Bei einer Weiterbildung für das Team um meinen geschätzten Kollegen Oliver Below vom sim-zentrum waren Techniken zum Umgang mit schwierigen Trainingssituationen gefragt. Das Seminar hat mir viel Freude gemacht. Der vorliegende Text ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Haltungen und Techniken, über die wir diskutiert haben.
Was man am Anfang richtig macht, fällt einem später nicht auf die Füße.
Im Grunde genommen kommt es zunächst darauf an, am Anfang wenig falsch zu machen. Es geht um die Erfassung und Berücksichtigung von Erwartungen. Die erste Frage lautet: Wie kann das, was wir heute hier besprechen oder machen, für Ihre berufliche Praxis hilfreich sein? In den allermeisten Fällen werden hier Dinge genannt, die die Teilnehmer bewegen. Eine der einfachsten und wirksamsten Trainingstechniken ist deshalb, am Anfang die Erwartungen der Teilnehmer zu erfassen und im Laufe des Trainings auf diese Themen einzugehen.
Eine mögliche Standard-Gliederung für ein Training ist folgende:
- Vorstellungsrunde
- Erwartungen und Themen der Teilnehmer
- ggf. Ziele der Weiterbildung
- Theorie/Modelle
- Skill Training, Feedback usw.
Dieser Standard-Ablauf kann ergänzt werden durch folgende Techniken:
- am Anfang nach Befürchtungen fragen
- Vorab- und Nachbefragung zum Training
- Feedback beziehungsweise Prozessfragen während des Trainings (Prozessfragen sind keine Fragen im Geschehen wie bspw. inhaltliche Fragen oder Feedbackfragen, sondern Fragen über das Geschehen, etwa, was die Teilnehmer über den bisherigen Verlauf denken, wie sich die Beziehungen zwischen TN und Trainer entwickelt haben oder wie hilfreich die Trainingsinhalte bisher waren usw. Zu verschiedenen Fragearten siehe den Artikel „So öffnen sich Menschen“ in der Zeitschrift wirtschaft+weiterbildung, in dem Martin Pichler das schöne Buch „Humble Inquiry“ von Edgar Schein zusammenfasst. Sie finden den Artikel im verlinkten PDF-Dokument ab S. 18.)
Fragen stellen, nicht diskutieren
In jenen Fällen, in denen man auf eine offene Erwartungsfrage keine Antworten bekommt oder Teilnehmer Widerstand zeigen (also eigentlich nicht an der Weiterbildung teilnehmen wollen, „verdonnert“ wurden oder ähnliches) dann ist die hilfreichste Technik, damit umzugehen, die, das Problem anzusprechen und sich nach Ursachen zu erkundigen. In der Regel kommt man so mit den Teilnehmern ins Gespräch über die Motivation, an der Weiterbildung teilzunehmen oder nicht teilzunehmen. In keinem Fall sollte versucht werden, Widerstände, Bedenken usw. „wegzudiskutieren“. Vielmehr sollte auf die Widerstände eingegangen werden, bspw. nach dem Muster: „O.k., Sie wollen eigentlich nicht, aber Sie müssen hier teilnehmen. Das habe ich verstanden. Was müsste denn passieren, damit es dennoch ein interessanter oder sogar hilfreicher Tag für Sie wird?“ oder: „An welcher Stelle in Ihrer Arbeitspraxis könnten die Inhalte dieser Weiterbildung ggf. relevant sein?“
Was tue ich wenn Teilnehmer im Internet recherchieren und eine andere Fachmeinung vertreten als die, die ich vertrete?
