In diesem Text geht es um theoretische Grundlagen und Methoden der Organisationsentwicklung. Im Text wurden zwei verschiedene Perspektiven miteinander verwoben. Zum einen werden die wesentlichen Grundlagen der Organisationsentwicklung auf der Basis dreier einschlägiger Lehrbücher (Nerdinger et al. 2008; Kals 2006; von Rosenstiel et al. 1995, 2001) dargestellt. Zum anderen werden diese aus der Perspektive unserer Praxiserfahrungen reflektiert und ergänzt. So soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass zum Erlernen von Methoden einerseits theoretische Übersicht und methodische Systematik vonnöten sind, das Phänomen Organisation andererseits aber so komplex ist, dass sich kaum ein Organisationsentwicklungsprojekt in seiner praktischen Umsetzung an die Theorie hält, sondern dass in der Praxis mitunter sogar das Experimentieren überwiegt, wie bspw. auch Kals (2006, S. 52) feststellt.
Was ist Organisationsentwicklung?
Unter Organisationsentwicklung wird eine wissenschaftlich fundierte, systematische Form organisationalen Wandels verstanden. Ziel ist die Sicherung der Effektivität der Abläufe in einer Organisation bzw. die Verbesserung der Anpassungs‑, Lern- und Innovationsfähigkeit der Organisation unter sich verändernden Umweltbedingungen (vgl. Kals, 2006, S. 48). Bei der Organisationsentwicklung handelt es sich um die „bekannteste und nach wie vor wichtigste“ (Nerdinger et al. 2008, S. 160) Form geplanter Organisationsveränderungen.
Unter dem Begriff der Organisationsentwicklung (OE) können Erkenntnisse und Verfahren verstanden werden, die zum Ziel haben, die Wandlungsprozesse einer Organisation und ihrer Teile systematisch und umfassend zu verstehen und zu gestalten. Der Ablauf von Organisationsentwicklungen folgt dem Lewinschen Dreischritt Auftauen, Verändern, Stabilisieren (Lewin 1947).
Vier Grundannahmen der Organisationsentwicklung:
- Grundsätzlich ist jeder Mensch lern- und entwicklungsfähig. Verhaltensweisen sind erlernt und können verändert werden.
- Bestehende personale und strukturale (Lern-) Unfähigkeiten, Widerstände und Barrieren können nur durch planmäßige Intervention von außen verändert bzw. überwunden werden.
- Die Effektivität einer Organisation bzw. das Streben nach Optimierung eines Unternehmens einerseits und die Berücksichtigung der Interessen von Arbeitnehmern schließen sich nicht gegenseitig aus. Auch wenn das von vielen Akteuren in Unternehmen häufig anders gesehen wird. Vielmehr stehen sie in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis bzw. bedingen sich gegenseitig.
- Schritte zur Veränderung und Entwicklung des Unternehmens bzw. der Organisation haben dann die größten Chancen auf Erfolg, wenn die Wünsche und Hoffnungen der Beteiligten einbezogen werden.
Es ist wichtig, Organisationsentwicklung von Change Management zu unterscheiden. In einer Organisationsentwicklung werden die Veränderungen unter Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter geplant und umgesetzt. Hingegen wird Change Management eher als Teil des strategischen Managements angesehen. Change-Management-Konzepte werden eher von externen Beratern als Ganzes an ein Unternehmen verkauft bzw. dort umgesetzt. Bekannte Beispiele solcher Change-Management-Konzeptionen sind Total Quality Management, Lean Management oder Business Reengineering. Organisationsentwicklung setzt hingegen an der Entwicklungs- und Anpassungsfähigkeit der Organisation selbst an und beteiligt die Mitarbeiter als „Experten in eigener Angelegenheit“.
Wie ist der Organisationsentwicklungsansatz entstanden?
Im vorangegangenen Beitrag zu dieser Vorlesungsreihe wurde die Geschichte des Denkens über Organisationen grob zusammengefasst dargestellt. Es wurde deutlich, dass sich das (wissenschaftliche) Denken einerseits immer mehr an die Realität von Organisationen annähert, andererseits aber auch dem Zeitgeist unterliegt, indem die jeweils eine Zeit prägenden Menschenbilder auch das Denken über Organisationen beeinflussen und umgekehrt.
Um die Entstehung des Ansatzes nachzuvollziehen ist wichtig, folgende Entwicklungslinien grob nachzuzeichnen:
Beginnend in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrten sich Zweifel an der Arbeitsorganisation tayloristischer Ausrichtung. Man begann, den Menschen nicht nur als von materiellen Interessen geleitet zu verstehen. Zunächst war man mehr oder minder der Annahme gewesen, der „Produktionsfaktor Mensch“ ließe sich durch die richtige Personalauswahl und die richtige Bezahlung „optimieren“. Später gab es verschiedene Entwicklungen (bspw. Nachwirkungen der Hawthorne-Studien, Aufkommen des humanistischen Ansatzes in der Psychologie, Fokussierung auf die Bedürfnisse des Individuums, Prägung von Begriffen wie Selbstverwirklichung), die zu einer Hinwendung zum „Faktor Mensch an und für sich“ führten. Das Individuum mit seinen Beziehungen zu anderen Menschen geriet in den Fokus des Interesses; der „Human Relations Ansatz“ entstand. Im Zuge dieser Entwicklungen entstanden in verschiedenen Disziplinen Denkmodelle und Methoden, die das Individuum und seine Entfaltung bzw. die sozialen Beziehungen zwischen Individuen zum Gegenstand hatten. Nur einige Beispiele: Viktor Frankl entwickelte seine auf den Sinn des Lebens fokussierte Existenzanalyse; Carl R. Rogers entwickelte die an der individuellen Entfaltung ansetzenden Methoden der Gesprächspsychotherapie; Abraham Maslow postulierte seine Bedürfnispyramide; Wilfred Bion in England und Kurt Lewin in Amerika schrieben die ersten bahnbrechenden Aufsätze über Gruppen.
