbar einfach: eine Person schildern 15 bis 20 Minuten die Lösung einer spezifischen Aufgabe oder eines Problems. Die Zuhörer stellen anschließend Fragen und reflektieren ca. weitere 15 bis 20 Minuten, was sie verstanden haben bzw. was das für ihre jeweiligen Aufgaben bedeutet. Aus einer für die Dauer der Session möglichst status- bzw. hierarchiefreien Kommunikation ergeben sich dann wie von allein Ideen zur Vernetzung oder zur weiteren Optimierung der Abläufe. Man kann mehrere Stories hintereinander (ggf. auch in zwischen mehreren Tischen offen rotierenden Besetzungen) bearbeiten. Wichtig ist, dass die Teilnahme freiwillig ist und eine gewisse Kontinuität aufweist. Auch brauchen solche Prozesse ein gemeinsames, möglichst konkretes Ziel. Allein um der Methode oder des Austauschs willen durchgeführt, versanden die Stories schnell, und die Teilnehmer verlieren das Interesse. Es bedarf also konkreter Fragen oder Probleme.