Was brauchen Sie, um glücklich zu sein? Zynische Geister behaupten, dass, wenn man alle glücklichen Momente eines Lebens addiere, man insgesamt auf nicht mehr als dreieinhalb Minuten Glück käme. Stimmt das? Hoffentlich nicht.
Wann sind Sie das letzte Mal in der Natur gewesen und sind vor Ehrfurcht ob eines schönen Waldes erstarrt? Wann haben Sie zuletzt ein Musikstück gehört und haben dabei fast geweint? Wann haben Sie einen Vogel beobachtet, der gerade ein Nest baut? Oder haben Ihre Partnerin oder Ihren Partner angesehen und gespürt, dass Sie sie oder ihn trotz allem lieben? (Wenn man viele Jahre zusammen ist, braucht man keine Gründe, sich zu trennen, davon gibt es dann genug. Man braucht dann Gründe, um zusammenzubleiben.)
Wieder raus auf die Straße, ins Auto oder in die Straßenbahn, Dinge erledigen, schnell zur Arbeit, den Kindern essen kochen, aufpassen, dass alle ihre Hausaufgaben machen, dem Schwiegervater einen Abfluss reparieren, und am Wochenende zu Tante Elsbeth, die sonst wieder sauer wird, weil man sich so lange nicht gemeldet hat. Achso: Sport auch noch und eigentlich wollte man doch wenigstens einen Abend in der Woche für sich haben. Wieder vergessen.
Besteht daraus das Leben? Ja, aus solchen Dingen besteht das Leben.
Die früheren Zeiten kommen einem immer irgendwie besser vor als die heutigen. Vielleicht waren die vergangenen Zeiten tatsächlich anders – sie mögen sich insgesamt langsamer angefühlt haben, es gab weniger Autos, keine Handys und so weiter. Aber ob die Leute das auch gemerkt haben? Wahrscheinlich nicht, denn man kann die eigenen Zeiten ja immer nur mit dem vergleichen, was man kennt oder von dem man gehört hat – also mit der Vergangenheit.
Was ist es denn, was hilft? Gegenwärtig ist viel von „Achtsamkeit“ die Rede. Man müsse auf sich selbst achten, sich reflektieren, sich fragen, was man wirklich will und Dinge tun, die einem gut tun. Probieren Sie das mal aus. Sie werden sehen: es funktioniert nicht so richtig. Es fehlt etwas, wenn man sich nur Fragen über sich selbst stellt. Zugespitzt formuliert: Achtsamkeit als Selbstzweck – also auf die eigene Person gerichtet – führt nicht zu Klarheit, sondern dazu, dass man sich mehr um sich selbst dreht. Achtsamkeit funktioniert besser, wenn sie sich auf Gemeinsamkeiten richtet – auf Momente, die man mit geliebten Menschen teilt oder auch auf Dinge, die man gern sagen würde, sich aber nicht traut.
Mein Glück, das sind eine lange Wanderung oder ein Spaziergang am Meer mit einem geliebten Menschen, das ist gutes Essen oder auch manchmal nur ein Stück Brot zur richtigen Zeit, das ist ein Nachmittag mit meiner Tochter, an dem ich ihr „Ronja Räubertochter“ vorlese und sie sagt: „Das ist das schönste Buch, das ich kenne. Bald kann ich lesen, da kann ich es selber lesen, immer wieder, immer wieder!“ Mein Hut voller Träume, das sind Bücher und guter Wein. Mein Meter Himmel, das ist, wenn ich sein kann, der ich bin, wenn ich sagen kann, was ich denke und wenn ich weder mich noch andere belügen muss und dafür auch noch geliebt werde.
Das ist wirklich wichtig. Für andere Dinge muss auch Zeit sein, das erfordert das Leben nun einmal. Aber die anderen Dinge – Arbeit oder wen ich auf Arbeit darstelle oder ob eine Sache nun heute oder morgen fertig wird oder was die Nachbarn oder Tante Elsbeth von mir denken oder, oder, oder – all das ist nicht so wichtig.
Letzte Frage: Wo geht das besser als hier im #Unbezahlbarland, wo man immer ein Stück „neben der Zeit“ lebt und wo es schöne Wälder, Parks und Städte gibt? Zugegeben, ich übertreibe ein bißchen. Wenn man freundlich zu den Menschen ist, kann man fast überall leben. Aber ich lebe gerne hier, dass muss ich schon sagen.
Jörg Heidig
Dieser Text ist ursprünglich am 16.01.2019 im Dreiländermagazin 3mag erschienen.