Die Herausforderung: Hilfe unter standardisierten Bedingungen
Mitarbeiter und Führungskräfte von Jobcentern und ihren Dienstleistern stehen jeden Tag vor der Herausforderung, zwei – auf den ersten Blick vielleicht paradoxe – Anforderungen miteinander zu verbinden: Einerseits ist es ihre Aufgabe, Kunden in Bezug auf Erwerbstätigkeit und oft auch Lebensführung zu helfen (bspw. als Fallmananager oder Jobcoaches) oder diese Hilfe zu organisieren (als Führungskräfte). Andererseits tun sie dies unter stark formalisierten Bedingungen (kennzahlenbasierte Ziele, gesetzliche Rahmenbedingungen, vertragliche Regelungen auf der Grundlage von Ausschreibungen, Effekte der mitunter starken Hierarchien etc.). Der häufigste Einwand bei der Diskussion geeigneter Methoden ist deshalb der, dass sich die etwa von Psychologen oder Sozialarbeitern als geeignet präsentierten Methoden nicht mit den Rahmenbedingungen in der Praxis verbinden lassen: »Das klingt ja gut, was Sie erzählen, und das mag bei Ihnen auch so funktionieren, lässt sich aber bei uns so nicht umsetzen.«
Eine weitere, häufig nicht oder nur unzureichend berücksichtigte Charakteristik der Beziehungen zwischen Fallmanagern/Jobcoaches und ihren Kunden ist, dass beide Seiten hohen psychischen und gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind. Langzeitarbeitslosigkeit hat dramatische Folgen für die Gesundheit der Betroffenen. Aufseiten der Fallmanager und Berater führt insbesondere die Kombination aus starker Formalisierung (und häufig entsprechend geringem Handlungsspielraum), hohen Fallzahlen und dem begrenzten Wirksamkeitserleben bei gleichzeitig »von oben« vorgegebenen Zielen zu starkem Druck und nicht selten zu psychosomatischen Symptomen. Insbesondere der letzte Punkt ist aus psychologischer Sicht entscheidend: Führen die eigenen Anstrengungen auf Dauer deutlich seltener zum Erfolg als zum Misserfolg (oder bleiben sie schlicht wirkungslos), so hat dies – auch wenn die Zielkennzahlen erreicht werden – Folgen für die Motivation und die Selbstwirksamkeitserwartung der Akteure. Aus einer Motivation zu helfen oder schlicht »den Job gut zu machen«, werden mit der Zeit bittere oder sogar zynische Haltungen.
Die zentrale Frage lautet deshalb, wie Menschen, die beratende bzw. helfende Rollen unter formalisierten Rahmenbedingungen einnehmen, so handeln können, dass Gesprächssituationen möglichst nicht eskalieren und sie dabei möglichst langfristig gesund bleiben.
In helfenden Berufen beginnt Gesundheit an der Beziehung zwischen den helfenden Personen und ihren Klienten. Es ist also nicht nur eine Frage des Individuums, sondern auch eine der Beziehungsgestaltung. Dieser Überlegung folgend, möchten wir uns hier mit dem Thema »Achtsamkeit« für die persönlichen Belange der helfenden Person und mit Methoden zur Gestaltung ebenso »gesunder« wie »wirkungsvoller« Berater-Klient-Beziehungen beschäftigen – immer unter der Maßgabe einer grundsätzlich »deeskalierenden« Gesprächsführung, die vom Ansatz her so aufgebaut ist, dass es im besten Fall gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.
Einige Eigenschaften helfender Beziehungen
Wenn es um helfende Beziehungen geht, wird häufig eine zentrale Charakteristik außer Acht gelassen, nämlich die Art der Beziehung. Es handelt sich nämlich keineswegs um eine Beziehung »auf Augenhöhe«, sondern es gibt beim Helfen immer ein »Oben«, also die Hilfe gebende Instanz, und ein »Unten«, also die Hilfe erhaltende Seite der Beziehung. Gebe ich zu, Hilfe zu brauchen, mache ich mich verletzlich. Diese Verletzlichkeit bedeutet für die helfende Person eine große Verantwortung (und damit verbunden auch eine ethische Herausforderung). Offenheit kann nur entstehen, wenn der Selbstwert der Hilfe empfangenden Person gesichert ist. Durch die charakteristische »one-down-ness« (Edgar Schein) der Hilfe empfangenden Seite ist die Sicherung des Selbstwerts jedoch keineswegs selbstverständlich. Die Beziehung muss, bevor überhaupt etwas Sachliches besprochen werden kann, die Selbstwerterhaltung der Hilfe empfangenden Person gewährleisten. Angesichts des starken Drucks, dem der Selbstwert und der soziale Status von Langzeitarbeitslosen generell ausgesetzt sind, erscheint dies als die zentrale Herausforderung an die Gestaltung von Beziehungen im Jobcenter.
