Wie funktioniert der „interdisziplinäre Erstkontakt“?

Es han­delt sich hier auf den ers­ten Blick um eine sehr spe­zi­el­le Fra­ge — gestellt in mei­ner Orga­ni­sa­ti­ons­psy­cho­lo­gie-Vor­le­sung im Mas­ter­stu­di­en­gang Kom­mu­ni­ka­ti­ons­psy­cho­lo­gie an der Dres­den Inter­na­tio­nal Uni­ver­si­ty, die ich heu­er nach 39(!) Semes­tern, wäh­rend der ich an der DIU Lehr­auf­trä­ge hat­te, zum letz­ten Mal halte.

Als ich die Zahl 39 rea­li­sier­te, kam ich zu dem Schluss, dass man manch­mal Din­ge been­den soll­te, auch wenn sie einem viel Spaß machen. Nach dem Mot­to: Man soll­te gehen, wenn es am schöns­ten ist. 😉

Die in der Über­schrift gestell­te Fra­ge bezieht sich auf die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stö­run­gen, die auf­tre­ten kön­nen, wenn sich Ange­hö­ri­ge unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen begeg­nen. Ursa­chen kön­nen bspw. sein:

  • Unter­schied­li­che „Berufs­spra­chen“ und dar­aus resul­tie­ren­de Missverständnisse
  • Ver­schie­de­ne „pro­fes­sio­nel­le Grund­an­nah­men“, die inner­halb der jewei­li­gen Pro­fes­sio­nen ggf. selbst­ver­ständ­lich sind, aber eben zu einer unter­schied­li­chen Bewer­tung der Lage füh­ren oder unter­schied­li­che Prio­ri­tä­ten­set­zun­gen o.ä. zur Fol­ge haben
  • Gegen­sei­ti­ge Gering­schät­zung, weil man ggf. die ande­re Dis­zi­plin für „weni­ger kom­pe­tent“ o.ä. hält

Die nahe­lie­gen­de orga­ni­sa­ti­ons­psy­cho­lo­gi­sche „Deu­tungs­fo­lie“ für das Ver­ständ­nis des Pro­blems ist die Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur. Bereits mit einer Aus­bil­dung oder einem Stu­di­um neh­men Men­schen einen gewis­sen „Bestand“ an Wis­sen, Pro­ze­du­ren, Sprach­ge­bräu­chen, Denk­wei­sen usw. an, die in der jewei­li­gen Pro­fes­si­on „selbst­ver­ständ­lich“ sind. Aus­bil­dung und Ein­ar­bei­tung sind, orga­ni­sa­ti­ons­psy­cho­lo­gisch oder ‑sozio­lo­gisch betrach­tet, Pro­zes­se der „aneig­nen­den Gewöh­nung“. Mit der Zeit fes­ti­gen sich die Wis­sens­be­stän­de, bestimm­te Fer­tig­kei­ten bil­den sich her­aus — und es kommt impli­zit auch zur Über­nah­me bestimm­ter Regeln und Norm­vor­stel­lun­gen und schließ­lich auch bestimm­ter „Grund­an­nah­men“ über das Wesen des Men­schen, den Umgang mit Zeit und so wei­ter. Man­che Din­ge wer­den selbst­ver­ständ­lich, ande­re Din­ge wer­den als unpas­send oder gar unmög­lich ange­se­hen. So wird man zum Bei­spiel in einer Feu­er­wehr viel eher und ver­bind­li­cher ler­nen, sehr pünkt­lich zu sein, als man das bspw. als Sozi­al­päd­ago­ge oder Psy­cho­lo­ge tut. Pünkt­lich­keit ist in bestimm­ten Berufs­grup­pen wich­ti­ger als in ande­ren Berufs­grup­pen. Dem­entspre­chend wer­den Ange­hö­ri­ge bestimm­ter Berufs­grup­pen Pünkt­lich­keit für viel selbst­ver­ständ­li­cher hal­ten als Ange­hö­ri­ge ande­rer Berufs­grup­pen. Das mag ein eher bana­les Bei­spiel sein, aber so ist es dann eben auch mit dem Men­schen­bild: In bestimm­ten Berufs­grup­pen bil­det sich zum Bei­spiel viel eher die Ansicht her­aus, dass man „funk­tio­nie­ren“ müs­se, wäh­rend allein die Vor­stel­lung, „funk­tio­nie­ren“ zu müs­sen, in ande­ren Berufs­grup­pen min­des­tens als Ein­schrän­kung der indi­vi­du­el­len Frei­heit oder gar als „auto­ri­tä­re Zumu­tung“ oder „Schlim­me­res“ ange­se­hen wird. Sol­cher­lei Unter­schie­de müs­sen nicht immer ein Dra­ma sein, fakt ist aber, dass sie sich aus­wir­ken, eben weil man bestimm­te Din­ge für selbst­ver­ständ­lich hält, einen bestimm­ten, inner­halb der Berufs­grup­pe viel­leicht „nor­ma­len“ oder min­des­tens „mög­li­chen“ Sprach­ge­brauch erlernt hat, der in ande­ren Berufs­grup­pen eben nicht selbst­ver­ständ­lich ist und die Ange­hö­ri­gen einer ande­ren Berufs­grup­pe bis­wei­len irri­tie­ren kann.