Erster Hintergrund der Organisationsentwicklung: Die T‑Gruppe und die Grundprinzipien der angewandten Gruppendynamik
Man begann, die ersten systematischen Trainingsansätze zu erarbeiten, in denen Führungskräfte Beziehungserfahrungen bzw. Erfahrungen in Gruppen reflektieren konnten, um daraus zu lernen. Der bekannteste dieser Ansätze ist die so genannte „T‑Gruppe“ (von: Trainings-Gruppe) oder „Laboratoriumsmethode“ (auch als „GDL“ – Gruppendynamisches Laboratorium“ oder als „Sensitivity Training“ bezeichnet. Kurt Lewin hat diese Laboratoriumsmethode 1947 mit dem Ziel entwickelt, „Menschen die Möglichkeit zu geben, effektiver mit den komplexen menschlichen Beziehungen und Problemen umzugehen“ (Nerdinger et al. 2008, S. 161).
Menschen, die sich vorher nicht kennen, werden für eine bestimmte Zeit (zumeist mehrere Tage) Teil einer Gruppe. Dabei gibt es keine vorgegebenen Themen, sondern die Gruppe und die darin stattfindenden Prozesse sind das Thema bzw. das „Lernmaterial“. Ziel ist es, dass die Teilnehmer zwischenmenschliche bzw. gruppendynamische Prozesse (a) besser verstehen und (b) besser steuern lernen. Um eine optimale T‑Gruppen-Situation herzustellen, müssen eine Reihe von Bedingungen und Wirkungsweisen beachtet werden. Diese Bedingungen haben später als Grundprinzipien der angewandten Gruppendynamik allgemeine Anerkennung gefunden und sind grundlegend für das Verständnis (beabsichtigter) Veränderungen.
Erstes Prinzip: Auftauen – Verändern – Stabilisieren
Nach Lewin (1947) folgen alle Veränderungsprozesse in Gruppen einem Muster aus drei Schritten: „Diese – sehr plausibel erscheinende – Phasenvorstellung kann als erste Leitlinie dafür dienen, welche Art von Aktivitäten zu bestimmten Zeitpunkten eines Trainingsprozesses angebracht sind.“ (Rechtien 1999, S. 161)
Auftauen: Ziel dieser ersten Phase („unfreezing“) ist es, die bisherigen Verhaltensmuster eines Teams bewusst zu machen. Typischerweise werden Verhaltens- und Beziehungsmuster in bestehenden Teams nicht (oder nicht mehr) hinterfragt und weisen einen gewissen Grad an Stereotypisierung auf (vgl. Rechtien 1999, S. 161). Geraten die Mitglieder eines Teams nun in eine ungewohnte oder/und unstrukturierte Situation, so werden die gewohnten Verhaltens- und Beziehungsmuster sehr schnell sichtbar. Anfangs hat der Trainer die Aufgabe, die beobachteten Verhaltensweisen der Gruppen- bzw. Teammitglieder anzusprechen. Später übernehmen dies zunehmend die Teammitglieder selbst. Der Wirkmechanismus der Bewusstwerdung des eigenen Verhaltens bzw. der Beziehungsmuster ist das Feedback.
Praxisbeispiel zur Phase des Auftauens: Der Teamalltag in einer Kindertagestätte war von Konflikten und Rivalitäten unter den Erzieherinnen geprägt. Am Beginn der Teamentwicklung befragt, waren sich alle Kolleginnen darüber einig, dass es Probleme geben würde, deren Wurzeln weit in der Vergangenheit liegen würden. Das gegenseitige Vertrauen sei auf ein Minimum gesunken.
Erster Schritt – Erwartungen: Nach ihren Erwartungen bezüglich der Teamentwicklung befragt, nannten die Erzieherinnen Punkte wie „wieder Vertrauen haben“, „Probleme gleich ansprechen und klären“ und „endlich wieder in Ruhe arbeiten“.
Zweiter Schritt – Problembeschreibung: Die Mitglieder des Teams wurden gebeten, die Problematik des Teams anhand von Beispielen zu beschreiben. Hier wurden sehr schnell einige eingefahrene Kommunikationsmechanismen sichtbar. Verschiedene – teilweise mehrere Jahre zurückliegende – Ereignisse waren als Angriffe verstanden worden. Die Probleme waren nicht sofort angesprochen worden, sondern wurden jeweils „gespeichert“. Diese Verhaltensweisen führten mit der Zeit zu einer regelrechten negativen Erwartungshaltung. Am Schluss reichten bereits beiläufige Anlässe – einzelne Worte oder Gesten – aus, um die Empfindung eines Angriffes auszulösen. So habe eine Erzieherin eines Morgens die Hand einer anderen Erzieherin zu fest gedrückt. Eine andere Erzieherin warf einer Kollegin vor, sie in einem besonders wichtigen Moment nicht angesehen zu haben. Während der Problembeschreibung trat dieser Mechanismus deutlich zu Tage: Sobald eine Kollegin ein Problem beschrieb, reagierte eine andere sehr defensiv, indem sie sich rechtfertigte. Das Team schien unter der Last vergangener Ereignisse regelrecht zu ersticken. Entsprechend laut ging es während der ersten Termine der Teamentwicklung zu.
Dritter Schritt – Feedback vom Trainerteam: Mit Hilfe der Methode des Reflecting Team gaben die beiden Trainer den Teammitgliedern Feedback über die beobachteten Verhaltensweisen. Ein dritter Stuhl stand bereit, um einzelnen Teammitgliedern zu ermöglichen, Fragen zu stellen bzw. sich am Gespräch der Trainer zu beteiligen.
Vierter Schritt – Feedback der Teammitglieder untereinander: Die Erzieherinnen wurden gebeten, sich gegenseitig mitzuteilen, was sie (a) aneinander schätzen und sich (b) voneinander wünschen. Im Vorfeld dieser Übung wurden Feedback-Regeln vereinbart.
Widerstände in der Auftauphase: Widerstände gegenüber der Thematisierung der Teambeziehungen äußern sich häufig durch
- Ablehnung („Es kann ja sein, dass hier jemand Probleme sieht, aber das heißt nicht, dass das auch auf mich zutrifft.“),
- Rationalisierung („Wenn wir die Probleme sachlich klären, dann ist alles lösbar. Jeder hat seine Aufgabenbereiche und sollte sich auch daran halten.“),
- Herunterspielen („Jetzt reißt Euch mal zusammen. So schlimm ist es doch gar nicht.“) oder
- generelle Bedenken („Haben wir nichts wichtigeres zu tun? Drüben wartet ein riesiger Stapel Arbeit auf mich. Ich weiß überhaupt nicht, was ich hier soll und was das überhaupt bringt.“).