Drastisch formuliert: Der Selbstwert bzw. der soziale Status von Langzeitarbeitslosen ist sowieso schon niedrig. Kommen diese dann ins Jobcenter und werden mit Anforderungen und Sanktionsandrohungen konfrontiert, sinkt er noch weiter. Ergebnis ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis aus Druck und Abwehr, den viele Akteure nur zu gut kennen und anhand zahlloser Beispiele illustrieren können. Der Ausweg liegt unserer Erfahrung nach darin, zuerst an einer wertschätzenden und den Selbstwert der beteiligten Personen sichernden Beziehung zu arbeiten. Ist diese Beziehung vorhanden, können ggf. auch Grenzen aufgezeigt und Sanktionen wirkungsvoll eingesetzt werden. Ist diese Beziehung nicht gegeben, bleiben Sanktionen in der Regel nicht nur wirkungslos, im Gegenteil: sie verstärken die Abwehr (also den einseitigen Schutz des Selbstwerts) noch. Das hat nicht nur Folgen für die Kunden (Verfestigung von Abwehrhaltungen), sondern führt auch auf der beratenden/helfenden Seite zu Verhärtungen. Finden solche Verhärtungsprozesse fortwährend statt, führt das kurzfristig zur Eskalation und bleibt langfristig in vielen Fällen nicht ohne Folgen für die Gesundheit.
Wie werden Gespräche »wirksam«, »gesund« und »deeskalierend« gleichermaßen?
Die Methode, die es mir in der Praxis ermöglicht, gesund zu bleiben und als Helferin oder Helfer wirksam zu sein, hat etwas mit Akzeptanz zu tun: Indem ich mein Gegenüber zunächst so akzeptiere, wie sie oder er ist, schaffe ich eine Beziehungsgrundlage, die es mir erlaubt, mein Gegenüber bei der »Erkundung« der eigenen Reaktion oder Persönlichkeit zu helfen. Mein Job ist es also (zunächst) nicht, sie oder ihn zu »aktivieren«, denn das kann ich nicht: »Motivation kommt manchmal von innen, aber nie von außen«, könnte man sagen. Motivation versiegt auch nicht. Wenn jemand nicht motiviert erscheint, richtet sich die Motivation auf andere Dinge als ich wahrnehmen kann – oder ich mir von der betreffenden Person vielleicht gerade wünsche. Bspw. kann sich die Motivation gerade auf Selbstschutz oder die Aufrechterhaltung eines – mittlerweile vielleicht dysfunktionalen – Selbstbildes richten, das von außen ggf. nicht wahrnehmbar ist, aber in der Realität meines Gegenübers existiert und wirksam ist.
Mein Job ist es, zunächst den Selbstwert meines Gegenübers zu sichern. Ist genug Sicherheit in unserer Beziehung entstanden, besteht die Möglichkeit, dass mein Gegenüber sich öffnet und beginnt, die eigene Situation zu betrachten. Da es jedoch eine (für alle Menschen, für solche mit geringem Selbstwert aber umso mehr!) unangenehme Situation ist, sich mit seiner eigenen Situation wirklich offen zu befassen, ist das Sicherheitsgefühl in Bezug auf mein Gegenüber um so wichtiger. Ist das jemand, mit dem ich meine Angelegenheiten wirklich offen besprechen kann? Oder ist es besser, mich zu schützen? Gelingt die wertschätzende Bindung, kann es zu Selbstexploration kommen, die ich mit Fragen, Rückformulierungen/Spiegelungen und Zusammenfassungen begleite (die drei wichtigsten Gesprächstechniken in der Beratung bzw. im Coaching).