Legi­on sind zum Bei­spiel Miss­ver­ständ­nis­se zwi­schen Inge­nieu­ren auf der einen und Betriebs­wir­ten oder Mana­gern auf der ande­ren Sei­te. So könn­te man sich bei­spiels­wei­se fol­gen­den Dia­log vor­stel­len:
Inge­nieur: „Aus tech­ni­scher Sicht kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass es noch ein Rest­ri­si­ko gibt. Es scheint daher ange­ra­ten, den Markt­gang zu ver­zö­gern, bis alles rest­los geklärt ist und wir uns sicher sein kön­nen.“
Mana­ger: „Jetzt set­zen Sie mal Ihren Inge­nieurs­hut ab und set­zen Sie sich mal den Hut eines Ent­schei­ders auf. Wie vie­le Run­den wol­len wir denn noch dre­hen? Eine Ver­schie­bung kommt gar nicht infra­ge. Sie haben damals dem Launch-Datum zuge­stimmt, und jetzt hal­ten Sie sich bit­te dar­an. Sie haben doch Ihre Test­rou­ti­nen durch­ge­führt.“
Inge­nieur: „Ja, aber wir kön­nen nicht aus­schlie­ßen, dass…“
Mana­ger (unter­bricht sein Gegen­über): „Jetzt las­sen Sie das mal schön sein und über­le­gen sich das noch­mal ganz genau. Wenn Sie sich sicher sind, dass da was dran ist, dann bit­te. Aber wenn Sie hier nur den Über­kor­rek­ten spie­len, weil sie etwas nicht aus­schlie­ßen kön­nen, dann über­le­gen Sie sich das gut, ob Sie den Pro­dukt­launch anhal­ten, dann ste­hen Sie dafür gerade.“

Das ist nur ein fik­ti­ves Bei­spiel. Sol­che Miss­ver­ständ­nis­se kom­men zwi­schen Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen vor, sie kom­men aber auch zwi­schen unter­schied­li­chen Spar­ten inner­halb einer Dis­zi­plin vor — manch­mal sogar ver­bun­den mit einer gewis­sen „habi­tu­el­len Gering­schät­zung“ — das heißt einer der Dis­zi­plin qua­si inne­woh­nen­den und damit irgend­wie unbe­wusst oder „halb bewusst“ über­nom­me­nen Sicht­wei­se auf ande­re Teil­dis­zi­pli­nen. Ken­nen Sie so etwas? Wenn sich die „einen“ Juris­ten oder Offi­zie­re oder Ärz­te oder Pro­fes­so­ren oder Inge­nieu­re oder Tech­ni­ker oder Orches­ter­mu­si­ker oder Ret­tungs­dienst­mit­ar­bei­ter oder, oder für „anders“ — nur ein Schelm, der annimmt, dass mit „anders“ eigent­lich „bes­ser“ gemeint ist 😉 — hal­ten als „ande­re“ Ange­hö­ri­ge ihrer Zunft?

Die letz­ten Betrach­tun­gen könn­ten uns zu der Fra­ge füh­ren, ob eine Betrach­tung und Ana­ly­se anhand von Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur-Model­len wirk­lich aus­reicht, oder ob es sich beim „sozia­len Ver­gleich“ nicht viel­mehr auch um eine anthro­po­lo­gi­sche Kon­stan­te han­delt, wenn der sozia­le Ver­gleich eben auch inner­halb von Dis­zi­pli­nen, zwi­schen Ein­hei­ten glei­cher Art (die eine Feu­er­wehr ist „bes­ser“ als eine ande­re usw.) und sogar inner­halb von Teams mit ins­ge­samt ähn­lich qua­li­fi­zier­ten und erfah­re­nen Fach­kräf­ten vorkommt.

Sol­ches geschieht öfter, als man viel­leicht auf den ers­ten Blick den­ken mag: Man führt zwar schein­bar sach­li­che, qua­si-dis­zi­pli­nä­re Grün­de oder Sicht­wei­sen an, aber es geht gar nicht so sehr um die sach­lich dar­stell­ba­ren Unter­schie­de, son­dern dar­um, den eige­nen Sta­tus-quo abzu­gren­zen oder auf­zu­wer­ten, indem man sich mit ande­ren vergleicht.

