Beginnt man mit dem Unterfangen, das Geschehen in Unternehmen und anderen Formen von Organisationen besser verstehen zu wollen, stößt man in der Literatur bald auf eine schwer zu überschauende Landschaft möglicher Erklärungen und Modelle. Auf einer generellen Ebene findet man zunächst zwei „Linien“, anhand derer sich die vorhandenen Ansätze und Denkweisen klassifizieren lassen. Die erste dieser Linien verläuft zwischen zwei Lagern von Organisationswissenschaftlern – während das eine Lager eine möglichst weitgehende „paradigmatische Einheit“ fordert, wie das etwa in der zeitgenössischen Psychologie nach langer Annäherung an naturwissenschaftliche Modelle und Methoden der Fall ist, argumentiert das andere Lager, dass gerade die Vielfalt der Ansätze wichtig sei. Den Befürwortern eines möglichst einheitlichen Paradigmas in den Organisationswissenschaften (vgl. Pfeffer 1993; Glick et al. 2007) stehen Autoren gegenüber, die meinen, dass gerade die Vielfalt der Sichtweisen einem so komplexen Gegenstand, wie es Organisationen sind, angemessen sei (vgl. Van Maanen 1995; Morgan 1997). Die zweite dieser beiden Linien trennt eher betriebswirtschaftlich orientierte Ansätze zur Veränderung von Organisationen, die ihr Augenmerk mehr auf das Veränderungsziel und seine Erreichung mit den Methoden des Managements richten, von prozessorientierten Ansätzen, die mehr die Veränderung an sich und die organisationalen Erfordernisse für das Gelingen von Veränderung in den Fokus rücken.
Unterzieht man die gängigen Vorstellungen von Veränderungen in Organisationen einer genaueren Analyse, so fällt Folgendes auf: Die meisten Modelle gehen davon aus, dass die Zustände vor und nach einer Veränderung stabil sind. Veränderung stellt demnach eine Ausnahme dar, und so dienen theoretische und praktische Betrachtungen üblicherweise der Suche nach Handlungsstrategien unter den besonderen Umständen des Wandels.
Viele Autoren verweisen bei der Thematisierung von Veränderungen auf Lewins (1947) Dreischritt „Auftauen – Verändern – Stabilisieren“ – eine Vorstellung, die davon ausgeht, dass Strukturen mit dem Ziel der Veränderung zunächst gelockert, dann verändert und schließlich wieder „eingefroren“ werden müssen. Für eine ausführlichere Darstellung des Dreischritts siehe Kritsonis 2004, S. 1f. oder Rechtien 1999, S. 161ff.
Aber ist dem tatsächlich so? Ist Veränderung nicht eher der Normalzustand, sind Organisationen nicht – zumindest über längere Zeiträume betrachtet – im Fluss? Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass es keine dauerhaft erfolgreichen Strukturen gibt. Zwar gibt es immer wieder Rankings erfolgreicher oder gar bester Unternehmen, aber diese best practice ist zumeist nur von kurzer Dauer – zumindest gehören viele der Top-Unternehmen einige Jahre nach dem Zeitpunkt der Messung nicht mehr zur Spitzenkategorie. Organisationen erscheinen so als vorübergehend erfolgreiche Anpassungen an eine sich stetig verändernde Umwelt. Betrachtet man die Vorgänge in Organisationen als permanenten Entwicklungsprozess, so erscheinen Organisationen eher als Versuche, der dauernden Veränderung Einhalt zu gebieten und dem Status Quo Stabilität zu verleihen. Diese Sichtweise hat gravierende Konsequenzen für den Umgang mit Veränderungen: Während man nach dem herkömmlichen Verständnis „Stabilität als Normalzustand/Wandel als Ausnahme“ bewusst auf einen Zielzustand zusteuert und entsprechende Schritte steuert, impliziert die Vorstellung „Wandel als Normalzustand/Stabilität als Ausnahme“ eher eine Lockerung der Zügel des Managements mit dem Ziel, den außerhalb sowieso stattfindenden Wandel auch innerhalb des Unternehmens zuzulassen. Anpassungen und Innovationen geschehen demnach – konsequent weitergedacht – gleichsam von selbst, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Aufgabe des Managements ist aus dieser Perspektive nicht die der gezielten Steuerung, sondern eher die der Zulassung und Gestaltung von Handlungsspielräumen (vgl. Chia 1999).