Eine kurze Handlungsanleitung im eben beschriebenen Sinne wäre:
- die Meinung aufnehmen und rückformulieren
- bei längeren Exkursen oder grundsätzlichen Diskussionen: die Gruppe fragen, ob der Exkurs in Ordnung ist
- argumentieren
- die Argumentation zusammenfassen
- die Standpunkte A und B nebeneinanderstellen und integrieren bzw. eine Synthese daraus bilden
Das Fachwissen verändert sich heutzutage so schnell bzw. wächst so schnell, dass es nicht möglich ist, als Dozent „alles“ zu wissen. Vielmehr geht es darum, die Diskussion so zu führen, dass verschiedene Standpunkte und Sichtweisen integriert werden können — es sei denn, dass die Sichtweise, die vorgetragen wird, veraltet oder irgendwie gefährlich oder schlicht und ergreifend falsch ist. Dann muss ich als Lehrkraft konsequent bleiben und die Infragestellung des Standpunktes meines Gegenübers so formulieren, dass nicht die Person infrage gestellt wird, sondern der Standpunkt. Hier gilt der Grundsatz: hart in der Sache, weich zu den Menschen.
Es ist nicht hilfreich, Weiterbildungsteilnehmer „vorzuführen“. Gleichwohl muss man zwischen tatsächlichen Meinungen und um der Aufmerksamkeit willen vorgetragenen abweichenden Standpunkten unterscheiden. Im ersteren Fall wird die Argumentation Früchte tragen und die Integration beider Sichtweisen funktionieren. Auch die Infragestellung der vorgetragenen Sichtweise mit Argumenten wird im ersteren Fall funktionieren. Agiert jedoch jemand allein aus Gründen der Aufmerksamkeitsgenerierung, dann muss ich unter Umständen konsequent bleiben.
Die Gruppe zu Hilfe holen
Eine Steigerungsform des soeben beschriebenen Problems können „ewige Hinterfragungsschleifen“ sein, d.h. eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer äußert immer wieder abweichende Meinungen. Dann verfährt man ähnlich wie im soeben geschilderten Fall. Wenn das nicht helfen sollte, spricht man die Störung direkt an: „Was möchten Sie? Worum geht es Ihnen?“ Indem ich die Störung anspreche, verlasse ich das „Spiel“, das gerade gespielt wird. Wenn das immer noch nicht hilft, kann ich noch die Gruppe beteiligen und fragen, was die Gruppe über die entsprechenden Meinungen/Handlungen denkt. Wenn man geduldig fragt, kommen (oft erst nach einiger Zeit, es ist also Geduld gefragt!) aus der Gruppe dann Meinungen wie: „Ja, die Diskussion war zu lang.“ Oder: „Ja, ich möchte, dass wir beim Thema bleiben.“ Oder: „Können bitte beide Meinungen stehen bleiben?“ Oder: „Ich finde wichtig, was du sagst, aber der Dozent soll bitte weitermachen.“ Die Gruppe kommt einem in der Regel auf diese Weise zu Hilfe, aber wie gesagt eben erst nach einiger Zeit. In jedem Fall sind Gruppen nicht so homogen, wie sie zunächst scheinen. Das kann man sich mit etwas Geduld und freundlicher(!) Hartnäckigkeit zunutze machen. Wenn das alles nicht hilft, bleibt im Extremfall noch das Hausrecht.
Oliver Below und ich nach der Weiterbildung für das sim-zentrum: Auf gute Zusammenarbeit! 😊
Was kann ich tun, um mich nicht angegriffen zu fühlen?
Grundsätzlich hilft die Einstellung, dass das, was Weiterbildungsteilnehmer tun, nicht unbedingt etwas mit mir zu tun hat. Wenn also zum Beispiel Handys im Training benutzt werden, darauf etwa gespielt wird, dann sagt dies grundsätzlich weniger über mein Training oder meinen Unterricht, als vielmehr etwas über die Person aus, die so handelt. Möglicherweise liegt es am Thema. Dann kann ich Interesse zeigen und Fragen stellen und nach den Schnittmengen zwischen der Erfahrung bzw. der Praxis der Teilnehmer und meinen Inhalten suchen. Die wirksamste Technik lässt sich mit der folgenden, bereits genannten Regel zusammenfassen: Nicht diskutieren, Fragen stellen! Wenn ich mich also danach erkundige, was die Teilnehmer tatsächlich interessiert, und dies dann mit meinen Inhalten verbinde, ziehe ich die Aufmerksamkeit der Teilnehmer automatisch auf mich, weil ich ihre intrinsische Motivation wecke. Voraussetzung ist natürlich, dass ich tatsächlich etwas zu erzählen habe, was die Teilnehmer in ihrer Praxis gebrauchen können.