Die Kom­mu­ni­ka­ti­on in Orga­ni­sa­tio­nen ist oft genug eben nicht offen und trans­pa­rent, son­dern vor allem „selbst­schutz­ge­trie­ben“. Das liegt dar­an, dass wir uns in der Regel vor der Ein­sicht schüt­zen wol­len, even­tu­ell falsch zu lie­gen. Der „fun­da­men­ta­le Attri­bu­ti­ons­feh­ler“ mag hier als ein ers­ter, exem­pla­ri­scher Beleg aus­rei­chen — wenn etwas gelun­gen ist, schrei­be ich mir das in der Regel selbst zu; wenn etwas miss­lun­gen ist, sind in der Regel ande­re Per­so­nen oder Umstän­de schuld — zumin­dest aus mei­ner eige­nen Sicht bzw. aus der Sicht der jeweils handelnden/sprechenden Per­son. Ver­stän­di­gung ist also unwahr­schein­li­cher als gegen­sei­ti­ge Schuld­zu­wei­sung — es sei denn, ich hät­te gelernt aus­zu­hal­ten, dass ich auch falsch lie­gen könn­te, was aller­dings ein anstren­gen­der Lern­pro­zess ist, der von mir ver­langt, Unsi­cher­heit ertra­gen zu kön­nen, und Unsi­cher­heit zu ertra­gen, ist sehr unan­ge­nehm. Offen­heit ist des­halb unwahr­schein­li­cher als strategische/verdeckte Kom­mu­ni­ka­ti­on — auch und beson­ders unter Füh­rungs­kräf­ten. Wir haben das an ande­rer Stel­le auf die­sem Blog aus­führ­li­cher dar­ge­stellt, wes­halb wir die Erör­te­rung die­ses The­mas bei den eben gemach­ten kur­zen Bemer­kun­gen belassen.

Nach­dem wir Model­le zum Ver­ständ­nis des Pro­blems dis­ku­tiert haben, soll nun dar­ge­stellt wer­den, was uns auf eine mög­li­che Beant­wor­tung der oben gestell­ten Fra­ge hin­wei­sen kann.

Wir leben in einer Zeit, in der berufliche/organisationsbezogene The­men kom­ple­xer wer­den. Ein Bei­spiel: Die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen für das Han­deln in Unter­neh­men und Behör­den wer­den kom­ple­xer, weil sich die „Rege­lungs­dich­te“ immer wei­ter erhöht. Wenn Sie bspw. Land­wirt sind, ver­geht nur kur­ze Zeit, bis die EU oder der Bund eine neue, eigent­lich: wei­te­re, Rege­lung erlässt. Wir sagen „neue“, aber eigent­lich sind es „wei­te­re“ Rege­lun­gen, denn es ist sel­ten, dass eine neue­re Rege­lung eine älte­re ersetzt, geschwei­ge denn irgend­ei­nen Zusam­men­hang oder irgend­ei­ne Pro­ze­dur ver­ein­facht. Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung ist viel unwahr­schein­li­cher als wei­te­re Büro­kra­ti­sie­rung — mit der Fol­ge, dass aktu­ell in Deutsch­land geschätzt knapp ein Vier­tel der geleis­te­ten Arbeit für Ver­wal­tung und Büro­kra­tie drauf­geht, und das nicht etwa allein in der Land­wirt­schaft, son­dern im Durchschnitt.

Zur wach­sen­den Kom­ple­xi­tät kommt die Beschleu­ni­gung: Unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie ermög­licht schnel­le Anpas­sun­gen und Ände­run­gen — was zu einer all­ge­mei­nen „Beschleu­ni­gungs­er­war­tung“ bei­trägt — ganz zu schwei­gen von der Geschwin­dig­keits­stei­ge­rung durch kür­ze­re Pro­dukt­zy­klen und infol­ge der Glo­ba­li­sie­rung immer schnel­le­re Märkte.

Wie soll man da noch mit­kom­men, wenn sowohl die Kom­ple­xi­tät als auch die Geschwin­dig­keits­er­war­tung stei­gen? Die Ant­wort der Neun­zi­ger Jah­re: Lebens­lan­ges Ler­nen. Die heu­ti­ge Ant­wort: Ren­ne gefäl­ligst mit und ver­su­che, weit genug vorn zu blei­ben. Vie­le von uns ent­schei­den sich, bei die­sem Ren­nen mit­zu­ma­chen. Haben wir eine ande­re Wahl?

Wenn das bis­her Gesag­te nicht falsch ist, sei hier in Anleh­nung an Edgar Schein (sie­he im ver­link­ten PDF-Doku­ment ab S. 18 den Arti­kel von M. Pich­ler über Edgar Scheins Buch Hum­ble Inquiry) Mar­tin Pich­lers „Dekli­na­ti­on“ des­sen dar­ge­stellt, was das prak­tisch bedeutet:

  • Wenn das Gesche­hen in Orga­ni­sa­tio­nen kom­ple­xer und schnel­ler wird, steigt die Dich­te der Koor­di­na­ti­ons- und Schnitt­stel­len­er­for­der­nis­se, womit wir abhän­gi­ger von gelin­gen­der Kom­mu­ni­ka­ti­on werden.
  • Basis gelin­gen­der Kom­mu­ni­ka­ti­on sind trag­fä­hi­ge (Arbeits-)Beziehungen.
  • Die Grund­la­ge von Bezie­hun­gen ist Ver­trau­en, und wenn schon nicht VER­trau­en, dann im professionellen/beruflichen Kon­text min­des­tens ein gewis­ses ZUtrau­en, die Kom­pe­tenz des Gegen­übers betreffend.
  • Ver­trau­en ist abhän­gig von der Fra­ge, ob sich Men­schen öff­nen. Ob sich Men­schen öff­nen, ist eine Fra­ge des (ehr­li­chen) Inter­es­ses, das ihnen ent­ge­gen­ge­bracht wird.
  • Spitz for­mu­liert: Gegen ech­tes Inter­es­se kann man sich nur schwer weh­ren. Inter­es­se ist dabei eher eine Fra­ge der Hal­tung als der Tech­nik. Auf der tech­ni­schen Ebe­ne signa­li­sie­ren Fra­gen ent­spre­chen­des Inter­es­se; auf der Hal­tungs­ebe­ne geht es dar­um, ob ich die Fra­gen stel­le, weil ich mich für mein Gegen­über inter­es­sie­re oder weil ich „nur“ etwas errei­chen will. Im Grun­de geht es dar­um, dass ich Fra­gen stel­le, deren Ant­wort ich noch nicht kenne.