Widerstände sollten in jedem Fall zugelassen und thematisiert werden. Nicht einbezogene Widerstände führen ansonsten kurzfristig zu Blockadehaltungen. Eine Teamentwicklung, zu der die Beteiligten von Vorgesetzten „verdonnert“ wurden, läuft häufig nach dem Muster „Dienst nach Vorschrift“ ab und bringt nicht die gewünschten Ergebnisse.
Verändern und Stabilisieren: Veränderungen von Rollenmustern sind dann möglich, wenn Personen etwas über ihr Verhalten erfahren und dieses anschließend reflektieren. Die Situation, mit den Wahrnehmungen anderer vom eigenen Verhalten konfrontiert zu werden, ist an sich bereits ungewöhnlich und verunsichernd. Die Bewusstwerdung des eigenen Verhaltens schafft die Grundlage für Veränderungen. Beim Feedback sind insbesondere zwei Dinge wichtig: Ressourcenorientierung und klare Regeln. Gewünschte Veränderungen können bspw. im Rahmen von Feedback-Übungen oder moderierten Gruppendiskussionen thematisiert werden. Ist das Team dazu bereit, können neue Verhaltensweisen im Rahmen von Übungen ausprobiert werden. Allerdings ist hier anzumerken, dass aus unserer Sicht die meisten Teamentwicklungssettings methodisch nicht über die Auftauphase hinaus kommen. Verhaltensweisen können innerhalb weniger Tage irritiert werden Durch Feedback und entsprechende Reflexion können gewünschte Veränderungen einzeln oder in der Gruppe definiert werden. Die Veränderungen selbst brauchen jedoch Zeit. Die Lockerung fester Gewohnheiten findet oft unter schmerzhaften Prozessen der Selbsterkenntnis statt, mündet jedoch in das Erproben neuer Kommunikations- und Verhaltensweisen. Ziel ist, dass das Team wieder konstruktiv mit Situationen und Herausforderungen umgehen kann, was nicht „von heute auf morgen“ geht. In unserer Praxis hat sich daher eine Kombination aus zwei methodischen Phasen etabliert:
- In einer ersten, vergleichsweise zeitintensiven Arbeitsphase (zumeist ein bis zwei Tage) werden die Probleme und der Veränderungsbedarf thematisiert (Teamdiagnose). Geeignete Methoden dienen hier der Bewusstwerdung der Verhaltensweisen und Rollenmuster. Wir achten hier besonders auf Ressourcenorientierung.
- Ist die Phase des „Auftauens“ gelungen (was sich auch durch eine temporäre Verschlechterung des Arbeitsklimas zeigen kann), begleiten wir den Prozess der Veränderung oft über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten hinweg, um die sich langsam entwickelnden neuen Rollenmuster durch geeignete Methoden (immer wieder Feedback, moderierte Diskussionen zum Stand des Teams, wenn gewünscht Übungen) zu stabilisieren.
Wichtig ist aus unserer Sicht am Anfang von Teamentwicklungen der Hinweis, dass es das Wesen von Veränderungen ist, dass sich die Situation, werden die Probleme erstmal thematisiert, temporär meist noch einmal verschlechtert, bevor es dann zu einer umfassenden Verbesserung der Situation kommt.
Zweites Prinzip: Hier und Jetzt
Dieses Prinzip besagt, dass im Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses der Gruppe oder des Teams die aktuellen Themen und Verhaltensweisen stehen. Die Interaktion zwischen den Beteiligten konzentriert sich also auf das, was gegenwärtig geschieht, d.h. auf gegenwärtige Verhaltensweisen und Beziehungsmuster. Es geht weniger um „externe“ Themen. Es geht dementsprechend weder um Feedback zu Verhaltensweisen in Situationen, die vor einem Jahr stattgefunden haben, noch um eine, wie auch immer geartete, „Aufarbeitung“ solcher Situationen. Es geht auch nicht um die mögliche Schuld Dritter oder die ewig misslichen Umstände, denen die aktuelle Lage ja geschuldet sei. Solchen (unbewussten) Rationalisierungsstrategien kann nach unserer Erfahrung am besten durch beharrliches, dabei aber stets wertschätzendes Nachfragen begegnet werden. Eine Konzentration auf das „Da & Dort“ führt dazu, dass sich die Teammitglieder in endlosen Rechtfertigungs- und Richtigstellungsdiskussionen verlieren, dadurch bestehende Gräben vertiefen und gewohnte Vorurteile gegenseitig bestätigen. Durch Erfahrungen im „Hier & Jetzt“ wird unmittelbares Feedback ermöglicht, das bei den Beteiligten zur Erfahrung der Wahrnehmung und der Konsequenzen führt.
Drittes Prinzip: Relative Unstrukturiertheit
Um eine Thematisierung der aktuellen Verhaltensweisen und Beziehungsmuster überhaupt zu ermöglichen, ist es wichtig, dass Raum und Gelegenheit dafür entstehen. Dies wird durch eine möglichst große Zurückhaltung der Moderatorin, Organisationsentwicklerin oder Trainerin ermöglicht. Eine mehr oder weniger „unzureichende“ bzw. „unsichere“ Struktur schafft unter den Teilnehmern eine Art provozierenden Freiraums. Dieser führt letztendlich dazu, dass sich die Teilnehmer offener verhalten, weniger Zurückhaltung zeigen und den Freiraum mit eigenen – häufig ursprünglicheren, weniger rollenhaften – Verhaltensweisen füllen. Feedback (Rückmeldung über Wahrnehmungen, Wirkung und Wünsche) und Metakommunikation (reflektierende Analyse) ermöglichen, die der erlebten (sich selbst strukturierenden) Situation zugrunde liegenden Rollen- und Beziehungsmuster herauszuarbeiten. Auch hier möchten wir noch einmal ausdrücklich auf eine möglichst konsequente Ressourcenorientierung hinweisen.
Die relative Unstrukturiertheit ist wahrscheinlich das wichtigste Wirkprinzip der angewandten Gruppendynamik, denn erst durch den Strukturmangel entsteht der provozierende Freiraum, Verhaltensweisen und Beziehungsmuster zu zeigen, später thematisieren bzw. reflektieren und verändern zu können.