Es gibt dennoch Weiterbildungsteilnehmer, die das alles gar nicht interessiert beziehungsweise deren Interesse sich partout nicht wecken lässt. In diesen Fällen habe ich keine andere Handhabe als einen stillschweigenden oder explizit verhandelten „Nichtangriffspakt“: „Ok. Ich verstehe, dass Sie das nicht interessiert und es in Ihrer Praxis keinen Fall gibt, in dem Sie unser Thema gebrauchen können. Gleichzeitig müssen Sie hier sein. Können Sie damit leben, dass wir den Tag trotzdem so durchführen?“ In der Regel willigen die so Angesprochenen dann in eine Art stumme, halbwegs friedliche Koexistenz ein. Ansonsten bleibt mir noch, die Gruppe hinzuzuziehen und durch Fragen die motivierteren Teilnehmer zu aktivieren. Diese bremsen dann die weniger Motivierten mit der Artikulation ihres Lerninteresses oder bitten schlicht darum, dass die Weiterbildung im Interesse derer, die etwas lernen wollen, in Ruhe durchgeführt werden kann. Hilft auch das nicht und bleibt der „Trainingsfrieden“ auf Dauer gestört, bleibt wie gesagt nur noch das Hausrecht.
Die Haltung ist wichtiger als die Technik
Im Prinzip habe ich in jeder Situation zwei Möglichkeiten: Ich kann eine eher optimistische oder eine eher pessimistische Haltung einnehmen. Wähle ich die optimistische Haltung, frage ich mich, wie ich gegebenenfalls anders über eine schwierige Situation denken kann. Es kommt auf die Fragen an, die ich mir selbst stelle und die meine Handlungen leiten:
- Was weiß ich ggf. noch nicht? Diese Frage führt zu Interessensfragen an die Teilnehmer und erzeugt neue Informationen.
- Was wollen die Teilnehmer tatsächlich? Diese Frage hilft mir, nicht zu diskutieren und den Versuch zu vermeiden, die Teilnehmer von der Richtigkeit meines Ansatzes oder meiner Inhalte überzeugen zu wollen.
- Wie kann ich anders denken? Diese Frage führt mich zur Überprüfung meiner Annahmen über die Situation und die Teilnehmer und verhindert, dass ich zum Opfer meiner eigenen Vorurteile werde. Denn wenn ich vorgefertigte Meinungen über meine Teilnehmer habe, wirken sich diese, wenn auch noch so subtil, aus und führen ggf. zu Blockaden beim Gegenüber.
Solche Fragen führen letztlich zu Ideen, was ich gegebenenfalls anders machen oder welche Fragen ich stellen kann, damit das Seminar doch noch erfolgreich werden kann.
Wenn ich hingegen eine eher pessimistische Haltung wähle, dann setze ich mich in schwierigen Situationen unter Druck, indem ich mir Fragen stelle, wie:
- Was hab ich falsch gemacht?
- Warum werde ich nicht verstanden?
- Wie kann ich die Teilnehmer besser überzeugen?
Die Motivation, engagiert an einem Training teilzunehmen, können die Teilnehmer nur selbst erzeugen, ich kann sie nicht „einfach so“ von außen wecken. Menschen können ihre Haltung nur selbst ändern. Was ich tun kann, ist, Interesse an meinem Gegenüber zu zeigen. Ich kann meine Inhalte praktisch aufbereiten, ich kann Beispiele bringen, ich kann die Erwartungen der Teilnehmer bzw. das, was sie in ihrer Praxis brauchen, mit meinen Inhalten verbinden. Aber ich kann durch keine Überzeugungstechnik der Welt dafür sorgen, dass die Teilnehmer zuhören, wenn sie nicht wollen oder keinen Sinn in dem Training oder der Weiterbildung erkennen.
Wie kann ich mich selbst motivieren?