In die­sem Sin­ne kann es im Fal­le des Ver­suchs einer „Ver­mitt­lung“ zwi­schen skep­tisch oder gar feind­lich ein­ge­stell­ten Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen hilf­reich sein, wenn die ver­mit­teln­de Instanz „kei­ne Ahnung“ hat — oder wenn man die Inter­ven­ti­on zu zweit macht — eine Per­son ist fach­lich kom­pe­tent und die ande­re Per­son mode­riert. Damit ist eine Per­son inhalt­lich-fach­lich respek­ta­bel oder min­des­tens akzep­ta­bel, und die ande­re Per­son küm­mert sich um den Pro­zess, ohne unter dem Druck zu ste­hen, sowohl mode­rie­ren als auch fach­lich kom­pe­tent sein zu sollen.

Frei­lich bedarf es der Erfah­rung in der Kunst des Fra­gen­stel­lens. Das ist viel­leicht der kom­pli­zier­tes­te Teil der Tech­nik, die eine hilf­rei­che Inter­ven­ti­on erfor­dert. Hier brin­gen die fol­gen­den Regeln Licht ins Dunkel:

  1. Eine gute Auf­trags­klä­rung ist, „sys­te­misch“ gespro­chen, bereits die „hal­be Inter­ven­ti­on“: Je kla­rer ist, was bewirkt wer­den soll, des­to kon­kre­ter die Fragerichtung.
  2. Um Ver­trau­en auf­zu­bau­en, hel­fen vor allem Inter­es­sens­fra­gen. Inter­es­sens­fra­gen fan­gen mit W an: Was, wer, wann, wozu, wie…?
  3. Die ein­zi­ge W‑Frage, mit der spar­sam umzu­ge­hen ist, lau­tet: War­um…? (Wie­so…? Wes­halb…?) Die Fra­ge nach dem Grund bewirkt all­zu oft eine gewis­se Recht­fer­ti­gung und wird, zu früh gestellt und des­halb noch ohne hin­rei­chen­de Ver­trau­ens­grund­la­ge, als kon­fron­ta­ti­ve Hin­ter­fra­gung wahr­ge­nom­men. Man kann sol­che Fra­gen stel­len — aber erst, wenn ein Min­dest­maß an Ver­trau­en ent­stan­den ist.
  4. Mit „direkt kon­fron­ta­ti­ven“ Fra­gen ist spar­sam umzu­ge­hen — Kon­fron­ta­tio­nen sind im Prin­zip „Tests eige­ner Ver­mu­tun­gen“. Der Pro­to­typ: „Sie haben das doch bestimmt des­halb und des­halb getan, oder?“ Zu früh gestellt, bewir­ken sol­che Fra­gen einen gewis­sen Rück­zug oder den Abbruch der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Kon­fron­ta­ti­ve Fra­gen sind momen­tan beson­ders unter Jour­na­lis­ten popu­lär, bewir­ken aber eben kei­ne „ver­tie­fen­de Erör­te­rung“ eines The­mas, son­dern häu­fig nur ent­we­der Recht­fer­ti­gung oder Gegen­an­griff oder irgend­ei­ne ande­re Form der Positionierung.

Aus Posi­tio­nie­run­gen kann man vor allem Schlag­zei­len machen; für Lösun­gen hin­ge­gen braucht man Ein­sicht, Selbst­re­fle­xi­on, Zurück­tre­ten von all­zu dras­ti­schen For­de­run­gen usw. 

Und wie erreicht man das? Wahr­schein­lich eher durch Fra­gen wie: „Was von dem, was Ihr Gegen­über gesagt hat, kön­nen Sie nach­voll­zie­hen?“ anstatt durch Fra­gen wie: „Sie haben gera­de gehört, wie Ihr Gegen­über die Sache sieht. Aus Ihrer Sicht: Wie bekom­men wir jetzt die Kuh vom Eis?“ 

Lösungs­ori­en­tier­te Fra­gen zu stel­len, bedeu­tet, von der Zukunft her zu fra­gen, anstatt durch rhe­to­ri­sche Zuspit­zun­gen die Situa­ti­on noch anzuheizen.

Wie soll man nun aber fest­stel­len, was in dem kom­ple­xen Gesche­hen einer Dis­kus­si­on, zumal einer zwi­schen „kon­flikt­haf­ten“ oder gar „strit­ti­gen“ Sei­ten, „rich­tig“ ist? Also: Wel­che Metho­de wür­de sich lohnen?

Bevor man sich die Fra­ge stellt, wel­che Metho­de geeig­net ist, soll­te man sich die Fra­ge stel­len, ob es sich über­haupt lohnt zu inter­ve­nie­ren. Zu die­ser Fra­ge haben wir an ande­rer Stel­le auf die­sem Blog eine Rei­he kla­rer Ori­en­tie­run­gen dar­ge­stellt, die ver­gleichs­wei­se ein­fach anwend­bar sein sollten.