Grundlegende Interventionstechniken in Gruppen
Im Zuge von Organisationsentwicklungen wird oft mit Gruppen unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung gearbeitet. Organisations- und Teamentwickler verfügen über drei grundlegende Interventionstechniken. Diese Techniken können sie sowohl selbst einsetzen, als auch die Teammitglieder zum Gebrauch dieser Techniken anhalten.
Diese Techniken sind:
Partnerzentrierte Kommunikation: passiv aufmerksames Zuhören, aktives Zuhören (Wiedergabe des Inhaltes einer Nachricht, auch: „paraphrasieren“), empathisches Kommunizieren (Aktives Zuhören plus Wiedergabe von Gefühlen, Interpretationen, auch: „verbalisieren“)
Feedback: Unter Feedback versteht man (zeitnahe) verbale und nonverbale Rückmeldungen über die Wahrnehmung und Wirkung gezeigten Verhaltens. Zwei Arten von Feedback werden unterschieden: die kompensierende Rückkopplung (führt zu einer Stabilisierung/Beruhigung des Systems) und die kumulative Rückkopplung (vergrößert die Abweichungen vom Systemzustand, führt zu Instabilität).
„Damit sich die Teilnehmer bewusst werden, welche Wirkung sie auf andere haben, geben sie Rückmeldung darüber, wie sie die anderen erleben, und umgekehrt erhalten Sie Rückmeldung darüber, wie sie von den anderen erlebt werden.“ (Nerdinger et al. 2008, S. 161)
In der praktischen Umsetzung sollte Feedback bestimmten Regeln folgen, wie zum Beispiel:
- Feedback sollte möglichst direkt/zeitnah erfolgen und unbedingt den Feedback-Regeln folgen.
- Feedback sollte ressourcenorientiert vorgetragen werden. Erst das Positive, dann die Kritik. Kritik kann als Wunsch formuliert werden.
- Feedback sollte beschreiben, nicht bewerten und sollte konkret sein und nicht allgemein.
- Feedback sollte Beobachtungen und Wirkungen (bspw. Eindrücke) beschreiben und keine Interpretationen enthalten.
- Feedback sollte sich auf etwas beziehen, das veränderbar ist.
- Feedback sollte zur Verbesserung der Kommunikation beitragen.
Metakommunikation: Mit Metakommunikation wird der Austausch über den Kommunikationsprozess selbst bezeichnet. Metakommunikation enthält Aussagen über Inhalte, Verlauf, (wiederkehrende) Muster und beobachtete Wirkungen eines Kommunikationsprozesses bzw. dessen Abfolge von Interaktionen. Dabei wird sowohl auf situationale Einzelaspekte, als auch auf übergreifende Muster geachtet. Ziel von Metakommunikation ist die Bewusstmachung kommunikativen Verhaltens, das Benennen und Beheben von Störungen sowie die Verstärkung positiven Verhaltens.
Metakommunikation läuft idealerweise in zwei Phasen ab: (1) Verlaufsanalyse (Wie verlief die Kommunikation? Was war gut; was hat gestört?) (2) Vereinbarungen für die Zukunft (Was möchten wir beim nächsten Mal als Sprecher oder Zuhörer anders machen? Welche Regeln brauchen wir?)
„T‑Gruppen erlebten zunächst einen wahren Boom in den verschiedensten Anwendungsbereichen: Sie wurden als das mächtige Instrument zur Änderung von Menschen, Gruppen und schließlich ganzer Organisationen angesehen (…). Obwohl Metaanalysen zeigen, dass die Laboratoriumsmethode durchaus in der Lage ist, Einstellungen zu verändern (…), ist in der Praxis der Organisationen diese Euphorie mittlerweile weitgehend verflogen: Die Laboratoriumsmethode wird heute kaum noch im Rahmen der OE eingesetzt, vor allem, weil sich die unter Fremden neu erlernten Verhaltensweisen kaum auf die Situation in der Arbeit übertragen lassen. In bestehenden Arbeitsgruppen entwickelt sich nicht die Offenheit und Spontaneität wie unter Fremden.
Heute wird stattdessen im Rahmen der OE bevorzugt die Methode der Teamentwicklung eingesetzt (…). Trotzdem steht die Laboratoriumsmethode beispielhaft für die Verfahren der OE, die auf die Veränderung individuellen Verhaltens sowie auf verbesserte Teamfähigkeit zielen. Dabei handelt es sich durchgängig um Methoden des Erfahrungslernens, d. h., es wird kein Wissen von Experten vermittelt, sondern anhand eigener Erfahrungen in Gruppen gelernt. Und der Dreischritt ‘Auftauen – Verändern – Einfrieren’ wurde als allgemeines Veränderungsmodell der OE übernommen, das auch heute noch bei den meisten Interventionen in Organisationen handlungsleitend ist.“ (Nerdinger et al. 2008, S. 161)
Zweiter Hintergrund der Organisationsentwicklung: Die Datenerhebungs- und Rückkopplungsmethode
Die sogenannte Datenerhebungs- und Rückkopplungsmethode (oder: Survey-Feedback-Methode) geht ebenfalls auf Kurt Lewin zurück. Stark vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um eine Mischung aus Mitarbeiterbefragung und Vorgesetztenbeurteilung, deren Ergebnisse an die Organisationsmitglieder zurückgemeldet und von diesen (extern oder intern moderiert) diskutiert werden. Im Grunde handelt es sich um ein Instrument der Organisationsveränderung, mit dem sich Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam verändern können, indem das gesamte menschliche System der jeweiligen Organisation sichtbar und ansprechbar wird.
Die Methode wird in zwei Phasen durchgeführt: Zunächst werden mit Blick auf bestimmte Fragestellungen Daten erhoben. Hierzu steht das gesamte Spektrum sozialwissenschaftlicher Methoden zur Verfügung. Die Ergebnisse der Erhebungen werden anschließend aufbereitet und an die Befragten/Beteiligten rückgemeldet. Den Befragten kommt dabei die Rolle von Experten zu, indem ihnen die Möglichkeit gegeben wird, die Ergebnisse der Befragung zu analysieren und zu bewerten und eigene Vorschläge zur Lösung der festgestellten Probleme zu entwickeln.