Die bisherigen Darstellungen sind zwar eher philosophischer Natur, haben allerdings erhebliche praktische Konsequenzen:
- Unternehmen lassen sich angesichts immer dynamischerer Marktbedingungen nicht mehr allein top down steuern. Seit dem zweiten Weltkrieg wurde eine Vielzahl von Modellvorstellungen zur Veränderung von Organisationen entwickelt, die diesen hierarchiekritischen Impuls aufgegriffen haben.
- Veränderungen sind jedoch mittlerweile zur Daueraufgabe geworden, weshalb es bei Veränderungen nicht mehr um die Kompensation der negativen Folgen von Hierarchien geht, sondern um die Anpassung der Steuerungsmechanismen an unterschiedlichste Marktlagen und Geschäftsmodelle. Dabei können unterschiedliche Organisationsformen durchaus nebeneinander stehen, selbst innerhalb eines Unternehmens.
- Diesen konzeptionellen Anforderungen werden jedoch die gegenwärtig populären Modellvorstellungen aus dem Kontext der Organisationsentwicklung kaum gerecht, worauf später noch ausführlicher einzugehen sein wird.
Wimmer (2003, S. V) fasst seine diesbezüglichen Darstellungen wie folgt zusammen:
Der Organisationsentwicklungsansatz wurzelt „in Reformbewegungen, die nach dem 2. Weltkrieg auf eine stärkere Enthierarchisierung von Organisationen hingearbeitet haben. Sowohl die theoretischen Grundannahmen dieser Tradition als auch ihr reichhaltiges Interventionsrepertoire sind bis heute von den Werthaltungen und dem normativen Grundauftrag dieser historischen Wurzeln geprägt. Die Kernfrage (…) lautet deshalb, ob das in dieser Denkwelt tradierte Verständnis von Organisationen und ihrer Wandlungsfähigkeit noch mit jenen organisationalen Verhältnissen zusammenpaßt, wie wir sie am Beginn des 21. Jahrhunderts in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, in der Wirtschaft, in der öffentlichen Verwaltung, in der Politik, im Gesundheits- und Bildungswesen etc. antreffen. Damit in enger Verbindung steht die weitere Frage, inwiefern das klassische Paradigma der Organisationsentwicklung aufgrund seiner logischen Verfaßtheit überhaupt in der Lage ist, sich aus sich heraus weiterzuentwickeln und die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen adäquat aufzugreifen. In der Beantwortung beider Fragen ist begründete Skepsis angebracht.“
Um der Heterogenität von Marktlagen, Geschäftsmodellen und internen Ausgangssituationen gerecht zu werden, sollten Unternehmen aus unserer Sicht ihre Routinen zunächst ohne spezielle Vorannahmen (bspw. „Flache Hierarchien sind grundsätzlich besser.“) oder gar Strukturvorstellungen hinterfragen. Erst nach einer zu Beginn ergebnisoffenen Analysephase beginnt ein Lern- bzw. Verbesserungsprozess, dessen strategische Zielsetzung im Zuge der Analyse klar geworden sein sollte, dessen taktische Ziele sich aber erst während des Prozesses ergeben. Aus dieser Sicht erscheint die Steuerbarkeit von Veränderungsvorhaben begrenzt. Vielmehr ergibt sich ein Wechsel zwischen strategischen Impulsen und einem Schrittmuster aus Versuchen und Irrtümern.
Den Hintergrund für unser hier geschildertes Verständnis von Veränderungen bilden die momentan stattfindenden tiefgreifenden Umwälzungen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft. Spätestens mit Beginn der Neunziger Jahre veränderten sich die Wettbewerbsbedingungen für viele Unternehmen derart umfassend, dass jahrzehntelang gewachsene Strukturen plötzlich ausgedient hatten und hybride, sich schnell ändernde und nicht selten auf Kooperation ausgerichtete Modelle an ihre Stelle traten (vgl. Wimmer 2003, S. 23). Waren Organisationen herkömmlicher Prägung noch „randscharf“ abgegrenzt – sprich: ihre Grenzen waren klar und die Zugehörigkeit war durch Verträge geregelt –, so wurden die Organisationsgrenzen nun durchlässiger und die Hierarchien flacher, temporäre Kooperationen nahmen zu, und die Zugehörigkeit zur Organisation wurde nicht mehr absolut, sondern relativ im Abstand zum Kern der Organisation bestimmt, weshalb diese Art der Organisation mit Jung auch als „kernprägnant“ bezeichnet werden kann.