Unab­hän­gig davon, was man macht bzw. wel­che Fra­gen man stellt, soll­te das Wir­kungs­ziel klar sein: Man will hilf­reich sein beim Abbau von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men, man will die Bereit­schaft zur Zusam­men­ar­beit för­dern, man will den Zusam­men­halt stär­ken; all­ge­mei­ner aus­ge­drückt: In Zei­ten, da die Indi­vi­dua­li­sie­rung zunimmt und das auch bedeu­tet, dass das frü­her selbst­ver­ständ­lich Gemein­sa­me eben immer mehr hin­ter­fragt wird, ist es umso not­wen­di­ger, auf das Gemein­sa­me zu schau­en und das Gemein­sa­me zu stärken.

Natür­lich kann man die Betei­lig­ten nach einem Ver­mitt­lungs­ver­such fra­gen, ob sie nun eine Lösung sehen. Aber mit die­ser Fra­ge macht man sich qua­si von den Sicht­wei­sen der Betrof­fe­nen abhän­gig — und die­se Ein­las­sun­gen kön­nen aus ver­schie­de­nen Grün­den sehr unter­schied­lich oder gar kri­tisch sein, denn die sind immer abhän­gig oder min­des­tens gefärbt von den jeweils eige­nen Inter­es­sen oder Zie­len usw.

Es gibt ein objek­ti­ves Kri­te­ri­um, näm­lich die Fra­ge, ob das, was geschieht, auf den Zweck der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­on ein­zahlt. Jede Orga­ni­sa­ti­on hat einen Zweck: Die Gemein­de­ver­wal­tung soll das Dasein der Gemein­de kon­ti­nu­ier­lich und geset­zes­kon­form sicher­stel­len. Die Feu­er­wehr soll im Bedarfs­fall zum Ein­satz kom­men und ret­ten, löschen, ber­gen und schüt­zen. Ein Ver­ein soll sei­nem Zweck ent­spre­chen usw. Aus dem Daseins­grund einer Orga­ni­sa­ti­on ergibt sich ein Maß­stab, anhand des­sen man bestim­men kann, ob eine kon­kre­te Hand­lung, die inner­halb einer Orga­ni­sa­ti­on statt­fin­det, auf den Zweck der Orga­ni­sa­ti­on ein­zahlt oder nicht, bzw. bis zu wel­chem Grad sie das tut und ab wel­chem Grad sie das ggf. nicht mehr tut.

Was es in dem hier bespro­che­nen inter­dis­zi­pli­nä­ren Kon­text zu errei­chen gilt, ergibt sich also nicht etwa aus der Sum­me der indi­vi­du­el­len Sicht­wei­sen und Inter­es­sen der Betei­lig­ten, son­dern aus dem Zweck der Zusam­men­kunft. Die­sen Zweck der Zusam­men­kunft kann man vor­her klä­ren: Was soll bewirkt wer­den? Was ist der Ziel­zu­stand? Wel­che Pro­ble­me sind zu lösen, um in den „Umstand des gemein­sa­men Funk­tio­nie­rens“ zu kommen?

Men­schen öff­nen sich nur, wenn man ihnen Inter­es­se ent­ge­gen­bringt. Es geht also zunächst dar­um, Ver­trau­en auf­zu­bau­en, indem man Inter­es­se zeigt und die rich­ti­gen (offe­nen, inter­es­sens­ge­lei­te­ten, vor­ur­teils­ar­men) Fra­gen stellt. Die Hal­tung ist dabei wich­ti­ger als die Tech­nik. Es kommt dar­auf an, dass ich neu­tral bin und offe­nes Inter­es­se zei­ge, das tat­säch­lich ehr­lich und ernst gemeint ist.

So wich­tig der Ver­trau­ens­auf­bau aber auch ist — es han­delt sich dabei nur um eine ers­te Pha­se. Eigent­lich soll ja etwas bewirkt wer­den — die Bemü­hun­gen haben ja ein Ziel. Bei­spiels­wei­se soll zwi­schen zwei noch nicht hin­rei­chend koope­rie­ren­den Par­tei­en ver­mit­telt wer­den. Einer­seits brau­che ich also Inter­es­se, um über­haupt die Vor­aus­set­zung zu schaf­fen, hilf­reich sein zu kön­nen. Ich muss als Hel­fer und als Mensch über­haupt erst ein­mal eine gewis­se Akzep­tanz und ein gewis­ses Zutrau­en errei­chen. Ande­rer­seits soll aber eben auch etwas bewirkt wer­den, dass es bis­her noch nicht oder noch nicht in aus­rei­chen­dem Maße gibt, näm­lich inter­dis­zi­pli­nä­re Zusammenarbeit.