Im Folgenden werden die typischen Phasen eines OE-Projektes dargestellt, das nach der Survey-Feedback-Methode durchgeführt wird – Phasen der Organisationsentwicklung nach von Rosenstiel et al. 1995:
- Kontaktphase: Kontaktaufnahme zwischen Auftraggeber und Berater
- Vorgespräche: Erste Gespräche, vorläufige Festlegung des Projektrahmens und ‑umfangs, Vorab- Festlegung von Zielen
- Vereinbarung des Vorgehens: Wichtige Vorbedingung: Einigkeit über das OE-Projekt; Präzisierung der Form der Zusammenarbeit und der Vorgehensweise (wichtig: Klient/Auftraggeber/in und Berater/in planen gemeinsam!); Einbeziehung betroffener Mitarbeiter in alle Phasen des Projektes, insbesondere in Datenerhebung, Rückkopplung, Diagnose und Maßnahmedurchführung (Wünsche, Vorschläge, Perspektiven); erster Schritt: Diagnose und Ursachenklärung der Probleme, die das OE-Projekt notwendig gemacht haben; zweiter Schritt: Klärung, welche Mitarbeiter des Unternehmens (des „Klientensystems“) als Multiplikatoren und Träger des Projektes fungieren; Klärung der Honorarfrage
- Datenerhebung: Grundsätzlich kann das gesamte Methodenrepertoire der Sozialforschung genutzt werden. Möglich sind beispielsweise standardisierte Instrumente zur Erhebung des Betriebsklimas oder auch unstrukturierte Interviews. Wichtig: Einbeziehung der Sichtweise aller Beteiligten des Systems
- Aufbereitung der Daten: Die erhobenen Daten werden aufbereitet, zusammengefasst und visualisiert. Auch bei der Aufbereitung ist eine Einbeziehung von Angehörigen des Systems sinnvoll.
- Datenrückkopplung: Wichtig ist die Rückmeldung der Ergebnisse an alle Beteiligten. Dies kann schriftlich, mündlich, individuell oder in größeren Meetings erfolgen. Denkbar ist auch die Kommunikation der Ergebnisse an ausgewählte Multiplikatoren, die die Ergebnisse ihrerseits weiterreichen.
- Diagnose: Die rückgemeldeten Daten werden bewertet und interpretiert. Das Ziel dieser Phase ist eine systematische Problemdefinition. Diese Definition ist in der Regel sehr schwierig, da die anstehenden Probleme von den verschiedenen Gruppen häufig sehr unterschiedlich gesehen und bewertet werden. Die Planung von Problemlösungsstrategien kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn sich die Betroffenen auf eine einheitliche Definition verständigen können und sich mit dieser Definition identifizieren.“ (von Rosenstiel et al. 1995, S. 318)
- Maßnahmeplanung und ‑durchführung: Der umfangreichste und aufwendigste Teil eines OE-Projektes – es werden einzelne Schritte und Projekte zur Lösung der Probleme geplant. Die Initiative, Verantwortung und Organisation dieser Projekte und Schritte werden von Einzelpersonen oder Gruppen des Zielsystems übernommen. Berater haben lediglich eine Moderatoren- bzw. Trainerfunktion.
- Erfolgskontrolle: Anhand gemeinsam entwickelter Erfolgskriterien und entsprechend ausgewählten Auswertungsverfahren wird die Erfolgskontrolle von Beratern und Beteiligten gemeinsam vorgenommen.
Dieses Ablaufmodell kann als eines der idealtypischen Modelle für Organisationsentwicklungsprojekte angesehen werden. Trotz einer Reihe solcher Verlaufsmodelle für die Organisationsentwicklung stellt Kals (2006, S. 52) fest, dass die praktische Umsetzung von OE-Projekten oft sehr stark von diesen Modellen abweicht. Es überwiege das Experimentieren mit neuen Möglichkeiten.
Dritter Hintergrund der Organisationsentwicklung: Die soziotechnische Systemtheorie
Die soziotechnische Systemtheorie geht von der grundlegenden Annahme aus, dass die technischen (Maschinen, Gebäude etc.) und die sozialen (Mitarbeiter mit ihren Qualifikationen und Bedürfnissen) Komponenten einer Organisation nicht getrennt voneinander betrachtet werden können und gemeinsam optimiert werden müssen. Der wesentliche Beitrag der soziotechnischen Systemtheorie zur Organisationsentwicklung liegt insbesondere in der für europäische OE-Ansätze typischen ganzheitlichen Perspektive: Die Betrachtungen konzentrieren sich auf die technischen Bedingungen bzw. deren Auswirkungen auf das soziale System sowie auf die Wechselwirkungen zwischen technischen und sozialen Systemkomponenten. Der Ursprung der Entwicklung der soziotechnischen Systemtheorie liegt in den Forschungen des Londoner Tavistock Institute of Human Relations im englischen Kohlebergbau. Ausgangspunkt der Untersuchungen war die Frage nach den Ursachen für vergleichsweise häufige Unfälle, eine hohes Maß an Fluktuation und Fehlzeiten sowie eine niedrige Arbeitsmotivation. Im Vorfeld dieser Probleme war eine neue, teilmechanisierte Abbaumethode eingeführt worden, die eine Veränderung der Arbeitsteilung bzw. des Arbeitsablaufes zur Folge hatte. Die bisherigen kleinen und weitgehend selbstregulierten Arbeitsgruppen wichen einem System, in dem die Arbeitsteilung weitgehend zwischen aufeinanderfolgenden Schichten stattfand. Koordiniert wurde nicht mehr selbst, sondern durch ausichtführende Vorgesetzte. Die Untersuchungen zeigten eindrücklich, dass die problematische Arbeitsmoral nicht direkt auf die neuen Produktionsmethoden, sondern vor allem auf die dadurch entstandenen Veränderungen im sozialen Gefüge zurückzuführen waren. (Vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 162f.)
Wo setzt Organisationsentwicklung an?
