Wie kann ich „stressvorbeugend“ kommunizieren?

Die fol­gen­den Dar­stel­lun­gen gel­ten für Situa­tio­nen, die für Poli­zei­be­am­te mehr oder min­der Rou­ti­ne sind, für die Betroffenen/Beteiligten aber beson­de­re, wenn nicht gar Aus­nah­me­si­tua­tio­nen dar­stel­len. Es geht in die­sem Text um Tech­ni­ken der stress­min­dern­den oder stress­vor­beu­gen­den Kom­mu­ni­ka­ti­on in ange­spann­ten Situa­tio­nen. Die Dar­stel­lun­gen gel­ten nicht für Situa­tio­nen, in denen ein Zugriff not­wen­dig wird oder Alko­hol oder Dro­gen im Spiel sind. Die Dar­stel­lun­gen bedeu­ten auch kei­ner­lei Rela­ti­vie­rung der Bedeu­tung des Eigen­schut­zes im Ein­satz. Stel­len Sie sich am bes­ten eine Situa­ti­on nach einem Unfall oder nach einem Ein­bruch vor. Wel­che Gesprächs­tech­ni­ken hel­fen Poli­zis­ten hier, das Stres­ser­le­ben der Betrof­fe­nen zu begrenzen?

Wie gesagt: vie­le der Situa­tio­nen, die für Poli­zei­be­am­te Rou­ti­ne sind, stel­len für Betrof­fe­ne eine Aus­nah­me­si­tua­ti­on dar. Hier hilft es, sich (in Maßen) in die betrof­fe­nen Men­schen hin­ein­zu­ver­set­zen. Aus­nah­me­si­tua­tio­nen gehen oft mit erhöh­ter Angst und dem Gefühl des Kon­troll­ver­lus­tes ein­her. Für Aus­nah­me­si­tua­tio­nen hat „Otto Nor­mal­ver­brau­cher“ in der Regel kein Hand­lungs­re­zept: „Wie soll ich mich ver­hal­ten? Was mache ich mit mei­ner Auf­re­gung? Was, um Him­mels wil­len, soll ich zuerst machen?“

Men­schen, die bis­her extrem sel­ten oder noch nie in einer Aus­nah­me­si­tua­ti­on waren, han­deln zunächst mehr oder min­der ori­en­tie­rungs­los. Ihre Auf­ga­be als Poli­zis­tin oder Poli­zist ist es, in einer sol­chen Situa­ti­on Ruhe aus­zu­strah­len und Ori­en­tie­rung zu geben.

Spre­chen Sie ruhig und lang­sam und mög­lichst in Haupt­sät­zen. Hal­ten Sie Blick­kon­takt und blei­ben Sie auf „Augen­hö­he“ (ver­mei­den Sie Behand­lung „von oben her­ab“). Wenn jemand sehr auf­ge­regt ist, hilft oft kur­zer, beru­hi­gen­der Kör­per­kon­takt (bspw. Hand auf den Unter­arm). Letz­te­res ist aber Ermes­sens­sa­che – über­schrei­ten Sie kei­ne Gren­zen und tun Sie nichts, was Sie nicht tun wol­len. Mei­nes Erach­tens ist Kör­per­kon­takt, wenn über­haupt, nur kurz und bei Per­so­nen glei­chen Geschlechts angeraten.

Stel­len Sie nur sehr ein­fa­che Fra­gen und ver­tei­len Sie ggf. ein­fa­che Auf­ga­ben. Vie­le Men­schen kön­nen mit Aus­nah­me­si­tua­tio­nen bes­ser umge­hen, wenn sie etwas Kon­kre­tes zu tun haben. Loben Sie kurz und direkt, bei­spiels­wei­se dafür, wie gut die betrof­fe­ne Per­son mit der Situa­ti­on umgeht.

Hören Sie zu und geben Sie die Infor­ma­tio­nen, die Sie haben und geben kön­nen. Ach­ten Sie aber dar­auf, dass Sie kei­ne Infor­ma­tio­nen geben, die man nicht erfragt hat.

Sie kön­nen betrof­fe­nen Men­schen auch hel­fen, indem Sie die Situa­ti­on inso­fern ent­dra­ma­ti­sie­ren, als dass Sie sagen, dass es ande­ren Men­schen oder Ihnen selbst, wenn Sie betrof­fen wären, in einer sol­chen Situa­ti­on genau­so gehen wür­de. Das rela­ti­viert die Über­ra­schung über den Kon­troll­ver­lust und die eige­nen Reak­tio­nen – der Gefühls­zu­stand der betrof­fe­nen Per­son wird in gewis­ser Wei­se „rela­ti­viert“, was oft eine beru­hi­gen­de Wir­kung hat.

Ver­mit­teln Sie Sicher­heit und Kom­pe­tenz. Die­ser Ein­druck ent­steht vor allem dann, wenn Sie einer­seits ernst und sach­lich blei­ben, aber auch zuhö­ren und kur­ze Fra­gen stel­len. Des Wei­te­ren hilft es zu erläu­tern, wie der Ablauf ist und war­um es not­wen­dig ist, bestimm­te Din­ge zu tun. Ver­mei­den Sie Flos­keln. Stel­len Sie lie­ber dar, war­um Sie etwas machen und blei­ben Sie, wäh­rend Sie das tun, ruhig bei der Sache. Machen Sie trans­pa­rent, was Sie tun und aus wel­chen Grün­den. Selbst wenn Sie Gren­zen set­zen müs­sen („Nein, Sie dür­fen jetzt nicht…“ oder: „Das kann ich Ihnen nicht sagen…“), ist es wich­tig, dass Sie Grün­de ange­ben. Das Wört­chen „weil“ wirkt Wun­der: „Das geht jetzt nicht, weil…“ oder: „Ich möch­te Sie nach… fra­gen, weil…“ Sobald ein Mensch den Grund für etwas kennt, wird er ruhi­ger. Den­ken Sie an eine nächt­li­che Zug­fahrt. Der Zug bleibt ste­hen. Ver­ge­gen­wär­ti­gen Sie sich die Reak­tio­nen der Rei­sen­den, wenn Sie (a) nichts erfah­ren oder (b) vom Zug­chef zeit­nah hören, war­um der Zug gehal­ten hat. Auch wenn nie­mand etwas an der Situa­ti­on ändern kann und die Grün­de oft nicht ver­stan­den wer­den – was hilft, ist, DASS eine schnel­le Infor­ma­ti­on gege­ben wird, die das Wört­chen WEIL enthält.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war selbst mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und weiteren Kolleginnen im Landkreis Görlitz einen Familienhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sowie Russisch. Er ist an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt und an mehreren Universitäten und Hochschulen als Lehrbeauftragter tätig, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.