Was die Veränderung von Unternehmen für die beteiligten Personen bedeutet

Im Lau­fe ihrer Ent­wick­lung – wäh­rend der Kind­heit und des Her­an­wach­sens und wäh­rend der ers­ten beruf­li­chen Lern­pro­zes­se – sind Men­schen mit einer Viel­zahl von Pro­ble­men kon­fron­tiert, die sie lösen müs­sen. Aus den ers­ten Ver­su­chen der Pro­blem­lö­sung bil­den sich lang­sam Mus­ter her­aus, wie ein Mensch an die ihm gestell­ten Auf­ga­ben her­an­geht. Die auf Dau­er erfolg­rei­chen Mus­ter – zu denen auch Abwehr­me­cha­nis­men gehö­ren – fes­ti­gen sich mit der Zeit und geben der betref­fen­den Per­son ein Gefühl von Sicher­heit in Bezug auf kom­men­de Her­aus­for­de­run­gen. Es liegt in der Natur des Men­schen, nicht an jede neue beruf­li­che Situa­ti­on oder jede neue Bezie­hung – sei es Freund­schaft oder Lie­be – auch neu her­an­zu­ge­hen. Viel­mehr greift man auf das bereits erlern­te Reper­toire zurück, wobei sich vie­le Mus­ter soweit fes­ti­gen, dass sie nicht mehr in Fra­ge gestellt wer­den. Aus erfolg­rei­chen Hand­lungs­wei­sen wer­den habi­tu­ier­te – und damit weni­ger bewuss­te – Hand­lungs­stra­te­gien. Kommt es nun zu einer Situa­ti­on des Wan­dels und damit zu neu­en Her­aus­for­de­run­gen, so wer­den Men­schen zunächst auf ihre geläu­fi­gen Hand­lungs­wei­sen zurück­grei­fen und die­je­ni­gen Aspek­te der Her­aus­for­de­rung, die tat­säch­lich neu sind, aus­blen­den bzw. ver­mei­den. Der Reiz sol­chen Ver­mei­dungs­ver­hal­tens liegt in der Redu­zie­rung von Angst, die durch neue Situa­tio­nen zwangs­läu­fig aus­ge­löst wird. Wider­stän­de bei Ver­än­de­run­gen haben also eine Schutz­funk­ti­on – indem man die ver­meint­li­chen Risi­ken der Ver­än­de­rung aus­blen­det, lebt man angstfreier.

Nun sträu­ben sich nicht alle Men­schen dau­er­haft vor allen Ver­än­de­run­gen. Gera­de im Hin­blick auf die Ver­än­de­rung von Unter­neh­mens­struk­tu­ren und ‑abläu­fen ist es daher hilf­reich zu ana­ly­sie­ren, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen es tat­säch­lich zu indi­vi­du­el­len Ver­än­de­run­gen kom­men kann, und wel­che Maß­nah­men dazu bei­tra­gen, Wider­stän­de in Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen zu verringern.