Es können drei Ansatzpunkte für Organisationsentwicklung unterschieden werden. Nerdinger et al. (2008, S. 163) stellen drei Ansatzmöglichkeiten dar und nennen entsprechende Methoden:
- Strukturaler Ansatz: Ansatzpunkt ist die Struktur der Organisation mit dem Ziel, dass sich dadurch die gesamte Organisation verändert. Methodenbeispiele: qualitative Anreicherung der Arbeit (job enrichment), teilautonome Arbeitsgruppen, Qualitätszirkel
- Prozessualer Ansatz: Ansatzpunkte sind die in der Organisation ablaufenden Prozesse. Methodenbeispiele: Survey-Feedback-Methode, Prozessberatung, Teamentwicklung
- Personaler Ansatz: Ansatzpunkt ist die soziale Kompetenz des einzelnen Mitarbeiters. Durch Training sollen Mitarbeiter für Gruppenprozesse sensibilisiert werden, wodurch sich (a) eine Änderung der Person und (b) indirekt eine Änderung der Organisation im gewünschten Sinne ergeben soll. Methodenbeispiele: spezielle thematische Trainings (v.a. für Führungskräfte), Coaching
Praxisbeispiel 1: Organisationsdiagnose
Bungard et al. (1996; hier dargestellt nach Kals, 2006, S. 39ff.) beschreiben ein Organisationsentwicklungsprojekt in einem Automobilzulieferbetrieb:
Ein hoher Wettbewerbsdruck führt bei einem Automobilzulieferbetrieb mit etwa 1.000 Mitarbeitern zu akuten Problemen. Um dem Wettbewerb standzuhalten müssen die Kosten gesenkt werden. Gleichzeitig soll dir Qualität gesteigert werden. In Vorbereitung der Planung geeigneter Veränderungsmaßnahmen wird eine Organisationsdiagnose durchgeführt, die alle Bereiche und Themen umfasst – Arbeitsabläufe, Organisationsstrukturen, Arbeitszufriedenheit, Motivation, Organisationskultur, Führungsstile etc. (Vgl. Kals, 2006, S. 39)
Die Analyse der vorliegenden Daten sowie die Auswertungen der Erhebungen ergaben, dass Organisationsentwicklung ein sinnvolles Instrument für die Gestaltung der Veränderungen ist. Eine der OE-Maßnahmen bestand in der Einführung von Gruppenarbeit, wofür eine Projektgruppe, bestehend aus wichtigen Vertretern der Führungsebene, gegründet wurde. Zur Steuerung des Projektes wurde der Projektleiter für ein Jahr von seinen sonstigen Aufgaben entbunden. Man verfiel nicht in Aktionismus, sondern nahm sich vor den ersten Umsetzungsschritten Zeit, ein an die betrieblichen Bedingungen angepasstes Gruppenarbeitsmodell zu entwickeln. Zunächst wurden Ziele festgelegt. Die Vorgehensweise entsprach insgesamt der Schrittfolge Analyse – Umsetzung – Evaluation. (Vgl. Kals, 2006, S. 52f.)
In der Organisationsentwicklungspraxis werden je nach Bedarf oft zwei oder alle drei der oben genannten Ansätze (strukturaler, prozessualer und personaler Ansatz) miteinander verbunden, wie auch das folgende Praxisbeispiel zeigt.
Praxisbeispiel 2: Standardisierte Befragung und gestufter Beteiligungsprozess (aus eigener Praxis)
Die Leitung eines mittelständischen Unternehmens mit etwas mehr als 500 Mitarbeitern bemerkt durch eine eigene, jährlich durchgeführte Mitarbeiterbefragung, dass die Stimmung in der Belegschaft schlechter geworden ist. Zudem hat die Fluktuation zugenommen. Weil man die Ursachen genauer analysieren will, gibt man eine größere, standardisierte Mitarbeiterbefragung in Auftrag. Wir haben für solche Fälle einen mehr als 250 Fragen umfassenden Erhebungsbogen entwickelt und führen als Benchmark für Mitarbeiterbefragungen alle zwei Jahre eine für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen repräsentative Befragung durch. Hier ist eine Zusammenfassung der 2018er Befragungsergebnisse zu finden.
Nach der Auftragsklärung mit der Unternehmensleitung haben wir den Fragebogen mit einer Auswahl von Mitarbeitern und Führungskräften aus allen Abteilungen sowie Vertretern der Unternehmensleitung und des Betriebsrates im Rahmen eines Workshops an die spezifischen Belange des Unternehmens angepasst sowie wichtige Fragen ergänzt.
Die gesamte Belegschaft wurde durch Führungskräfte, Betriebsrat und eigens vorbereitete Plakate auf die Befragung aufmerksam gemacht. Etwa zwei Drittel der Führungskräfte und Mitarbeiter haben sich beteiligt.
Nach der Erhebung (online und Papier-Fragebogen) haben wir die Ergebnisse ausgewertet und gestuft zurückgemeldet. Zunächst haben wir die Ergebnisse mit dem Kreis diskutiert, mit dem wir die Befragung auch vorbereitet hatten. Dann folgten die Unternehmensleitung, der Betriebsrat und einzelne Abteilungen. Führungskräfte auf wichtigen Schlüsselpositionen erhielten zudem eine personalisierte Rückmeldung mit den Ergebnissen aus ihrer Abteilung bzw. zu ihrer Person.
Die Ergebnisse legten nahe, dass es Schnittstellenprobleme bei einigen abteilungsübergreifenden Prozessen gab. Der Informationsfluss schien an einigen Stellen stark eingeschränkt. Mit den betroffenen Teams bzw. Abteilungen haben wir – zunächst abteilungsintern, dann teamübergreifend – Schnittstellenworkshops durchgeführt. Wir haben jeweils noch einmal die spezifischen Befragungsergebnisse gezeigt und dann analysiert, was gut funktioniert und wo es Veränderungsbedarf gibt. Den Veränderungebedarf haben wir soweit wie möglich konkretisiert, in Ziele, Arbeitspakete und Aufgaben überführt und mit Terminen versehen. Jeweils sechs Wochen bis drei Monate später haben wir Folgeworkshops durchgeführt. In der Mehrzahl ist es gelungen, die Prozesse kontinuierlich zu gestalten.
Zudem haben wir für die das gesamte Unternehmen betreffenden Veränderungserfordernisse eine Task Force gegründet, die sich monatlich trifft, Probleme analysiert, Ziele festlegt, Maßnahmen entwickelt und umsetzt.