Wenn man mit Menschen arbeitet, und zwar ganz gleich, ob als Berater in Einzelgesprächen oder als Trainer mit Gruppen, kommt man immer wieder an Grenzen. Die Arbeit kostet, so schön sie sein kann, auf Dauer einiges an Kraft, und Grenzen bemerkt man oft erst, wenn man sie erreicht hat oder über sie hinweggegangen ist. Die soeben diskutierte Frage, wie man Trainingsteilnehmer motivieren kann, gilt also vor allem auch in Bezug auf die eigene Person: Wie kann ich mich selbst motivieren?
Halten wir noch einmal fest: Ich kann niemanden von außen motivieren, ich kann nur nach der Schnittmenge zwischen meinen Inhalten und den Interessen der Teilnehmer suchen. Ich kann mein Gegenüber nicht motivieren, aber ich kann ihm helfen, Gründe zu finden, warum es sich lohnt, etwas zu tun, in meinem Fall an einem Training teilzunehmen. Übertragen auf das Thema Selbstmotivation bedeutet das, dass ich mir die folgende Frage stellen muss: Warum tue ich das, was ich tue?
Auf diese Frage gibt es im Prinzip zwei Antworten:
- Ich tue, was ich tue, weil es mir Freude macht. Dann kann ich damit leben, dass nicht jeder toll findet, was ich tue.
- Ich brauche die Anerkennung für das, was ich tue oder darstelle. Dann bin ich abhängig von dem, was ich tue oder bin (oder im Extremfall: zu sein glaube).
Auch wenn die beiden dargestellten Punkte in der Realität in Reinform kaum vorkommen, sondern die tatsächlichen Motivationen, mit Menschen zu arbeiten, Mischformen zwischen beidem sind und sich auf einem gedachten Spektrum zwischen den beiden Polen anordnen lassen, ist diese Zuspitzung dennoch hilfreich: Wenn mir mein Beruf Freude macht und ich ich gern Trainer bin, kann ich relativ gut damit leben, wenn jemand etwas anders sieht oder mich oder meine Handlung nicht gut findet. Im Grunde ist mir dann bewusst, wofür ich verantwortlich bin und was ich beeinflussen kann und was nicht. Mir ist dann klar, dass ich die Lernhaltung meines Gegenübers nicht direkt beeinflussen, sondern nur Fragen stellen und jene besagte Schnittmenge suchen kann — und wenn mir das klar ist, lebe ich auf der Trainerbühne ruhiger und gestalte den Anspruch an mich selbst realistischer.
Wenn ich mich aber von der Anerkennung durch die Teilnehmer in gewisser Weise abhängig mache, die Anerkennung für meine Leistung brauche, um mich gut zu fühlen (= mich selbst anerkennen oder mögen zu können), dann gerate ich in problematischen Situationen unter Druck und erlebe Stress. Wie gesagt: In der Realität findet man oft beide Motivationen in einer Person. Es macht mir Freude, und ich will es gut machen, und die Anerkennung, die ich dafür bekomme, tut mir gut. Die Frage ist nur, ob auf Dauer Stress entsteht. Dann sollte ich lernen, mich weniger auf die Anerkennung zu fokussieren und damit zu leben, dass auch Misserfolge zum Beruf gehören bzw. ich nicht von allen gemocht werden muss.
Nach Robert Spaemann sollte ein Lehrer drei Dinge können bzw. tun:
- fachkompetent sein
- Interesse an Menschen haben
- sich nicht zu ernst nehmen bzw. über sich lachen können
In diesem Sinne: Die Weiterbildung mit Oliver Below und seinen Kollegen vom sim-zentrum hat mir viel Freude gemacht. In unseren Diskussionen ging es um die Essenz der Arbeit als Trainer — um den Umgang mit schwierigen Situationen, um die Motivation von Teilnehmern und um die eigene Haltung. Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und freue mich auf die nächste Runde im Sommer 2020!
PS: Hier finden Sie auf diesem Blog einen etwas älteren Text zu einem ähnlichen Thema.