So ange­nehm ich einen ers­ten Kon­takt über­haupt gestal­ten kann — und so ehr­lich und offen mein Inter­es­se sein mag — irgend­wann kommt es doch ein­mal zu der Gret­chen­fra­ge des eigent­li­chen Ansin­nens der Gesprä­che, des Ter­mins usw. Irgend­wann kommt es zu dem, was man Inter­ven­ti­on nennt. Eine Inter­ven­ti­on bedeu­tet, ein lau­fen­des Bezie­hungs­netz­werk zu betre­ten, um hilf­reich zu sein. Auf die oben dar­ge­stell­te Aus­gangs­fra­ge ange­wen­det bedeu­tet es, dass man die Bedin­gun­gen eines inter­dis­zi­pli­nä­ren Erst­kon­takts so setzt, dass etwas Kon­struk­ti­ves dabei her­aus­kommt, also die Ange­hö­ri­gen unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen viel­leicht mit­ein­an­der arbei­ten wol­len, obwohl es „Grä­ben“, „Miss­ver­ständ­nis­se“ usw. gibt.

Wie macht man das?

Es gilt zunächst, die Situa­ti­on des „Ankom­mens“ für die Ange­hö­ri­gen unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen so ange­nehm wie mög­lich zu machen. Hier­zu ist es hilf­reich zu wis­sen, wel­che Umstän­de, Fak­to­ren und Hand­lun­gen dazu geeig­net erschei­nen, Men­schen zu verbinden.

Anthro­po­lo­gisch gespro­chen müss­ten wir unse­re Auf­merk­sam­keit zunächst auf das rich­ten, was Men­schen ver­bin­det, was Men­schen leicht fällt, mit­ein­an­der zu tei­len, oder was mit­ein­an­der zu tei­len unter Men­schen mehr oder min­der selbst­ver­ständ­lich ist: Wir kön­nen uns mit­ein­an­der freu­en. Wir kön­nen mit­ein­an­der trau­rig sein. Wir kön­nen mit­ein­an­der essen. Wir kön­nen mit­ein­an­der fei­ern. Und viel­leicht noch eini­ges mehr.

Wenn ich also ein Mee­ting anbe­rau­me oder gestal­ten soll, bei dem Ange­hö­ri­ge unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen anwe­send sein wer­den, kann ich bspw.
das Mee­ting für 10:00 Uhr anbe­rau­men, aber erst 10:30 Uhr wirk­lich begin­nen — und eine „Ankom­men­si­tua­ti­on“ schaf­fen, in der sich die Ankom­men­den wohl füh­len kön­nen. Es gibt Kaf­fee und Tee, viel­leicht wei­te­re Geträn­ke oder Häpp­chen, es ste­hen da run­de Steh­ti­sche; man geht erst spä­ter in den Arbeits­raum, in dem ein gro­ßes U aus Tischen mit Stüh­len ange­ord­net ist. Kurz­um: Ich schaf­fe einen Raum, der sehr frei und ange­nehm ist — und gleich­zei­tig so gestal­tet ist, dass die Anwe­sen­den ein­an­der Inter­es­se ent­ge­gen­brin­gen kön­nen, zunächst auf der infor­mel­len Ebene.

Essen ist die wahr­schein­lich wirk­sams­te hier­ar­chie­ni­vel­lie­ren­de oder Dis­zi­plin­gren­zen über­brü­cken­de Maß­nah­me der Welt: Beim Essen sind alle Men­schen gleich. Wenn sie dann noch auf einer Ebe­ne ste­hen oder sit­zen, kommt wahr­schein­lich auch ein Gespräch in Gang — zumin­dest viel wahr­schein­li­cher, als es das wäre, wenn wir sofort in jenem U aus Tischen und Stüh­len mit der Ver­an­stal­tung begin­nen wür­den. Gele­gen­heit für infor­mel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on bedeu­tet schlicht: Zeit und Raum für das, was man „Small­talk“ nennt — ohne aber jenen „Zwang zum Small­talk“ zu bewir­ken, vor dem vie­le zurück­schre­cken. Wer nicht reden will, soll nicht reden. Aber eine Situa­ti­on, in der ich ruhig ankom­men und mir die Sache erst ein­mal anschau­en kann, und in der ich viel­leicht einen Kaf­fee trin­ke und mich mit einem freund­li­chen Wort oder einer freund­li­chen Fra­ge an einen Tisch stel­le, ist alle­mal ange­neh­mer, als wenn ich sofort am Tisch sit­ze und die Ver­an­stal­tung mit „Ver­net­zungs­in­ter­es­se“ beginnt.

Tat­säch­li­ches Ken­nen­ler­nen funk­tio­niert weni­ger durch eine „irgend­wie offi­zi­el­le“ Vor­stel­lungs­run­de, son­dern durch tat­säch­li­ches Erzäh­len. Kann man die Betei­lig­ten also bspw. auf einen Spa­zier­gang schi­cken — und zwar zu zweit mit dem Auf­trag, sich gegen­sei­tig Inter­es­sens­fra­gen zu stel­len. Natür­lich kann bei bspw. 12 Anwe­sen­den nicht jede mit jeder ande­ren Per­son spa­zie­ren gehen, aber man lässt bspw. drei sol­cher Run­den dre­hen auf der Basis drei­er frei­er Wah­len, mit wem man sich gern aus­tau­schen möch­te… Jeweils 15 Minu­ten… Das kos­tet Zeit, sorgt aber eben für gegen­sei­ti­ges Inter­es­se und indi­rekt für eine wesent­lich gerin­ge­re Eska­la­ti­ons­wahr­schein­lich­keit in allen Schrit­ten, die danach kom­men — eben weil man sich gegen­sei­tig Inter­es­se gezeigt und ggf. ein Min­dest­maß an Ver­trau­en oder wenigs­tens Zutrau­en in die Kom­pe­tenz des Gegen­übers auf­ge­baut hat.

