Wozu genau braucht man einen »Empathienavigator«?

Beim Lesen einer Fach­zeit­schrift sto­ße ich zufäl­lig auf ein Inse­rat, in dem ein App bewor­ben wird, mit dem man Übun­gen in gewalt­frei­er Kom­mu­ni­ka­ti­on absol­vie­ren und sei­ne »Fähig­kei­ten und das Bewusst­sein für empa­thi­sches Spre­chen und Zuhö­ren« trai­nie­ren kann. Ich fra­ge mich, wie das gehen soll. Mitt­ler­wei­le hat der Berufs­stand der Trai­ner und Coa­ches das akti­ve Zuhö­ren und ande­re Vari­an­ten der empa­thi­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on so lan­ge durch die Welt getra­gen, dass bei­na­he jeder, der sol­cher­lei Semi­na­ren nicht kon­se­quent aus dem Weg gegan­gen ist, schon­mal »aktiv zuge­hört« hat. Das »Rezept Empa­thie« ist so bekannt, dass es vie­le Leu­te regel­recht nervt. Eigent­lich klingt es ganz hübsch: man hört ein biß­chen zu, wie­der­holt, was das Gegen­über gesagt hat, mit eige­nen Wor­ten, und man »ver­ba­li­siert« die Gefüh­le des Gesprächs­part­ners. Was sei­nen Platz nor­ma­ler­wei­se in der bera­te­ri­schen oder the­ra­peu­ti­schen Gesprächs­füh­rung hat und dort auch hin­ge­hört, ver­kommt lang­sam zum All­tags­in­stru­ment einer »gro­ßen Har­mo­nie«. Die Fähig­keit, sich rich­tig zu strei­ten, bleibt mitt­ler­wei­le nicht nur in Schu­len auf der Stre­cke. Wenn es heißt, Kon­flik­te müss­ten »bear­bei­tet« wer­den, ent­puppt sich das oft nur als eine Aus­re­de. Im Grun­de könn­te man auch sagen, Kon­flik­te sei­en unerwünscht.

Ich gehör­te 1997 zur ers­ten Grup­pe von »Ver­suchs­ka­nin­chen«, an denen die damals neu­ar­ti­ge Aus­bil­dung »Fach­kraft für Zivi­len Frie­dens­dienst« erprobt wur­de. Das Cur­ri­cu­lum der Aus­bil­dung war vol­ler Metho­den aus dem Bereich der gewalt­frei­en Kom­mu­ni­ka­ti­on. Das Pro­blem war, dass die­se Metho­den in der Pra­xis kläg­lich ver­sag­ten. Ers­tens, so mein Fazit nach meh­re­ren Jah­ren des Ein­sat­zes in Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na, bedarf es eines spe­zi­fi­schen kul­tu­rel­len Hin­ter­grunds, damit die Metho­den über­haupt funk­tio­nie­ren kön­nen. Bestimm­te Seg­men­te der west­li­chen Kul­tur mögen dazu­ge­hö­ren, weit­aus grö­ße­re Tei­le des »Res­tes der Welt« tun dies nicht. Zwei­tens wir­ken die Metho­den anschei­nend wie selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­un­gen – glaubt man dar­an, wir­ken sie auch; glaubt man nicht dar­an, sehen Kon­flikt­be­ar­bei­ter schnell aus wie eso­te­risch ange­hauch­te Authen­ti­zi­täts­apos­tel. Drit­tens, und die­ser Ver­dacht hat sich erst nach eini­gen wei­te­ren Jah­ren an Erfah­rung in der Arbeit mit Men­schen in Unter­neh­men und Orga­ni­sa­tio­nen erge­ben, möch­te ich grund­sätz­lich bezwei­feln, dass Men­schen über­haupt gewalt‑, hier­ar­chie- oder macht­frei kom­mu­ni­zie­ren können.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und ihrem Team im Landkreis Görlitz einen Jugendhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Serbokroatisch sowie Russisch. Er ist häufig an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt tätig und hat viele Jahre Vorlesungen und Seminare an verschiedenen Universitäten und Hochschulen gehalten, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.