Ich bin also als Berater/in mit meiner Aufmerksamkeit, mit meiner Empathie und dem mir in dieser Situation möglichen Maß an menschlicher Wärme und Wertschätzung dabei (die nach Carl Rogers wichtigsten Wirkfaktoren in der Beratung) und bleibe trotzdem seltsam »außen vor«. Diese Verbindung aus innerer Beteiligung am Geschehen und gleichzeitiger persönlicher Unbetroffenheit ergibt sich aus dem Umstand, dass es nicht meine Ziele sind, die verfolgt werden, sondern die des Klienten bzw. der Klientin. Ich habe zwar »meine« Ziele und Kennzahlen, aber ich kann keinen Menschen von außen zu etwas motivieren oder gar zwingen, das mit seiner ganz persönlichen Lebenssituation zu tun hat. Sobald ich das tue – direkt interveniere, Ratschläge gebe, anweise, quasi-beratend in eine von mir erdachte Richtung »schubse« oder ihn mit Vergünstigungen und Sanktionen »dressiere« – manipuliere ich mein Gegenüber oder aktiviere nur seine Schutzmaßnahmen, in der Regel also Widerstand oder passives »sich-Fügen« (es gibt auch noch andere Abwehrvarianten, aber diese beiden sollen als Beispiele genügen). Ich bekomme jemanden also in eine »Maßnahme« oder dazu, Bewerbungen zu schreiben oder zu einem Vorstellungsgespräch zu gehen. Insofern gelingt es mir vielleicht sogar, meine Kennzahlen zu bedienen (und wie kreativ man da mittlerweile geworden ist, zeigt eine kürzlich bekannt gewordene Rüge des Bundesrechnungshofs an die BA). Eine tatsächliche – innere – Aktivierung hat jedoch nicht stattgefunden, und geholfen habe ich damit niemandem außer mir selbst (und auch das ist zu bezweifeln, denn es sind ja nicht »meine«, sondern von oben oder außen vorgegebene Kennzahlen).
Zusammenfassung
- Indem ich Klienten wertschätze, sorge ich für den Erhalt ihres Selbstwertes. Die Erhaltung (oder Erhöhung) des Selbstwertes ist nach aktueller Forschungslage die wichtigste Einflussgröße für die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen.
- Auf der Grundlage der Wertschätzung entwickelt sich eine Beziehung, die die »einseitige selbstwertbezogene Herabsetzung« des Geholfen-Werdens und die damit verbundene Verletzlichkeit/Unsicherheit überhaupt erst ertragbar macht.
- Wertschätzung und Akzeptanz gelten vor allem für den Umgang mit Widerständen, die als Zeichen des Selbstschutzes angesehen werden können. Der Widerstand ist »mein Bruder«, nicht ein zu besiegender Feind. Regelt die feindliche Metapher das Geschehen, kommt es zu sich selbst verstärkenden Teufelskreisen aus Druck und Abwehr, wobei die Frage, wer angefangen hat, der nach der Henne und dem Ei gleicht.
- Auf der Grundlage der helfenden/wertschätzenden/akzeptierenden Beziehung »helfe« ich meinen Klienten bei der Erkundung ihrer eigenen Situation. Ich »schubse« nicht, sondern ich frage, spiegele, fasse zusammen. In vielen Beratungsmodellen finden sich dazu Leitsätze wie: »Das Problem gehört dem Klienten.« oder: »Ratschläge sind auch Schläge.«
- Konfrontationen oder sogar Sanktionen können mitunter hilfreiche Instrumente sein, aber sie wirken nur auf der Grundlage einer positiven helfenden Beziehung. Druck bewirkt nichts, und Sanktionen sind nur dann wirksam, wenn sie verstanden werden und die Beziehung dabei aber offen und verbindlich bleibt.
- Folge ich den genannten Grundsätzen, bleibe ich als Person »unversehrt« bzw. »unbetroffen«, weil es sich bei den Zielen der Klienten/Kunden nicht um meine Ziele handelt, die ich mit meinen Anstrengungen erreichen kann, sondern das Problem und die Ziele gehören immer denen, die sie haben bzw. entwickeln. Ich kann nicht für andere Menschen denken und handeln.
- Je standardisierter/formalisierter das Setting ist, desto mehr muss ich diese Grundsätze beachten, um gesund zu bleiben und nicht selbst unter Druck zu geraten.
In einem Satz: Das Problem gehört dem Klienten, und ich bleibe außen vor (und gesund), indem ich den Klienten, seine Situation und seine Widerstände akzeptiere, diese Akzeptanz zum Ausdruck bringe und dem Klienten Fragen stelle, die ihm oder ihr dabei helfen, ihre persönliche Situation zu erkunden.
Text: Jörg Heidig, Bild: Juliane Wedlich
PS: Dieser Text fasst wichtige Aspekte unseres Buches »Gesprächsführung im Jobcenter« zusammen, das 2015 im Verlag EHP erschienen ist. Der Text ist Grundlage von Praxisseminaren zu Themen wie Gesprächsführung oder Deeskalation für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jobcentern. Wir sind seit mehr als zehn Jahren regelmäßig als Supervisoren und Trainer in Jobcentern tätig, unter anderem in Bautzen, Berlin, Dresden, Hamburg, Leipzig, München und Senftenberg.