Oberlausitzer Wertefragen: Die Oberlausitzer und die Demokratie

Wir haben die Ober­lau­sit­zer Bevöl­ke­rung gefragt, ob es sich bei der Demo­kra­tie um eine gute oder schlech­te Regie­rungs­form han­delt. 68 Pro­zent der Ober­lau­sit­zer hal­ten die Demo­kra­tie für eine gute Regie­rungs­form (Befra­gungs­zeit­punkt: ers­tes Quar­tal 2023). 

Das klingt doch erst ein­mal nicht schlecht, könn­te man den­ken — immer­hin sind das zwei Drit­tel. Aber wir sind nicht die Ein­zi­gen, die die­se Fra­ge gestellt haben. Ende 2021 wur­de die­se Fra­ge auch im Sach­sen-Moni­tor gestellt. Zu dem Zeit­punkt haben 92 Pro­zent der Sach­sen und 83 Pro­zent der Ober­lau­sit­zer die Demo­kra­tie für eine gute Regie­rungs­form gehal­ten. In der Ober­lau­sitz sind das also minus 15 Pro­zent in knapp andert­halb Jahren. 

Die­ser Text ist die Kurz­fas­sung der Dar­stel­lung der Ergeb­nis­se unse­rer Stu­die auf die­sem Blog. Soll­ten Sie sich eher für die Lang­fas­sung mit Ana­ly­sen aus Sicht des Ver­fas­sers die­ses Tex­tes inter­es­sie­ren, sind Sie hier richtig.

Die all­ge­mei­ne Zustim­mung zur Demo­kra­tie als Regie­rungs­form wur­de ein­gangs schon dar­ge­stellt. Betrach­tet man nun die Zustim­mung ein­mal auf­ge­glie­dert nach Par­tei­en­prä­fe­renz, so fällt auf, dass die Zustim­mung zur Demo­kra­tie als guter Regie­rungs­form unter CDU- und SPD-Bevor­zu­gern mit rund 90 Pro­zent sehr hoch aus­fällt, wäh­rend sie unter AfD-Bevor­zu­gern mit 50 Pro­zent nied­rig und unter den­je­ni­gen, die kei­ne Par­tei bevor­zu­gen, leicht unter­durch­schnitt­lich ausfällt.

Betrach­ten wir umge­kehrt ein­mal die Ableh­nung: 19 Pro­zent der Ober­lau­sit­zer Bevöl­ke­rung mei­nen, dass es sich bei der Demo­kra­tie um eine schlech­te Regie­rungs­form han­delt. Wer annimmt, dass die­ser Anteil unter AfD-Anhän­gern am höchs­ten ist, liegt falsch. Mar­kus van Appel­dorn von der SZ hat unse­re Ergeb­nis­se kürz­lich in einem Arti­kel falsch dar­ge­stellt, als er mein­te, dass unter den Anhän­gern der AfD die Ableh­nung der Demo­kra­tie am höchs­ten sei. Ich hat­te in mei­nem Vor­trag gesagt: „Im Ver­gleich zwi­schen CDU- und SPD-Bevor­zu­gern auf der einen und AfD-Bevor­zu­gern und jenen, die kei­ne Par­tei bevor­zu­gen, ist die Zustim­mung zur Demo­kra­tie als guter Regie­rungs­form bei den AfD-Bevor­zu­gern mit 50 Pro­zent am gerings­ten.“ (Sie­he Grafik) 

Mar­kus van Appel­dorn hat dar­aus gemacht: „Unter den Anhän­gern der AfD ist die Ableh­nung der Demo­kra­tie am höchs­ten.“ Das ist so nicht rich­tig. Ich hat­te in dem besag­ten Vor­trag in Zit­tau gar nichts dazu gesagt. Wenn man wirk­lich ein­mal schaut, wie sich die 19 Pro­zent der Ober­lau­sit­zer, wel­che die Demo­kra­tie für eine schlech­te Regie­rungs­form hal­ten, nach Par­tei­en­prä­fe­renz auf­glie­dern, erhält man fol­gen­de Ergeb­nis­se:
Sons­ti­ge Par­tei: 42 Pro­zent
AfD: 33 Pro­zent
Kei­ne Par­tei: 19 Pro­zent
LINKE: 18 Pro­zent
„weiß nicht“: 16 Prozent

Das mag in den Augen man­cher Leser „Klein­kram“ sein, aber eben dar­um geht es manch­mal: all­zu pau­scha­le Vor­ver­ur­tei­lun­gen zu ver­mei­den. Unse­re Ergeb­nis­se las­sen den Schluss zu, dass es unter AfD-Bevor­zu­gern Men­schen mit „alter­na­ti­ven Ord­nungs­vor­stel­lun­gen“ gibt. Aber unter den Bevor­zu­gern von Klein­par­tei­en („Sons­ti­ge“) ist die­ser Anteil grö­ßer, und unter Bevor­zu­gern der LINKEN ist die­ser Anteil zumin­dest nicht gering — eben­so wie unter jenen, die kei­ne Par­tei bevorzugen.