Damit Ver­än­de­run­gen über­haupt in den Bereich des Wahr­schein­li­chen kom­men, muss die betref­fen­de Per­son zunächst ein­mal ein aus­rei­chen­des Maß an Unzu­frie­den­heit ver­spü­ren. Unter­su­chun­gen bele­gen, dass durch Stress her­vor­ge­ru­fe­ne nega­ti­ve Affek­te einer der häu­figs­ten Anläs­se sind, tat­säch­lich etwas zu ändern. Fort­ge­setzt nega­ti­ve Emo­tio­nen füh­ren zu einer Klä­rung bzw. Neu­be­wer­tung der Situa­ti­on, womit über­haupt erst ein­mal das Bewusst­sein ent­steht, dass sich etwas ändern soll­te. Damit dies dann auch tat­säch­lich geschieht, bedarf es aller­dings zumeist noch eines aus­lö­sen­den Ereig­nis­ses. Sol­che Ereig­nis­se blei­ben im Moment ihres Gesche­hens manch­mal unbe­ach­tet und wer­den erst in der Rück­schau zu dem Moment, ab dem alles anders wur­de – im Sin­ne des sprich­wört­li­chen Trop­fens, der das Fass zum Über­lau­fen brach­te, weil die Unzu­frie­den­heit genau dann ein Maß erreicht hat­te, das tat­säch­li­che Ver­än­de­rungs­be­reit­schaft bedeu­te­te. Eine zwei­te Vari­an­te aus­lö­sen­der Ereig­nis­se sind sehr per­sön­li­che – bspw. bedroh­li­che – Erleb­nis­se, etwa ein Unfall oder der Ver­lust eines nahe­ste­hen­den Men­schen. Die drit­te not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung ist eine öffent­li­che Erklä­rung der Ver­än­de­rungs­ab­sicht. Sol­che Wil­lens­be­kun­dun­gen beein­flus­sen sowohl die ver­än­de­rungs­wil­li­ge Per­son selbst als auch die Umge­bung. Soll­te es tat­säch­lich soweit kom­men, durch­lau­fen per­sön­li­che Ver­än­de­run­gen eine Rei­he von Pha­sen, die einem Trau­er­pro­zess ähneln: In der ers­ten Pha­se des Schocks ist noch nicht bewusst, dass es über­haupt ein Pro­blem gibt. Es herr­schen zunächst vage, unbe­stimm­te Gefüh­le der Unzu­frie­den­heit vor, die solan­ge ver­drängt wer­den, bis sie zu stark wer­den. Die spä­te Schock­pha­se kann von spon­ta­nen Gefühls­aus­brü­chen und Panik gekenn­zeich­net sein, die dann den Über­gang in die zwei­te Pha­se mar­kie­ren, die von Ungläu­big­keit und der Suche nach dem Ver­gan­ge­nen, Ver­lo­re­nen geprägt ist. Auch jetzt wird das Pro­blem selbst noch ver­leug­net, was von extre­men Gefühls­zu­stän­den beglei­tet wird. Gefüh­len der Kon­fu­si­on und Des­ori­en­tie­rung fol­gen Trau­rig­keit oder sogar Wut. Erst in der drit­ten Pha­se wer­den lang­sam neue Mög­lich­kei­ten erkun­det und alte Hand­lungs­mus­ter in Fra­ge gestellt und abge­legt. Die­ser Pro­zess der Selbst­prü­fung und der Neu­be­wer­tung der Situa­ti­on kann sehr schmerz­haft sein. Zuletzt kommt es in einer vier­ten Pha­se zur Her­aus­bil­dung neu­er Denk- und Hand­lungs­mus­ter und damit zur Bil­dung einer neu­en Iden­ti­tät, die es erlaubt, auf die ver­än­der­te Wirk­lich­keit aktiv, offen und neu­gie­rig zuzugehen.

Lite­ra­tur: Kets de Vries, Man­fred F. R. & Balazs, Katha­ri­na (2004): Die Psy­cho­dy­na­mik des Orga­ni­sa­ti­ons­wan­dels. In: Mathi­as Loh­mer (Hg.): Psy­cho­dy­na­mi­sche Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung. Kon­flik­te und Poten­tia­le in Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen. Zwei­te, ver­bes­ser­te Auf­la­ge. Stutt­gart: Klett-Cot­ta. S. 161–197.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt als Dozent tätig und hatte viele Jahre Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Hochschulen, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.

Ein Kommentar

  1. Sehr inter­es­san­ter Arti­kel. Hof­fe Sie ver­öf­fent­li­chen in regel­mä­ßi­gen Abstän­den sol­che Arti­kel dann haben Sie eine Stamm­le­se­rin gewonnen.Vielen Dank für die tol­len Informationen.

    Gruß San­dra

Kommentare sind geschlossen.