Die klas­si­sche deut­sche „Ver­net­zungs­ver­an­stal­tung“ beginnt mit einer Begrü­ßung, und nach der Begrü­ßung folgt ein Vor­trag. Nach einem Vor­trag ist es in der Regel nicht ganz ein­fach, zwi­schen den Betei­lig­ten Inter­ak­ti­on zu schaf­fen. Wenn es über­haupt Inter­ak­ti­on gibt, rich­tet sich die­se in der Regel auf die Per­son, die den Vor­trag gehal­ten hat. Die Hoff­nung, dass eine Dis­kus­si­on ent­steht, ver­pufft oft. Ganz anders ver­läuft die Sache, wenn man schlicht die Rei­hen­fol­ge umdreht, also den Aus­tausch vor den Input stellt. Hier muss man natür­lich ein paar hilf­rei­che Fra­gen im Kopf haben. Bei­spiel: „Was war in Ihrer Tätig­keit in den letz­ten Wochen und Mona­ten inter­es­sant? Was hat Sie ggf. über­rascht? Wo ist Ihnen viel­leicht etwas zum ers­ten Mal gelun­gen? Oder wobei ist etwas schief gegan­gen, und Sie haben ggf. etwas dar­aus gelernt? Las­sen Sie uns an Ihren Erfah­run­gen teil­ha­ben. Erzäh­len Sie mal bit­te eine Geschich­te — und stel­len Sie sich dabei gleich noch ein­mal vor, sodass wir wis­sen, wer Sie sind und wel­che Auf­ga­be Sie in Ihrem Unter­neh­men haben.“

Wenn sich Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen tref­fen, haben alle Anwe­sen­den in der Regel mehr oder weni­ger einen gewis­sen Exper­ten­sta­tus. Das heißt, man kennt sich aus — und hat ggf. auch eine Mei­nung. Es kann daher sehr hilf­reich sein, die Mode­ra­ti­on von der fach­li­chen Rol­le zu tren­nen, indem jemand „nur“ für den Pro­zess des Gesprä­ches bzw. der Dis­kus­si­on ver­ant­wort­lich ist. Es kann sogar hilf­reich sein, wenn die­se Per­son vom betref­fen­den Fach­ge­biet kaum oder kei­ne Ahnung hat. Letz­te­res kann bedeu­ten, dass man die bes­se­ren (= offe­ne­ren, neu­tra­le­ren) Fra­gen stel­len kann. Natür­lich braucht eine wenig fach­kom­pe­ten­te Per­son in einem sol­che Fall eine gewis­se Erfah­rung in der Gestal­tung und Steue­rung inter­dis­zi­pli­nä­rer Dia­lo­ge. Lesen Sie im Fal­le wei­ter­füh­ren­den Inter­es­ses dazu einen Bei­trag über Mode­ra­ti­ons­tech­ni­ken auf die­sem Blog.

Die bis­her dar­ge­stell­ten Tech­ni­ken sind alle „sanft“, gestal­ten den Rah­men und den Ablauf. Das kann einen posi­ti­ven Ein­fluss haben. Es kann aber den­noch zu den oben skiz­zier­ten „Fremd­hei­ten“, also zu kon­flikt­haf­ten Dis­kus­sio­nen kom­men, die sich aus unter­schied­li­chen Sprach­ge­bräu­chen oder Grund­an­nah­men oder eben aus dem Umstand „habi­tu­ell erwor­be­ner“ gegen­sei­ti­ger Gering­schät­zung erge­ben. In die­sen Fäl­len reicht es nicht, die Umstän­de und das Set­ting mög­lichst güns­tig zu gestal­ten und ein paar geeig­ne­te Tech­ni­ken anzu­wen­den. Spä­tes­tens dann wird es Zeit, auch eine Idee zu haben, wie man inter­ve­nie­ren kann.

Eine Mög­lich­keit, aus einer eher „offe­nen“ und „zuge­wand­ten“, von tat­säch­li­chem Inter­es­se gelei­te­ten Vor­ge­hens­wei­se in eine etwas direk­te­re, weni­ger „beglei­ten­de“, son­dern mehr „steu­ern­de“ oder „inter­ve­nie­ren­de“ Vor­ge­hens­wei­se über­zu­ge­hen, liegt in der Kunst, direk­te­re oder „spit­ze­re“ Fra­gen zu stellen. 