Jung (2010, S. 43f.; Quelle: Jung, D. (2010). Grenzenmanagement und Organisationsentwicklung. Organisationsentwicklung, 29(4), 41–47) erläutert den Übergang von der modernen, „randscharfen“ Organisation zur postmodernen, „kernprägnanten“ Organisation wie folgt:
„Auf Organisationen – und ihre Beratung – bezogen, hat diese Hypothese bemerkenswerte Konsequenzen: An die Stelle des ‚entweder – oder‘ tritt das ‚sowohl – als auch‘, und viele Organisationen oder Organisationselemente sind nicht mehr randscharf definiert sondern eher ‚kernprägnant‘. (Das Begriffspaar ‚randscharf – kernprägnant‘ wurde übrigens in anderem Kontext von dem Linguisten Georg Steiner geprägt). Solche Organisationen definieren ihre Identität nicht mehr durch Abgrenzung, sondern durch einen Kern, zu dem sich die Akteure in unterschiedlichen Abständen positionieren können. Zugehörigkeit zu einer kernprägnanten Organisation ist daher graduell und nicht absolut definiert. Es gibt keine feste Grenze, an der die Organisation beginnt bzw. endet. Als Beispiel werden dabei häufig so genannte ‚virtuelle Unternehmen‘ genannt, die keine oder fast keine Festangestellten mehr haben. Sie erfinden sich immer wieder neu als Kooperation von Firmen, Selbständigen und freien Mitarbeitern, die unterschiedliche formale und informelle Beziehungen miteinander unterhalten. Schwarmintelligenz ersetzt den großen Fisch.“
Ein deutliches Kennzeichen für den gegenwärtigen Wandel in Unternehmen lässt sich mit Bea & Scheurer (2011, S. 425ff.) an der immer bedeutenderen Rolle von Projekten erkennen. Sei Projektarbeit früher eher ein Instrument der Unternehmensführung unter anderen gewesen, so stellten Projekte mittlerweile einen stetig wachsenden Teil des Umsatzes dar. Dies erkläre sich insbesondere aus dem dezentralen und partizipativen Charakter von Projekten, der es Unternehmen ermögliche, Veränderungen nicht nur schneller wahrzunehmen, sondern sich auch schneller anzupassen, was Projekte zum „idealen Nukleus für eine lernende Organisation“ mache und damit zum „Einsatz in dynamischen Umfeldern“ prädestiniere (beide Zitate: Bea & Scheurer 2011, S. 426). In Zukunft sei zu erwarten, dass Projekte in einigen Geschäftsfeldern zum primären Modus des Geschäftes werden.
Abbildung: Entwicklung der Rolle von Projekten im Rahmen der Unternehmensführung (vgl. Bea & Scheurer 2011, S. 428), dargestellt vor dem Hintergrund der mit dem Wandel von der Hoch- zur Postmoderne einhergehenden Entgrenzung von Organisationen (vgl. Beck et al. 2004; Jung 2010); Abbildung: eigene Darstellung
Die in der Abbildung visualisierten Entwicklungen stellen ein Beispiel für die oft postulierte Verlagerung der Innovation vom Kern der Organisation an ihren Rand bzw. in das die Organisation umgebende Netzwerk statt. Nicht mehr das kontinuierliche Unternehmensgeschehen bildet den Mittelpunkt des Geschehens, sondern Projekte als gleichsam kaskadierender Managementprozess zum Umgang mit den jeweils aktuellen – und sich gegebenenfalls schnell wieder ändernden – Gegebenheiten: Im Rahmen eines projektorientierten Unternehmens verschmelzen die organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements im Grunde mit den organisationalen Kompetenzen aus Sicht der Unternehmensführungslehre.