Der Anteil der­je­ni­gen, die die Demo­kra­tie für eine gute Regie­rungs­form hal­ten, ist unter jün­ge­ren Ober­lau­sit­zern gerin­ger als unter älte­ren (sie­he Gra­fik). Beson­ders gering ist der Anteil unter den Frau­en unter 40. Ange­sichts der (sehr plau­si­blen) For­de­rung, die Regi­on müs­se jün­ger und dabei vor allem weib­li­cher wer­den, stellt sich die Fra­ge, wie das gehen soll — oder was da eigent­lich los ist. Jün­ge­re Frau­en sind gene­rell „wan­de­rungs­wil­li­ger“ als jün­ge­re Män­ner; zudem schei­nen „Hei­mat“ und „Bin­dung an eine Regi­on“ eher män­ner­do­mi­nier­te The­men zu sein — das zei­gen die Ergeb­nis­se des Lau­sitz-Moni­tors recht ein­deu­tig, und das erklärt viel­leicht einen Teil des viel­fach berich­te­ten „Män­ner­über­schus­ses“ in der Ober­lau­sitz und ande­ren länd­li­chen Regio­nen Deutsch­lands. Aber wenn die hier leben­den Frau­en unter 40 nur zur Hälf­te sagen, dass es sich bei der Demo­kra­tie um eine gute Regie­rungs­form han­delt, reicht es womög­lich nicht aus, die gän­gi­gen sozio­lo­gi­schen Inter­pre­ta­ti­ons­mus­ter (zu wenig Kar­rie­re­chan­cen in der Regi­on usw.) zu bemü­hen. Viel­leicht inter­es­sie­ren sich die jün­ge­ren Frau­en, die hier leben, ein­fach nicht so sehr für Poli­tik oder gar Betei­li­gung. Viel­leicht haben sie ande­re Inter­es­sen und Prio­ri­tä­ten. Viel­leicht ist die Welt in der Ober­lau­sitz nicht so, wie sie in den Augen man­cher Sozi­al­wis­sen­schaft­ler sein soll­te. Die sowohl von eini­gen Sei­ten poli­tisch als auch sozio­lo­gisch for­mu­lier­te Erwar­tung ent­spricht womög­lich nicht der Rea­li­tät. Die Fra­ge wäre also zum Bei­spiel, ob die Erklä­rungs­mo­del­le stim­men — oder sich die Rea­li­tät von den Erklä­rungs­mo­del­len ver­ab­schie­det hat.

Zudem scheint, was die Fra­ge betrifft, ob es sich bei der Demo­kra­tie um eine gute oder schlech­te Regie­rungs­form han­delt, die Dau­er des Schul­be­suchs einen gewis­sen Unter­schied zu machen: Unter den­je­ni­gen, die das Abitur oder die Fach­hoch­schul­rei­fe erlangt haben, liegt der Anteil der­je­ni­gen, die die Demo­kra­tie für eine gute Regie­rungs­form hal­ten, etwas höher als unter den­je­ni­gen, die die Schu­le mit einem Real- oder Haupt­schul­ab­schluss been­det haben.

Betrach­tet man die Zufrie­den­heit mit dem tat­säch­li­chen Funk­tio­nie­ren der Demo­kra­tie, zeigt sich ein sehr zuge­spitz­tes Bild: Gera­de ein­mal 30 Pro­zent sind mit dem Funk­tio­nie­ren der Demo­kra­tie eher zufrie­den (29 Pro­zent) oder sehr zufrie­den (1 Pro­zent), wobei der Unter­schied in der Ver­tei­lung zwi­schen „eher“ und „sehr“ Bän­de spricht. Noch dras­ti­scher erscheint das Bild, wenn wir nicht nach der per­sön­li­chen Zufrie­den­heit, son­dern nach der Annah­me fra­gen, wie zufrie­den die Men­schen in der Regi­on sind. Nur etwa jede sechs­te Per­son glaubt, dass die Men­schen in der Regi­on eher zufrie­den sind mit dem Funk­tio­nie­ren der Demokratie.

Jörg Hei­dig

PS: Die Stu­die “Ober­lau­sit­zer Wer­te­fra­gen” haben wir im Auf­trag des Insti­tuts B3 aus Dres­den und in Zusam­men­ar­beit mit dem Team von MAS Part­ners rea­li­siert. Die Ergeb­nis­se sind reprä­sen­ta­tiv für die Regi­on Ober­lau­sitz (Land­krei­se Baut­zen und Gör­litz). Die Befra­gungs­me­tho­de war die glei­che wie im Lau­sitz-Moni­tor. Das Bei­trags­bild wur­de mit Hil­fe künst­li­cher Intel­li­genz erstellt.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und ihrem Team im Landkreis Görlitz einen Jugendhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Serbokroatisch sowie Russisch. Er ist häufig an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt tätig und hat viele Jahre Vorlesungen und Seminare an verschiedenen Universitäten und Hochschulen gehalten, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.