Ange­nom­men, man hat aus einer mode­rie­ren­den Rol­le her­aus tat­säch­lich offe­ne Fra­gen gestellt, Inter­es­se gezeigt usw., und es ist zu einer gewis­sen Öff­nung der Anwe­sen­den gekom­men, und ange­nom­men, dann hat sich die Dis­kus­si­on doch an einer der erwart­ba­ren „Soll­bruch­stel­len“ fest­ge­fah­ren… Was kann man dann tun? Hier hel­fen drei „spit­ze“ Fra­gen — die so nicht am Anfang gestellt wer­den kön­nen, aber nach einer gewis­sen Öff­nung und im Fal­le einer gewis­sen Blo­cka­de durch­aus hilf­reich sein können:

  • Was geschieht, wenn wir so wei­ter­ma­chen? Was kommt dabei her­aus? Schät­zen Sie bit­te ein­mal die Kon­se­quen­zen ein. Wol­len Sie das? Wür­den Sie das in Kauf neh­men? Ent­spricht das dem, was her­aus­kom­men soll­te? Und wenn nicht: Was müss­te pas­sie­ren, damit her­aus­kom­men kann, was her­aus­kom­men soll? Und was kön­nen Sie ggf. dazu beitragen?
  • Was wür­den Sie ggf. an der Stel­le Ihres Gegen­übers tun? Also, was Sie von Ihrem Gegen­über erwar­ten, ist Ihnen klar. Aber haben Sie sich ein­mal in Ihr Gegen­über ver­setzt? Hat das Gegen­über nicht viel­leicht auch legi­ti­me Beden­ken oder Gren­zen? Und was, glau­ben Sie, wäre jetzt hilf­reich? Was soll hier erreicht wer­den? Und wie könn­ten Sie in Anbe­tracht Ihrer Kennt­nis Ihrer eige­nen Zie­le, aber auch der Zie­le Ihres Gegen­übers, auf das Ziel des­sen, was hier bewirkt wer­den soll, ein­zah­len? Gibt es viel­leicht etwas, das Sie ganz kon­kret tun kön­nen? Wenn Sie den ers­ten Schritt vom Gegen­über erwar­ten, haben Sie schon­mal drü­ber nach­ge­dacht, den not­wen­di­gen ers­ten Schritt viel­leicht selbst zu tun? Und wenn Sie sich einen ers­ten Schritt vor­stel­len könn­ten, was wür­den Sie da tun?
  • Was wol­len Sie eigent­lich? Ich mei­ne, was ist Ihr Bild von der Zukunft? Was wäre gut? Wie wür­de die Welt aus­se­hen, wenn es das Pro­blem, über das wir hier reden, nicht mehr gäbe? Und ange­nom­men, wir woll­ten das wirk­lich errei­chen — was wür­den Sie an mei­ner Stel­le tun? Und was könn­ten Sie selbst machen, um die­ses Ziel zu errei­chen? Nein, Sie sol­len nicht noch­mal sagen, was die ande­re Sei­te machen soll. Was wür­den Sie an mei­ner Stel­le tun? Und was könn­ten Sie viel­leicht selbst tun?

Am Ende geht es dar­um, von unse­ren Gewohn­hei­ten bzw. gewohnten/erworbenen Sicht­wei­sen weg­zu­kom­men: Wir sind gewohnt zu machen. Wir sind gewohnt, uns gegen­sei­tig etwas mit­zu­tei­len. Will man hilf­reich sein und etwas bewir­ken, ist es not­wen­dig, von der Selbst­ver­ständ­lich­keit des Tuns und Mit­tei­lens weg­zu­kom­men und hin­zu­kom­men zu einer Hal­tung des Inter­es­ses, die sich in offe­nen Fra­gen nie­der­schlägt. Die­ser Lern­pro­zess ist schwer, eben weil er nicht auf der Ebe­ne irgend­wel­cher leicht erfass­ba­rer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­geln statt­fin­det (was man mit ein paar modell-bewehr­ten Beleh­run­gen „abfa­ckeln“ könn­te), son­dern auf der Ebe­ne der Selbst­re­fle­xi­on, des Ertra­gens eige­ner Unsi­cher­heit und der Infra­ge­stel­lung der eige­nen Gewohn­hei­ten statt­fin­det. Indem man den Pro­zess hilf­reich beglei­tet, bewirkt man genau die­sen Lern­ef­fekt — anstatt zu beleh­ren, wie man zwi­schen Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen kom­mu­ni­zie­ren müss­te. Über gelin­gen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on soll man nicht spre­chen, gelin­gen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on muss man machen, man braucht nur eine Idee, wie man das anstellt. 

Ich hof­fe, dass Ihnen die­ser Text eini­ge Ideen oder Anre­gun­gen gelie­fert hat.

Jörg Hei­dig

PS: Eine wei­te­re sehr hilf­rei­che, aber hier nicht erwähn­te, son­dern an ande­rer Stel­le auf die­sem Blog aus­führ­li­cher dar­ge­stell­te Tech­nik zur Gene­rie­rung von Dia­log und Ver­ständ­nis zwi­schen Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner (berufs­be­zo­ge­ner) Kul­tu­ren ist die so genann­te „Lager­feu­er-Metho­de“ von Edgar Schein. Lesen Sie dazu bit­te die­sen Beitrag.

PPS: Das Bei­trags­bild wur­de mit Hil­fe künst­li­cher Intel­li­genz erstellt.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und ihrem Team im Landkreis Görlitz einen Jugendhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Serbokroatisch sowie Russisch. Er ist häufig an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt tätig und hat viele Jahre Vorlesungen und Seminare an verschiedenen Universitäten und Hochschulen gehalten, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.