Abbildung: Verlagerung der Durchsetzungsstärke und der Innovationsimpulse von der Organisationsleitung (OL) an den Rand der Organisation bzw. in Netzwerke (vgl. Scharmer 2011, S. 36f.); Abbildung: eigene Darstellung
Zu dem hier beschriebenen Wandel von modernen, hierarchischen, nach außen „randscharf“ abgegrenzten hin zu eher postmodernen, netzwerkartigen, nurmehr „kernprägnanten“ Organisationsformen und der Zunahme an temporären und hoch flexiblen Arbeitsformen kommt als dritter Trend der zu beobachtende Wertewandel: Das Denken über Organisationen wurde immer vom jeweiligen Zeitgeist bzw. den herrschenden Menschenbildern beeinflusst und wirkte andererseits auch auf diese zurück. Wie im nachfolgenden Abschnitt noch genauer darzustellen sein wird, trugen die Menschenbilder während der ersten beiden Drittel des 20. Jahrhunderts einen jeweils stark generalisierenden Charakter. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts versuchte man, den Generalisierungen zu begegnen, indem man individuelle und gruppenbezogene Unterschiede einbezog, weil man verstanden hatte, dass Unternehmensstrategien, die lediglich auf den Annahmen eines Menschenbildes beruhten, der komplexen Unternehmenspraxis nicht gerecht wurden. So erwiesen sich die Annahmen über den homo oeconomicus in bestimmten Situationen als hilfreich, in anderen dagegen nicht. Ähnlich verhielt es sich mit den Postulaten des Human-Relation-Ansatzes oder verschiedener Motivationstheorien. So kann ein Streben nach Selbstverwirklichung keinesfalls jedem arbeitenden Menschen gleichermaßen unterstellt werden. Das mit Ausgang des 20. Jahrhunderts entstandene Bild des complex man lässt sich als Versuch verstehen, die bisherigen Menschenbilder miteinander zu verbinden.
Zentrale Annahmen über die Natur des Menschen (vgl. Kirchler et al. 2008, S. 126):
- homo oeconomicus: Der Mensch will seinen Nutzen maximieren.
- social man: Der Mensch hat ein Grundbedürfnis nach sozialem Kontakt.
- self-actualizing man: Der Mensch strebt nach Selbstverwirklichung und sucht nach intrinsisch motivierenden Tätigkeiten.
- complex man: Es lassen sich keine generellen Aussagen treffen. Bedürfnisse und Motive variieren von Person zu Person und sind abhängig von der individuellen Entwicklung und der jeweiligen Situation. Darüber hinaus ändern sich Motive im Laufe der Zeit oder auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitsbereich. Auch kann ein wenig motivierter Mensch eine ähnliche Leistung erbringen wie ein hoch motivierter.
Der oben beschriebene generelle Wandel vollzieht sich insbesondere in den drei Bereichen (1) Kommunikationstechnologie, (2) Demographie sowie (3) Arbeitsabläufe und ist von so umfassender Natur, dass er auch die aktuellen Menschenbilder verändert. So ist gegenwärtig häufiger vom Wissensarbeiter (vgl. Drucker 1999) die Rede. Hatch (1997) konzeptualisiert einen postmodern man, für den Kreativität, Freiheit und Selbstverantwortung von besonderer Bedeutung sind. Diese postmodernen Werte lösen die Leitbilder der Moderne wie Reichtum oder Autorität ab. Arbeit dient dem postmodernen Wissensarbeiter nicht mehr der Erlangung von Status, Geld und Sicherheit, sondern hat eher Funktionen wie Kreativität, Sinn und Persönlichkeitsentwicklung. (Vgl. Kirchler et al. 2008, S. 166ff.)
Die bisherigen Darstellungen bedeuten nicht, dass der Wertewandel von so tiefgreifender Natur ist, dass er alle Unternehmen und Organisationen erfasst. Der Wertewandel, die veränderten Leitbilder und Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Führungskräften sowie die daraus resultierende Kritik an ausschließlicher Effizienzorientierung bilden zwar einen wichtigen Motor des Wandels, der aber nicht alle Unternehmen und Branchen in gleicher Weise erfassen kann und wird. Scharmer (2011, S. 39) sieht „den Beginn einer tiefen zivilisatorischen Teilung“ zwischen zwei Arten von Unternehmen, deren erste „die Avenue als Effizienzmaschinen“ hinab rauscht, ohne dabei nach rechts und links zu sehen, deren zweite Art aber „beginnt, von Inspiration getragene Netzwerke aufzubauen, um eine nachhaltige Weltordnung zu schaffen, die sich als belastbar, gut verknüpft und quicklebendig erweist“.