Wichtig ist nach unserer Erfahrung vor allem,
- dass die Beteiligten wirklich offen und ohne Angst sprechen können,
- dass die Arbeit der betreffenden Gruppen tatsächlich kontinuierlich erfolgt und dass die Führung der Organisation entsprechend Priorität und Verbindlichkeit signalisiert und Beteiligung einfordert, wenn diese nachlässt,
- dass mit machbaren Projekten begonnen wird und größere bzw. schwierigere Vorhaben nicht gleich zu Beginn durchgeführt werden, um den kontinuierlichen Erfolg der Veränderungsbemühungen zu sichern,
- die entsprechenden Workshops und Gruppen mit den notwendigen Entscheidungsspielräumen ausgestattet werden, denn nichts kann Engagement wirkungsvoller reduzieren als ein wiederholtes Durchkreuzen von Vorschlägen durch die Führungsspitze,
- dass die gewählten Methoden und Formate zur Organisationskultur passen.
Es erfordert eine intensive Kenntnis der Organisation, um Letzteres einschätzen zu können. Methoden sind nicht per se richtig, sondern passen zu einer Organisation oder nicht. Beteiligung und Handlungsspielräume haben beispielsweise dort ihre Grenzen, wo Macht ausgeübt wird. Ist also eine Hierarchie stark und mächtig, ist die Reichweite bzw. die Gestaltungskraft von Organisationsentwicklung von vornherein begrenzt. Hier kann ein entsprechend langsames und behutsames Vorgehen ratsam sein.
Neuere Ansätze und Themen der Organisationsentwicklung
Das ursprüngliche, klassische Konzept der Organisationsentwicklung hatte zum Ziel, durch Veränderungen im Verhalten der Mitarbeiter positive Veränderungen der gesamten Organisation zu erreichen. In den letzten Jahrzehnten haben sich jedoch (1) Konzepte mit präziseren Zielsetzungen herausgebildet und ist (2) insbesondere die Fähigkeit zur steten Veränderung bzw. Anpassung der Organisation als Wesensmerkmal der Organisation selbst (= lernende Organisation) zum Thema von OE-Prozessen geworden. Nerdinger et al. nennen die Innovationsförderung als Beispiel für den ersten und das Konzept der lernenden Organisation als Beispiel für den zweiten Trend.
Innovationsförderung
Die Innovationsförderung zielt nicht mehr wie die klassischen OE-Konzepte auf die Entwicklung des Individuums mit dem Ziel, die gesamte Organisation zu verbessern, sondern auf die Leistung der Organisation. Je stärker ein Markt umkämpft ist, desto bedeutsamer werden Innovationen zu einem Überlebensfaktor. Innovationen geschehen jedoch nicht von selbst, sondern müssen zumeist angeregt werden. Kosten- oder Umsatzentwicklungen, Veränderungen auf dem Markt oder auch Ideen selbst können Auslöser für Innovationsprozesse sein, die in der Regel einem bestimmten Muster (Impuls, Ideenfindung, Konkretisierung, Umsetzung, Durchsetzung, Routine) folgen. Kreativitätstechniken können die Ideenfindung erleichtern und viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern im Rahmen von Ideenmanagementsystemen Anreize, Ideen zu entwickeln und einzureichen, die dann von dafür verantwortlichen Personen oder Gremien ausgewählt und zur Umsetzung vorgeschlagen werden. Eine interessante organisationspsychologische Fragestellung im Zusammenhang mit der Innovationsförderung ist die nach günstigen organisationalen Bedingungen für Innovationen. Die wesentlichen Bedingungen bilden dabei die jeweilige Gruppe und der Führungsstil.
„Als günstig erweisen sich gewöhnlich die Heterogenität der Gruppe – sind sich die Mitglieder zu ähnlich, dann können sie sich nicht gegenseitig anregen – sowie breit gestreute Fähigkeiten und vielfältiges Wissen der Teilnehmer. Eher hemmend wirkt es sich aus, wenn die Mitglieder schon längere Zeit zusammenarbeiten und die Gruppe sehr klein ist. Innovationsförderliche Führung von Gruppen stellt hohe Anforderungen an die soziale Kompetenz der Führungskräfte. Letztlich geht es darum, den Mitarbeitern überzeugend zu vermitteln, dass eine Situation veränderungsbedürftig und veränderbar ist (…). Zu diesem Zweck müssen die Mitarbeiter höhere Anforderungen an bestehende Situationen stellen und gleichzeitig muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, Änderungen auch real zu erproben.“ (Nerdinger et al. 2008, S. 167)
Lernende Organisationen und Wissensmanagement
Seit einigen Jahrzehnten sehen sich Organisationen einer zunehmenden Dynamik des Marktes bzw. ihrer Umwelt ausgesetzt, was – so die zentrale Annahme des Ansatzes – dazu führt, dass es nicht mehr ausreicht, auf Wandlungserfordernisse zu reagieren. Vielmehr müssen sich Organisationen stetig mit den Rahmenbedingungen verändern, um am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Organisationen brauchen daher die Fähigkeit, sich „aus sich selbst heraus“ zu verändern. Organisationen, die diese Fähigkeit besitzen, werden als lernende Organisationen bezeichnet. Nun kann die Organisation selbst nicht lernen, sondern nur die Angehörigen einer Organisation, weshalb der Begriff der lernenden Organisation etwas irreführend ist. Organisationen nehmen (bspw. durch Weiterbildung oder neue Mitarbeiter) Wissen auf und vermitteln dieses aktiv in die Organisation hinein. (Vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 167; siehe dort auch eine Zusammenfassung der wesentlichen Arten organisationalen Lernens)
Die in den vergangenen Jahren viel diskutierten Konzepte des Wissensmanagements beschäftigen sich mit der Generierung und dem Austausch von Wissen in Organisationen. Im Grunde geht beim Wissensmanagement um Konzepte organisationalen Lernens und damit im weitesten Sinne um Organisationsentwicklung. Pawlowsky (1998, S. 15f.) legt seinen Darstellungen die Überlegung zugrunde, dass sich Wertschöpfungsprozesse zunehmend „entmaterialisieren“, was bedeutet, dass Maschinen und materielle Produkte zunehmend durch Wissen bzw. Gedanken ersetzt werden. Aus dieser Perspektive seien Organisationen als „vernetzte Systeme von Wissen“ (Pawlowsky, 1998, S. 15) zu verstehen und zu betrachten. Organisationen, so Pawlowsky weiter, hätten Kernkompetenzen. Diese Kernkompetenzen bildeten eine Grundlage; von der immer auszugehen sei.
Beim Wissensmanagement können im Wesentlichen zwei Richtungen von Ansätzen unterschieden werden: Eine erste Gruppe von Ansätzen fokussiert sehr stark Strategien, Prozesse und die human factors, während eine andere Gruppe von Ansätzen vor allem auf Informations-(management)systeme abstellt (vgl. Riempp, 2004, S. 94). Riempp (ebd.) postuliert, dass sowohl die letztere, eher technisch orientierte Denkweise als auch der erstgenannte, eher soziotechnisch orientierte Ansatz für sich genommen nicht ausreichend seien und schlägt deshalb eine Integration beider Sichtweisen vor.
Nach unseren Erfahrungen haben sich die Ansätze der Organisationsentwicklung, der lernenden Organisation und des Wissensmanagements in den vergangenen beiden Jahrzehnten stark miteinander vermischt und sind in der Praxis kaum mehr zu trennen. Durch die Digitalisierung ist Wissensmanagement zum zunehmend selbstverständlichen Teil der Unternehmensentwicklung geworden, manchmal sogar zu deren Treiber. Und die wachsende Komplexität und Dynamik der (globalisierten) Wirtschaft macht es erforderlich, dass Organisationsentwicklung kein Projekt mehr ist, sondern Daueraufgabe.
Bedingungen für den Erfolg von OE und Wirkungen von OE-Maßnahmen
Kals (2006, S. 56) nennt folgende prozessförderliche Voraussetzungen für den Erfolg von Organisationsentwicklungsmaßnahmen:
- Die Organisation sollte sich nicht in einer Existenzkrise befinden.
- Es sollten keine tiefgreifenden Zerwürfnisse zwischen Betriebsrat und Management bestehen.
- Es ist günstig, wenn bestehende Organisationseinheiten weitgehend autonom agieren können und gleichzeitig miteinander kooperieren.
- Die Probleme der Organisation sollten allen Beteiligten bewusst sein.
- Es ist förderlich, wenn Management und Belegschaft bereits über gruppendynamische Erfahrungen verfügen.
- Die Organisationsmitglieder sollten bereit sein, mit verschiedenen Veränderungen zu experimentieren und sich auf teilweise langfristige Veränderungsprozesse einzulassen.
- Die mit den Veränderungsmaßnahmen verbundenen Personen (Maßnahme-Entwickler, interne und externe Berater) sollten von den Beteiligten akzeptiert werden. Darüber hinaus ist personelle Kontinuität bei den Beratern günstig.
Bei Nerdinger et al. (2008, S. 164f.; siehe dazu auch Kals, 2006, S. 56f.) werden die folgenden wesentlichen, empirisch belegbaren Wirkungen von Organisationsentwicklung beschrieben:
- Strukturaler Ansatz: Job enrichment und die Einführung teilautonomer Arbeitsgruppen bewirken positive Effekte auf „weiche Faktoren“ wie Mitarbeiterzufriedenheit oder positive Einstellungen gegenüber Kollegen, Führungskräften und dem Unternehmen insgesamt. Diese Effekte bleiben jedoch gering. Einige Interventionen auf struktureller Ebene (v. a. Leistungsbeurteilungen, Zielvereinbarungen, finanzielle Anreizsysteme) haben einen deutlichen positiven Einfluss auf „harte Kriterien“ wie bspw. die Arbeitsproduktivität.
- Prozessualer Ansatz: Die klassischen prozessualen Ansätze (Survey-Feedback, Prozessberatung, insbesondere Teamentwicklung) zeigen hohe Wirkungen auf weiche Faktoren (Arbeitszufriedenheit, Bindung an das Unternehmen, Organisationsklima, Kooperation, Kommunikation). Darüber hinaus lassen sich auch positive Einflüsse auf harte Kriterien finden, allerdings sind diese weniger stark.
- Personaler Ansatz: Klassische gruppendynamische Trainings haben keine empirisch messbaren positiven Einflüsse auf harte oder weiche Faktoren. Geringe positive Einflüsse lassen sich nur dann feststellen, wenn das Training ganz besonders gut auf die jeweiligen Arbeitsbereiche der Teilnehmer abgestimmt ist.
Eine Untersuchung von Macy & Izumi (1993; hier dargestellt nach Nerdinger et al. 2008, S. 165) macht deutlich, welche OE-Maßnahmen auf welcher Organisationsebene die stärksten Effekte hat:
„Versuche, die ganze Organisation zu verändern, führen zu den stärksten Verbesserungen im finanziellen Bereich. Interventionen auf der Ebene von Gruppen, z. B. von Abteilungen, führen zu den stärksten Verbesserungen im Verhalten der Mitarbeiter. Die Einwirkung auf den einzelnen Mitarbeiter dagegen hat in allen Kategorien – Finanzen, Verhalten und Einstellung – den geringsten Effekt.“ (Nerdinger et al. 2008, S. 165)
Fazit
Grob zusammengefasst bewirkt Organisationsentwicklung eine Bewusstwerdung der Lage der Organisation und der Beziehungen zwischen den handelnden Personen. Diese werden als Experten für ihre eigenen Belange an der Analyse der Lage und an der Entwicklung und Umsetzung von Handlungsoptionen beteiligt. Während Organisationsentwicklung noch mehr oder minder nur einen Zyklus von Messung – Rückmeldung – Analyse – Entwicklung von Handlungsoptionen – Umsetzung – Kontrolle bedeutete, liegt der wesentliche Unterschied zu einer lernenden Organisation darin, dass letztere aus sich selbst heraus in der Lage ist, ihre Situation zu analysieren und Veränderungen zu initiieren, notwendige Reflexionen und Analysen also kontinuierlich betreibt und Schritte selbst einleitet, umsetzt und deren Erfolg analysiert, was wiederum zur Grundlage für einen neuen Zyklus der Anpassung wird.