Genau sagt Scharmer (2011, S. 39):
„In der Vergangenheit haben wir zwei unterschiedliche Geschäftsstrategien gesehen: Auf Produktmerkmale und auf Kosten basierende. In Zukunft werden wir zwei Organisationsformen erleben: Die erste ist eine Gruppe schlanker, durchschnittlicher Effizienzmaschinen ohne Herz und Seele, denen es nicht gelingt, sich mit den Zielen ihrer Investoren, Beschäftigten, Partner, Kunden, sozialen Umfelder und Manager zu identifizieren. Die zweite Gruppe bilden Organisationen, die inspiriert, reflektiert und zweckorientiert handeln. Dieser Zweck kann sich in vielfältiger Form artikulieren. Aber im Kern wird er stets das Wohlergehen der Allgemeinheit im Blick haben. Was wir heute erleben, ist der Beginn einer tiefen zivilisatorischen Teilung. Eine Gruppe der Organisationen und Institutionen rauscht die Avenue als Effizienzmaschinen hinab (ohne sich ihrer Umfelder bewusst zu werden). Die andere Gruppe beginnt, von Inspiration getragene Netzwerke aufzubauen, um eine nachhaltige Weltordnung zu schaffen, die sich als belastbar, gut verknüpft und quicklebendig erweist. Wir werden auf den beiden Wegen Erfolge und Misserfolge erleben und es ist die Entscheidung jeder und jedes Einzelnen, welcher Bewegung sie oder er angehören möchte.“
Angenommen, diese These sei jenseits ihrer vielleicht etwas pathetischen Formulierung nicht falsch – und angenommen, strukturelle Stabilität sei, wie eingangs dargestellt wurde, nicht die Regel, sondern tatsächlich die Ausnahme, dann besteht ein Spektrum zwischen Effizienzorientierung und entsprechender Standardisierung einerseits und Wandlungs- bzw. Netzwerkorientierung mit Nachhaltigkeit als erstem strategischen Ziel andererseits. Eine der aus unserer Sicht wichtigsten aktuellen Fragen der strategischen Unternehmensentwicklung ist die nach der Verortung eines Unternehmens auf diesem Spektrum. Wir möchten dabei nicht so weit gehen wie Otto Scharmer und von einer Teilung der Welten sprechen, und wir meinen, dass diese Frage auch nicht so eng in Verbindung mit Werten betrachtet werden sollte – obwohl Effizienz als Leitkriterium ohne ein Wertefundament nicht denkbar ist und dringend eines ethischen Korrektivs bedarf. Vielmehr zeigen unsere Erfahrungen, dass heutige Organisationen eine gewisse Flexibilität auf dem beschriebenen Spektrum brauchen und mit den gegenwärtigen Veränderungen sehr bewusst umgehen müssen, um das jeweils richtige Gleichgewicht zwischen Wandlungsorientierung und Innovationsfähigkeit auf der einen und Effizienzorientierung und Standardisierung auf der anderen Seite zu finden. Insofern stehen Führungskräfte vor paradoxen Aufgaben: Zu wenig Standardisierung verringert die Margen, sorgt aber für ein veränderungsfreundliches Klima, in dem eine Um- oder Neuorientierung möglich wird; zu viel Standardisierung hingegen sorgt zwar eine Zeit lang für optimale Prozesse und entsprechende Margen, verringert aber die Anpassungs- und Innovationsfähigkeit, auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit. Eine nachhaltige Unternehmensentwicklung „mäandert“ aus unserer Sicht zwischen Phasen der Standardisierung und Phasen der Offenheit. Wandel hat dementsprechend weniger mit der Implementierung einer „richtigen“ Strategie zu tun, mit der Fähigkeit, durchgängig strategisch zu denken, die Zügel im richtigen Moment zu lockern und als Organisation zu lernen.
Was wir hier sagen, bedeutet auch, dass sich nicht nur Unternehmen hinsichtlich des Grades ihrer Standardisierung und Hierarchisierung voneinander unterscheiden, sondern dass es innerhalb eines Unternehmens völlig unterschiedlich organisierte bzw. geführte Bereiche geben kann – je nach Aufgabe, kultureller Zusammensetzung, Relevanz oder Etabliertheit des Bereiches. Beispiele dafür stellen Organisationsmodelle wie „Unternehmen im Unternehmen“ oder „Businessunits“ dar. Auch manche Post-Merger-Anstrengungen hinterlassen zuweilen sehr heterogene Organisationslandschaften.